18.07.2009

Drohen längere Laufzeiten
der Atomkraftwerke
nach der Bundestagswahl?

Die Antwort ist unbestreitbar ein klares Ja. Doch damit ist noch gar nichts geklärt. Mit der Frage nach den Laufzeiten und der Frage, ob etwa der sogenannte Atom-Ausstieg nach der Bundestagswahl gekippt wird, wird Wahlkampf gemacht. Es wird mit diesen Fragen unausgesprochen unterstellt, es mache einen Unterschied, welche Parteien nach der Bundestagswahl an der Regierung seien. Unbestreitbar sind FDP und CDU/CSU Parteien, die der Atomindustrie zu Diensten stehen. Doch ist daraus zu schließen, die sogenannten Sozialdemokraten oder die Pseudo-Grünen stünden auf Seiten der Anti-AKW-Bewegung?

Vielen scheint es da nach den Erfahrungen von sieben Jahren "rot-grüner" Bundesregierung zwischen 1998 und 2005 zumindest etwas mulmig zu sein. So wird nun zwar in vielen Diskussions-Beiträgen und Artikeln versucht, bei Atomkraft-GegnerInnen für "Rot-Grün" zu werben. Doch dabei wird nicht etwa direkt zur Wahl irgendeiner Partei aufgerufen. Malte Kreutzfeld von der 'taz' macht es beispielsweise recht geschickt, indem er formuliert: "Anfällige Kühlanlagen, kein Schutz vor Terroranschlägen - und trotzdem wollen Union und FDP die Laufzeiten alter Meiler verlängern. Grund, gegen die Parteien zu stimmen." Was soll das konkret heißen? Stimmzettel durchstreichen? Oder DOCH irgendwo Kreuzchen machen? Also den Versprechungen Steinmeiers, Gabriels oder Trittins Glauben schenken? Oder etwa die Linkspartei wählen und darauf hoffen, daß sich entgegen allen Schwüren eine linke Mehrheit nach der Bundestagswahl zusammenrauft?

Schauen wir uns doch einmal an, welche Erfahrung die Spanierinnen und Spanier aktuell mit ihrer sogenannten sozialistischen Regierung machen mußten:

Vor gut einem Jahr war die neo-liberale, sogenannte sozialistische Partei Spaniens mit dem Versprechen in den Wahlkampf gezogen, nur sie werde den Atom-Ausstieg garantieren. Nicht zuletzt dieses Versprechen verhalf ihr zum Wahlsieg und Spaniens Ministerpräsident Zapatero blieb im Amt. In diesem Jahr wäre die Abschaltung des AKW Garoña, das bereits seit 1970 in Betrieb ist, an der Reihe gewesen. In der vorangegangenen vierjährigen Amtsperiode Zapateros war der "Atom-Ausstieg" nur ein Versprechen und kein einziges AKW wurde in Spanien stillgelegt. Lediglich in der Regierungszeit von Zapateros Vorgänger, dem neo-liberalen und als konservativ firmierenden Aznar war in Spanien ein AKW stillgelegt worden. Und auch weitere vier Jahre zuvor: In der Regierungszeit des als sozialistischen firmierenden und real sozialdemokratischen Gonzales war ein AKW stillgelegt worden. Das AKW Garoña ist das älteste von mittlerweile verbliebenen acht Atomkraftwerken in Spanien. Und Zapatero verlängerte nun dessen Laufzeit um vier Jahre.

Schauen wir uns einmal an, ob in Deutschland in der "schwarz-gelben" Ära des Bundeskanzlers Kohl und in den Jahren zuvor Atomkraftwerke stillgelegt wurden:

