Beitrag von Michael Jäger in 'freitag' v. 28.05.1999

 

ZUKUNFTSSORGEN

Aufgaben für ein Netzwerk ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei handelnder Menschen

Tag für Tag hören wir im Fernsehen den Satz: »Die NATO hat in der vergangenen Nacht ihren bisher schwersten Bombenangriff geflogen.« Während dieser Fahrt ins Abgründige haben sich erste Trennungen von der Partei der Grünen ereignet. In Hamburg bilden jetzt fünf Abgeordnete, die als Grüne in den Landtag gekommen sind, eine Gruppe jenseits der Grünen-Fraktion. Anfang Juni werden bundesweit diejenigen zusammentreffen, die Grüne waren nicht aus Stammtisch-Bequemlichkeit, sondern wegen der Prinzipien: »ökologisch, sozial, basisdemokratisch, gewaltfrei«; sie wollen ein Netzwerk für Menschen mit Gedächtnis gründen. Auch Ereignisse wie der halbe Parteiaustritt des Grünen Elmar Altvater sind ermutigend. In einem Brief an seine Partei, veröffentlicht in der Jungen Welt vom 19. 5., legt Altvater dar, daß »das Verbrecherische des NATO-Kriegs« ein »zivilisatorischer Rückfall« sei: »Wer das als ›Realpolitik‹ bezeichnet, hat nicht mehr alle Tassen im Schrank.« Er stellt die Beitragszahlungen ein, »hätte nichts dagegen«, wenn man ihn deshalb ausschlösse, und wird, so kündigt er an, von sich aus austreten, wenn die Mehrheit der Partei »ihren Kurs der Kriegspolitik fortsetzt«. Die Hamburger ebenso wie Altvater greifen nicht gleich zum Ärgsten, sondern eskalieren den Konflikt. Man sieht, daß neben der physischen und chemischen auch die geistige Eskalation möglich ist, von der die Umwelt nicht verseucht, der Menschenkörper nicht getötet wird; es ist eine rein humanitäre Intervention.

Solche Aktivitäten sind ermutigend, weil sie eine der wichtigsten Errungenschaften der Grünen nicht mit dem Bad ausschütten: die Gelassenheit; den Kontakt mit dem Wirklichkeitssinn von Millionen. Millionen denken nun mal langsamer um als Einzelne. Es geht »nur« darum, ihnen zu widersprechen. Wer widersprechen will, muß im Gespräch sein und so weit wie möglich die Sprache des Gesprächs, also auch des Gegenübers, ja des Gegners beherrschen. Das ist manchmal hart, aber wie anders will man das Ungeheuerliche zur Sprache bringen? Es tritt jetzt deutlicher hervor: »Daß die Bombardements heftiger als je fortgesetzt werden«, schreibt Altvater, »läßt eher vermuten, daß die NATO den gesamten Balkan zu dominieren trachtet« mit dem Ziel, »geopolitisch den Arm nach Rußland, zum Kaukasus, zum Mittleren Osten und nach Zentralasien auszustrecken«. Den möglichen Grund hat Hermann Scheer, Mitglied des SPD-Vorstands, am 7. 5. in der taz erläutert. Um 2050 werden die Ölquellen, die zur Zeit ausgebeutet werden, erschöpft sein. Dann gibt es noch das große Reservoir in Zentral asien, zu dessen Ausbeutung man dann übergehen muß. Die Frage der NATO-Mitgliedschaft von Kasachstan ist schon im Gespräch. Zum NATO-Jubiläum hatte eine Fernsehsendung berichtet, daß die NATO dieses Öl anscheinend über Pipelines, die südlich durch die Türkei laufen, nach Westeuropa bringen will, in welchem Fall sie eben auch den Balkan durchqueren müßten. Rußland müht sich händeringend, die Westeuropäer zu überzeugen, daß eine Pipelineführung durch Rußland billiger sei. Aber mit welchem Erfolg?

