19.01.2001

Unisex
in der deutschen Medizin

"L' âme n'a pas de sexe" war eine der Parolen der Aufklärung, die von den ersten feministischen Frauen - nach Ansicht mancher männlicher Aufklärungs-Philosophen - viel zu ernst genommen wurde. 'Unisex' war zeitweilig ein modischer Ausdruck dafür, dass sich Frauen auch im Hinblick auf die Kleidung nicht mehr unpraktischen oder kindchenhaften Kleiderkonventionen beugen wollten. Alles Schnee von gestern?

Das Rad der Geschichte scheint sich zeitweilig zurück- zudrehen. In mancherlei Hinsicht bleibt es auch auf dem Stand vorwissenschaftlicher Zeiten stecken - so ist die deutsche Medizin anscheinend der Ansicht, dass sich Männer und Frauen physisch nicht unterscheiden...

Selbst die SPD-Bundestagsfraktion1 muss feststellen, dass in Deutschland bisher nicht von einer frauenspezifischen Gesundheitspolitik gesprochen werden kann. Folgende Zahlen belegen beispielhaft die Geschlechtsblindheit von Medizin und Forschung:

  • Eine gross angelegte Untersuchung von über 1081 Publikationen im Arzneimittelbereich ergab, dass in zwei Drittel der Fälle die an Männern gewonnen Ergebnisse einfach auf Frauen übertragen wurden.

  • Es bedarf dringend eingehender Forschung darüber, warum Frauen mit 87 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit als Männer während einer Bypass-Operation sterben.

  • In Deutschland werden 35.000 Eierstockoperationen pro Jahr durchgeführt, die nicht notwendig sind.

  • Im Bereich der Mammographie gibt es gravierende Mängel: Die Zahl der Falsch-Positiv-Befundungen liegt in Deutschland mit mindestens 30 Prozent zu hoch. Anschliessende weitere Untersuchungen belasten unnötig sowohl die Frauen als auch die Krankenkassen. In einer Reihe von Nachbarländer ist die Qualität der Mammographie wesentlich besser.

In Deutschland wächst die Sensibilität für dieses Thema. Die SPD-Bundestagsfraktion hat bereits 1998 als Oppositions- partei den Missstand angeprangert. Damals war die schwarz-gelbe Koalition aber noch auf diesem Auge blind und lehnte den Antrag ab: Frauen und Männer hätten gleichen Zugang zum Gesundheitswesen und die Frauen würden ohnehin älter. (Manch einer sieht stattdessen hierin ein Problem...)

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gelangte jetzt aber auch zu der Erkenntnis, dass Erkrankungen von Frauen oft andere als die von Männern sind und brachte schnell noch einen Alibi-Antrag ein. Dieser verschweigt allerdings, dass in der Kohl-Ära die Mortalitätsrate bei Brustkrebs in Deutschland angestiegen, während in den europäischen Nachbarländern die Mortalitätsrate und die Zahl der Totalamputationen deutlich gesunken ist.

Zumindest einige Teilbereiche sollen nun "nachhaltig" verbessert werden:

  • Die Qualität der Mammographie

  • Die Richtlinien zur Weiterbildung der ÄrztInnen sowie über die Qualität der Befundung

  • Die Richtlinien über die technische Ausstattung und Gerätesicherheit

Immerhin wäre dies ein Anfang...

 

1 Antrag der SPD-Bundestagskraktion (Bt-Drs. 14/3858)
     und: angekündigte Anhörung der SPD-Bundestagsfraktion
      mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Medizin,
      Verbänden und Krankenkassen für den 7. März 2001
      zum Thema "Frauenspezifische Gesundheitsversorgung"

 

Adriana Ascoli

 

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