15.11.2007

Artikel

Agro-Treibstoffe in Deutschland

Ein unverantwortlicher "Bio"-Boom

Aus den Reihen des "schwarz-rot-gelb-grünen" politischen Spektrums wird derzeit kaum eine Gelegenheit ausgelassen, den Boom der euphemistisch als "Bio-Kraftstoffe" bezeichneten Agro-Treibstoffe anzuheizen und mit dem Etikett des Klimaschutzes zu verzieren. Auch die Bundesregierung propagiert - entgegen den Empfehlungen ihres eigenen Sachverständigenrats - den forcierten Ausbau der Nutzung von Agro-Treibstoffen. Von mittlerweile 6 Prozent am Spritverbrauch in Deutschland soll der Anteil von Agro-Treibstoff laut Bundes-"Umwelt"-Minister Gabriel in den kommenden zwölf Jahren auf 20 Prozent anwachsen.

Das Argument "Klimaschutz" wird mißbraucht, um eine zerstörerische, Menschen- und Natur-feindliche Wirtschaftsordnung trotz Rückgang der fossilen Energieträger so lange es irgend geht aufrechtzuerhalten. Zugleich soll auf diese Weise eine tatsächliche klima- und umweltverträgliche Alternative, wie sie mit der Wasserstoff-Technik auf Solarbasis1 seit Jahren bereit steht, weiter verhindert werden.

Dabei zeigen eine Reihe aktueller Studien - vom Sondergutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen über die Stellungnahme der OECD bis hin zu den Forschungsanalysen von Paul Crutzen - unisono auf, daß Agro-Treibstoffe aus Raps, Getreide, Palmöl oder Zuckerpflanzen in ihrer Emissionsbilanz und im Flächenverbrauch erheblich schlechter abschneiden als beispielsweise die Nutzung von Biomasse wie Restholz für Strom und Wärme. Da jedoch auch Restholz - im Gegensatz zu Solarenergie - nur begrenzt zur Verfügung steht, kann dieser Vergleich nur zur Bewertung der Umweltbilanz der Agro-Treibstoffe dienen.

Bereits heute wird in Deutschland Raps für Agro-Diesel - wer kennt nicht die unvermeidlichen Landschaftsfotos mit sattgelben Feldern - in Monokulturen auf einer Gesamtfläche von 1,2 Millionen Hektar angebaut. Dies entspricht einem Zehntel der Ackerfläche Deutschlands. Greenpeace weist darauf hin, daß diese Entwicklung schon jetzt an ihre Grenzen gestoßen sei und bezeichnet die Pläne zu einer weiteren Steigerung als "unverantwortlich". Nachhaltigkeit kann nach Auffassung von Greenpeace nur gewährleistet werden, wenn der Einsatz von Agro-Ethanol und Agro-Diesel in Deutschland zurückgefahren würde, während die Produktion von Wärme und Strom aus Biomasse unter bestimmten Umständen noch maximal verdoppelt werden könnte. Bis 2020 würde sich mit den Ausbauzielen der Bundesregierung der Flächenverbrauch für den Anbau der energetischen Biomasse statt dessen verdreifachen.

In diesem Jahr tauchten bereits rund eine halbe Million Tonnen undeklariertes Gen-Rapsöl aus Kanada auf. Dies entspricht rund 10 Prozent des derzeitigen deutschen Rapsöl-Bedarfs. Der Gen-Raps hat in Kanada längst den gesamten Raps-Anbau überrollt. Eingeführt wurde dieses Produkt, dessen Herkunft offenbar nicht verkaufsfördernd wirkt, zum Teil über den Umweg Dubai. Doch schon in wenigen Jahren wird in Kanada Agro-Wüste zurückbleiben, da der ineffektive Raps durch billigeres Gen-Sojaöl aus Brasilien oder Palmöl aus Indonesien und Malaysia verdrängt werden wird.

Die schwedische Firma OKQ8 kündigte diesen Sommer an, als erstes Unternehmen in Europa Palmöl-Diesel zu 20 Prozent fossilem Diesel beizumischen. OKQ8 beabsichtigt mit diesem Palmöl-Diesel zum Weltmarktführer in Agro-Diesel aufzusteigen. Greenpeace führte in den vergangenen Wochen in Schweden eine intensive Kampagne gegen den Einsatz von Palmöl in Agro-Diesel. Es konnte so erreicht werden, daß OKQ8 Ende Oktober bekanntgab, kein Palmöl mehr seinem Agro-Diesel beizumischen.

Die Bundesregierung bereitet derzeit eine Verordnung vor, die Anfang Dezember im Kabinett beschlossen werden soll. Diese legt Kriterien für Nachhaltigkeit und ein Zertifizierungssystem fest. Im vorliegenden Entwurf jedoch wird dabei weder der Einsatz von Gentechnik noch die Zerstörung von Urwäldern beispielsweise für Palmöl-Plantagen berücksichtigt. Darüber hinaus warnen ExpertInnen vor einer Überschwemmung mit "Gammelzertifikaten", zu Unrecht erteilten oder gefälschten Zertifikaten.2

Neben einer Beschleunigung der Regenwald-Vernichtung infolge des Booms der Agro-Treibstoffe ist eine weitere Gefahr unübersehbar. Der rasante Flächenverbrauch und der damit einhergehende Anstieg der Lebensmittelpreise führt zu enormen sozialen Verwerfungen. Die Produktion der Agro-Treibstoffe tritt in Konkurrenz zum Anbau von Nahrungsmitteln. Dies führt zu einer Zunahme des weltweiten Hungers. Jean Ziegler, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, hat vor der Zunahme des Hungers wegen dieser Entwicklung gewarnt. In Angola beispielsweise wird gegenwärtig die Anbaufläche für Palmöl verzehnfacht. Gleichzeitig belegt das Land einen der letzten Plätze auf dem weltweiten Hunger-Index.