Das ist schon eine komische Geschichte. Wenn man Außenminister Fischer hört, denkt man, für Westeuropa gebe es nichts Wichtigeres, als Rußland »ins Spiel zu bringen«. Warum ist dann die Pipelineführung via Rußland nicht längst regierungsamtlich zugesagt? Und warum überhaupt diese Jagd nach dem letzten Öl? Es ist doch klar, daß es ebenfalls versiegen wird. Da erinnern wir uns eines anderen Hinweises von Scheer, der in seinem Buch Sonnenstrategie den Planungschef der NASA, Jesco von Puttkamer, mit den Worten zitiert hatte, die Erde sei eine feindliche Umwelt, weil sie dem Energiebedarf und der inneren Energie der Menschheit nicht gewachsen sei, weshalb diese ihr Heil im Weltall suchen werde. Zwei und zwei zusammengezählt, kommt heraus, daß der Westen nicht die Erde rettet durch Umstellung der Energiebasis auf Solarindustrie, sondern dabei ist, nur noch das letzte Öl herauszukitzeln, damit er auch noch die letzten ein oder zwei Jahrhunderte auf Erden sinnlos verprassen kann. Immer in Saus und Braus, denn man lebt ja nur einmal. Einen Krieg mit Rußland, China und Indien, vor deren Tür jenes Öl liegt, wird man zu vermeiden, und wenn das nicht gelingt, wenigstens zu gewinnen wissen.

Die ganze Weltpolitik, hieße das, dreht sich um die Ökologiefrage, die von den Grünen nicht mehr »in den Vordergrund gestellt« wird, weil sie keine Ein-Punkt-Partei sein wollen. Aber es ist nur ein Verdacht. Immerhin ist der Verdacht begründet. Es wäre verantwortungslos, ihm nicht nachzugehen. Jenes Netzwerk ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei handelnder Menschen könnte das tun. Die Bundesregierung müßte einfach Landtagswahl für Landtagswahl gefragt werden, ob sie den Verdacht durch raschen Beschluß einer Pipeline durch Rußland hindurch glaubhaft entkräften kann.

In seinem Brief schreibt Altvater: »Ich habe nicht von den Menschenrechten usw. gesprochen, und ich werde mich in Zukunft hüten, mich darauf zu beziehen.« In der Tat sehen wir mit an, wie es die Menschenrechts-Anklagen gegen China gibt und daneben das Interesse am Öl vor Chinas Haustür und wie beide Tatsachen ein gemeinsames Merkmal haben: »gegen China«. Dennoch meine ich, das Netzwerk sollte die Menschenrechtsfrage lieber klarstellen als Joseph Fischer überlassen. Es geht darum, den Ansatz der UNO-Charta zu verteidigen, daß der Kampf für Frieden und der Kampf für Menschenrechte nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. In einem Aufsatz von Saskia Sassen habe ich hierzu eine nützliche Überlegung gefunden: die neue menschenrechtliche Situation, schreibt sie, besteht darin, daß »der souveräne Staat nicht mehr als alleiniger Vertreter seiner Bevölkerung auf dem internationalen Parkett betrachtet« werden kann. Das ist klar formuliert: Sassen befreit von dem Irrtum, nun sei also wegen der neuen menschenrechtlichen Situation die »innere Einmischung« geboten. Nein, wenn die internationale Gemeinschaft sich in den Konflikt zwischen Jugoslawien und Kosovo-Albanern einmischt, geschieht das erst einmal »außen«. Außen, nämlich nicht in Jugoslawien, sondern »auf dem internationalen Parkett«. Dort wird nicht nur Milosevic, sondern auch Rugova »als Vertreter der Bevölkerung betrachtet«. Diese Anerkennung Rugovas und womöglich der UÇK am Staat vorbei ist völkerrechtlich etwas ganz Neues. Wenn dann aber von der äußeren zur inneren Einmischung fortgeschritten wird, wie soll man das erklären? Wer sich innen einmischt, macht sich nur selbst zur Bürgerkriegspartei. Mit der neuen menschenrechtlichen Situation, die in der Tat vorhanden ist, kann das nichts zu tun haben.

Auch in den nächsten Wochen werden wir immer wieder diesen Satz hören, die NATO habe soeben ihren bisher schwersten Angriff unternommen. Müßten Bundestagsabgeordnete wie Buntenbach, Ströbele und ein paar andere nicht bald die Geduld verlieren? Sie könnten sich an den Hamburgern ein Beispiel nehmen.

neuronales Netzwerk