Block A des AKW Gundremmingen mußte 1977 nach einem Totalschaden stillgelegt werden. 1979 wurde das AKW Lingen abgeschaltet. 1988 mußte das AKW Mülheim-Kärlich stillgelegt werden, weil ein Gericht den mangelhaften Schutz gegen Erdbeben festgestellt hatte. 1989 mußte der Thorium-Hochtemperatur-Reaktor (THTR) in Hamm-Uentrop wegen Milliardenverlusten aufgegeben werden. Ebenfalls 1989 wurde der Bau der von Franz Josef Strauß protegierten "Wiederaufarbeitungsanlage" in Wackersdorf Dank der Stärke der Anti-AKW-Bewegung aufgegeben. 1990 wurden Dank des Umweltministers in der Übergangsregierung Sebastian Pflugbeil mit dem AKW Greifswald und dem AKW Rheinsberg insgesamt 6 Atom-Reaktoren der früheren DDR endgültig heruntergefahren. 1991 mußte der Schnelle Brüter in Kalkar wegen Milliardenverlusten aufgegeben werden. Und 1994 wurde das AKW Würgassen stillgelegt.

Bereits mit der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl 1986 kam der Ausbau der Atomenergie in Deutschland zum Erliegen. 1989 ging mit Block 2 des AKW Neckarwestheim der letzte vor 1986 beantragte Reaktor ans Netz.

Seit dem Jahr 2000, seit der Verkündung des "Atom-Ausstiegs" in Deutschland wurden dagegen in neun Jahren lediglich zwei Atomkraftwerke stillgelegt. Das im November 2003 abgeschaltete AKW Stade galt zudem bereits vor der Regierungsübernahme von "Rot-Grün" im Jahr 1998 laut internen Beurteilungen als unwirtschaftlich. Diese internen Beurteilungen des damaligen Betreibers HEW sind längst öffentlich. Daß die Stilllegung dennoch nicht vor 1998 erfolgte, hatte allein den Grund, daß die Energie-Konzerne so eine defensive Position im Vorfeld der öffentlichen Diskussion um den Atom-Konsens des Jahres 2000 vermeiden konnten. Im Falle des AKW Obrigheim (Baujahr 1968), das entsprechend des veröffentlichten Textes des Atom-Konsens im Oktober 2002 abgeschaltet hätte werden sollen, kam es unter Berufung auf angebliche Geheimabsprachen zu einer Übertragung von neu auf alt - und damit zu einer Laufzeitverlängerung bis 2005. Es wurde am 11. Mai 2005 nach knapp 37 Jahren Betriebszeit stillgelegt.

In einer Tabelle, die das Bundes-"Umwelt"-Ministerium noch bis 2006 verbreitete und aus der angeblich die "Restlaufzeiten" hervorgingen, war für jedes der deutschen Atomkraftwerke ein konkretes Abschaltdatum eingetragen. So war darin beispielsweise für das AKW Neckarwestheim I das Datum 1. Dezember 2008 zu finden. Mittlerweile wurde diese Liste auf der Internet-Seite des Bundes-"Umwelt"-Ministeriums ausgetauscht und beim AKW Neckarwestheim I steht nun das Jahr 2010 - ohne nähere Angaben. In den Mainstream-Medien war über diese merkwürdige Manipulation der angeblichen Restlaufzeiten nichts zu erfahren. Im Gegenteil: Nach wie vor wird hier der Eindruck vermittelt, mit dem im Jahr 2000 vereinbarten Atom-Konsens seien konkrete Restlaufzeiten vereinbart worden. Tatsächlich jedoch sind in diesem Papier lediglich Reststrommengen aufgelistet. In welchem Zeitraum diese Strommengen produziert werden, bleibt den AKW-Betreibern überlassen. Und zudem hat diese Vereinbarung eine kaum bekannte irrsinnige Konsequenz: Würde beispielsweise das AKW Krümmel noch in diesem Jahr stillgelegt oder eine Reaktor-Katastrophe große Teile Deutschlands radioaktiv verseuchen, dürfte die Reststrommenge des AKW Krümmel auf die 16 übrigen deutschen AKW verteilt werden, so daß diese entsprechend länger am Netz bleiben.

In der bis 2006 verbreiteten Liste war nicht nur ein Termin im Jahr 2008 für Neckarwestheim I verzeichnet, sondern eine Reihe weiterer heute recht merkwürdig erscheinender Abschalt-Termine: Für das AKW Biblis A der 26. Februar 2007, für das AKW Biblis B der 31. Januar 2009 und für das AKW Brunsbüttel der 9. Februar 2009.