Das Internationale Institut für Wasserwirtschaft (IWMI) warnt außerdem vor einer massiven Belastung der ohnehin schon angespannten Wasserversorgung. Der Anbau von Pflanzen für einen einzigen Liter Agro-Treibstoff verschlingt demnach je nach Region bis zu 3.500 Liter Wasser.

Vor allem der Wasserhaushalt in Südostasien ist einer IWMI-Studie zufolge gefährdet. In Indien und China könnten Plantagen mit Mais und Zuckerrohr, die für die Produktion von Bio-Diesel und -Ethanol angelegt werden, den dort bereits erheblichen Wassermangel noch verschlimmern und den Anbau von Lebensmitteln wie Getreide und Gemüse gefährden. Beides müßte dann in größeren Mengen importiert werden, erklärt Charlotte de Fraiture, die Hauptautorin der Studie.

Daß der Anbau von Pflanzen für Agro-Treibstoffe nichts mit "Bio" zu tun hat zeigt auch folgender Trend: Laut einer US-amerikanischen Studie werden "deutlich mehr Düngemittel und Pestizide" in Flüsse und Ozeane gespült. Nach Plänen der US-Regierung soll die Produktion von Agro-Treibstoffen in den USA bis zum Jahr 2017 auf 133 Milliarden Liter gesteigert werden.

Inzwischen hat in Brasilien die Zunahme der Flächen für den Zuckerrohr-Anbau (Ethanol) die Zunahme der Soja-Anbauflächen überholt und ist damit für die fortschreitende Vernichtung des Amazonas-Regenwalds mitverantwortlich. Eine parallele Entwicklung ist beim Zuwachs von Palmöl-Plantagen in Indonesien und Malaysia zu beobachten. Derzeit wird der Großteil des Palmöls für Nahrungsmittel und Kosmetik eingesetzt. Aber 2005 wurden bereits 4,5 Prozent der Weltproduktion von Palmöl für den Energiemarkt in der EU produziert. Die Nachfrage nach Palmöl zur energetischen Nutzung steigt exponential an. Schon jetzt sind Indonesien und Brasilien wegen ihrer hohen Abholzungsraten hinter den USA und China die größten Kohlendioxid-Emittenten weltweit. Deutschland erzeugt als Import-Staat einen enormen Nachfrage-Sog. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Interessen der Mineralöl- und Automobil-Konzerne auf Zertifizierung zu setzen, wäre naiv - oder ein bewußter "Liebesdienst".

Greenpeace fordert von den agro-treibstoff-exportierenden Staaten ein Moratorium für einen Anbau von Biomasse, der auf ökologisch sensiblen Flächen, insbesondere Urwald- und Moorwaldflächen erfolgt und/oder gentechnisch veränderte Pflanzen verwendet und/oder soziale Mindestkriterien mißachtet. Greenpeace fordern zudem einen Stop von Biomasse-Importen aus all jenen Staaten, die ein solches Moratorium nicht beschließen.

Um solche Pläne - analog eines globalen Flächennutzungsplans - durchsetzen zu können, bedürfte es allerdings einer Weltregierung. Den globalen Konzernen stehen jedoch lediglich nationale Regierungen gegenüber - präziser: zur Seite. Und diese haben sich im Zeitalter des Neoliberalismus längst aus ihrer Rolle als Ordnungsmacht auf Nimmerwiedersehn verabschiedet. Es besteht also keine Aussicht auf eine Trendwende, solange der Kapitalismus die Regeln bestimmt.

Realistische Pläne - die längst keine Utopie mehr darstellen - wie etwa die Stromerzeugung durch Windenergie global zu verhundertfachen oder die der Solarenergie (im engeren Sinne) auf das Vierhundertfache des heutigen Niveaus zu heben, werden jedoch erst nach dem Ende des Kapitalismus umsetzbar sein. Das bedeutet keinesfalls, daß nicht bereits heute daran gearbeitet werden muß - im Gegenteil.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

1 Siehe hierzu auch unseren Artikel:

      Solarer Wasserstoff
      Seit über 20 Jahren eine praktikable Alternative (3.11.07)

2 Siehe hierzu insbesondere unsere Artikel v. 11.12.06 und 20.10.07

Siehe zum Thema auch unsere Artikel:

      Orang-Utans sterben für Agro-Treibstoffe
      Palmöl vernichtet Regenwälder (20.10.07)

      EEG und Regenwald-Vernichtung
      Import von Palmöl hat Kahlschlag zur Folge (20.10.07)

      Der große Betrug mit "Bio-Sprit"
      Agro-Treibstoffe heizen die Klimakatastrophe an (13.09.07)

      Kyoto-Protokoll und Regenwaldvernichtung (20.08.07)

      Palmöl aus Malaysia?
      Der Konflikt zwischen 'Rettet den Regenwald'
      und den Stadtwerken Schwäbisch Hall (11.12.06)

 

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