Nur wer auf die Verbindlichkeit des von "Rot-Grün" mit den Strom-Konzernen vertraglich vereinbarten "Atom-Ausstiegs" vertraute, konnte glauben, daß die genannten Termine tatsächlich eingehalten würden.

Fakt ist jedenfalls, daß die Genehmigung des "Forschungs"-Reaktors FRM 2 in Garching in Trittins Amtszeit fällt. Und ebenso wurde in der "rot-grünen" Ära die Ausweitung der Kapazität der Urananreicherungsanlage in Gronau genehmigt

Tatsache ist auch, daß seit 2005 unter der sogenannten schwarz-roten Koalition kein einziges AKW in Deutschland abgeschaltet wurde. Gleichzeitig wird in den Mainstream-Medien unermüdlich das Bild aufrechterhalten, in Deutschland gebe es einen Atom-Ausstieg und dieser könne möglicherweise NACH der kommenden Bundestagswahl gekippt werden.

Es soll hier kein Aufruf zum Wahlboykott und keine Wahlempfehlung gegeben werden. Vor dem Hintergrund der eben ausgebreiteten überprüfbaren Fakten, kann jede und jeder sich ein eigenes Urteil bilden und die logischen Konsequenzen ziehen.

Anstatt sich nach dem Beispiel des Wahl-O-Mat mit irgendwelchen Antworten aus Partei-Programmen abspeisen zu lassen, wären folgende Fragen zur Entscheidungsfindung interessanter:

Wer garantiert uns, daß keine "Laufzeitverlängerungen" kommen, wenn - wider alle Prognosen - am 27. September "Rot-Grün" die Mehrheit erlangt?

Würde sich etwa Frank-Walter Steinmeier nicht trauen, "Laufzeitverlängerungen" zu beschließen?
Würde sich etwa Sigmar Gabriel nicht trauen, "Laufzeitverlängerungen" zu beschließen?
Würde sich etwa Jürgen Trittin nicht trauen, "Laufzeitverlängerungen" zu beschließen?
Hat etwa Hermann Scheer eine Chance, Umwelt-Minister zu werden?

Doch ganz unabhängig von einem Ja oder Nein auf diese Fragen und dem, was wir am 27. September tun oder lassen - die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte und die in anderen europäischen Ländern wie beispielsweise Italien, wo 1987 real ein Atom-Ausstieg durchgesetzt werden konnte, lehren uns, daß es in erster Linie auf die Anti-AKW-Bewegung ankommt und nicht auf die Beschlüsse von Regierungen. Mit einer Fixierung auf die Verhinderung von "Laufzeitverlängerungen" und für dem Erhalt eines fiktiven Atom-Ausstiegs in Deutschland wird jedoch versucht, die Anti-AKW-Bewegung in die Defensive zu drängen.

Ein konkreter Ansatzpunkt sind dagegen die Demonstrationen und Blockaden bei den Gorleben-CASTOR-Transporten, die fast jeden Herbst im Wendland stattfinden. Glücklicherweise haben sich in den vergangenen Jahren wieder mehr Menschen und besonders viele junge Menschen dabei beteiligt. Im Zentrum steht dabei unverändert die Forderung nach dem sofortigen Atom-Ausstieg.

Entscheidend ist die Stärke der Anti-AKW-Bewegung.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Info-Serie Atomenergie:

      Folge 1
      Grundlagenwissen

      Folge 2
      Der deutsche "Atom-Ausstieg"

      Folge 3
      Die Subventionierung der Atomenergie

      Folge 4
      Der siamesische Zwilling: Atombombe

      Folge 5
      Umweltverbrechen Uran-Abbau

      Folge 6
      Uran-Ressourcen und die Zukunft der Atomenergie

      Folge 7
      Die Geschichte der Atom-Unfälle

      Folge 8
      Die stille Katastrophe

      Folge 9
      Der italienische Atom-Ausstieg

      Folge 10
      Schwedens "Atom-Ausstieg"

      Folge 11
      Atomenergie in Frankreich

      Info-Serie Atomenergie - Folge 12
      Das ungelöste Problem der Endlagerung

 

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