30.03.2008

1,5 Milliarden Zusatzkosten
beim EPR-Atomkraftwerk

Siemens blamiert sich mit "Vorzeige-Kraftwerk" Olkiluoto

Ein "Vorzeige-Kraftwerk" sollte das neue AKW vom Typ "European Pressurized Water Reactor" (EPR) werden. Dazu hatte das Siemens-Areva-Konsortium der finnischen Regierung bereits im Jahr 2000 ein "Angebot, das sie nicht ablehnen" konnte gemacht: Das EPR-Atomkraftwerk zu einem Festpreis von umgerechnet 3,2 Milliarden Euro, wobei nach internen Informationen mindestens 6 Milliarden Euro Baukosten veranschlagt waren.

Im finnischen Olkiluoto verzögern sich seitdem die Bauarbeiten mehr und mehr. Greenpeace hatte bereits im vergangenen Jahr Berechnungen vorgelegt, wonach so Zusatzkosten über 1,5 Milliarden Euro angefallen sind. Siemens-Areva mußte dies nun bestätigen.

Siemens ist am AKW-Neubau in Olkiluoto zu rund einem Drittel beteiligt. Der erste AKW-Neubau in Europa seit den 1980er Jahren könnte - ohne staatliche Subventionen - dem Konzern zum Verhängnis werden. Nach dem Flop mit dem Transrapid1 ist deutlich geworden, daß die Zeiten, in denen willfährige PolitikerInnen beliebig große Finanzmittel aus dem Staatshaushalt in die Konzernkassen umleiten konnten der Vergangenheit angehören. So könnte sich die seit Jahr und Tag unermüdlich verkündete "Renaissance der Kernenergie" noch als Sargnagel für Siemens herausstellen.

Um den begehrten Auftrag zu bekommen und um der "Renaissance" das Schicksal als Lachnummer zu ersparen, hatte das sich das Siemens-Areva-Konsortium nicht nur zu einem Festpreis verpflichtet. Offenbar waren in die Kalkulation auch die kostendämpfenden und gut geschmierten Behördenverbindungen eingeplant, wie sie bei Aufträgen in einem "Dritte-Welt-Staat" von westlichen Konzernen als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Doch in Finnland traf Siemens-Areva mit der Strahlenschutzbehörde STUK auf einen unerwartet selbstbewußten Kontrolleur. Pfusch am Bau wurde nicht akzeptiert, viele Arbeiten wurden umgehend und nicht selten mehrfach gestoppt und mußten neu ausgeführt werden. In bislang über 1.500 Fällen gab es Abweichungen von den Sicherheitsbestimmungen, deren Nachbesserung die STUK verlangte.

Siemens schiebt dies auf das Heer von über tausend Zulieferfirmen aus 28 Ländern. Doch diese stehen wegen scharf kalkulierter Kostenlimits unter einem extremen Druck. Zudem haben diese Firmen nach über zwei Jahrzehnten AKW-Baupause in Europa keinerlei Erfahrung mit einem Auftrag dieser Größenordnung. Der ursprüngliche Zeitplan wurde mittlerweile zu Makulatur. Vor acht Jahren hieß es noch das erste EPR-Atomkraftwerk werde im Sommer 2009 in Betrieb gehen. Doch die immer wieder verzögerten Baufortschritte, lassen inzwischen eine Fertigstellung vor 2011 wenig glaubhaft erscheinen.

Offenbar um die Aktionäre ruhig zu halten, hatte Areva-Chefin Anne Lauvergeon kürzlich behauptet, man werde sich die Mehrkosten mit dem finnischen Bauherrn teilen. Doch dieser, Teollisuuden Voima Oy (TVO), dementierte umgehend: Siemens-Areva müsse allein für alle Kosten der Verspätung einstehen. Baupreis und Zeitplan für die Fertigstellung des "schlüsselfertig" bestellten Neubaus seien feste Vertragsbestandteile. TVO werde keinesfalls irgendwelche Kosten übernehmen. Darüber hinaus drohen die Finnen mittlerweile unverhohlen, ihnen durch die Verzögerung entstehende Kosten sowie Vertragsstrafen für jeden Tag der Bauverzögerung gegenüber Siemens-Areva geltend zu machen.

Lauri Myllyvirta von Greenpeace Finnland hält die Probleme für ebenso aufsehenerregend wie typisch für AKW-Neubauprojekte: "Der letzte Reaktorneubau in China verspätete sich wegen ähnlicher Probleme um zwei Jahre. In Taiwan liegt man bei einem Neubau um vier Jahre zurück."

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

1 Siehe hierzu auch:

      Aus für Transrapid
      Erfolg für Umwelt und Klima (27.03.08)

Siehe auch unsere Artikel:

      Neues EPR-Atomkraftwerk
      kann durch Flugzeug-Attacke zerstört werden (26.03.08)

      Auch neue EPR-Atomkraftwerke terrorgefährdet
      Greenpeace kritisiert Zensur der französischen Regierung (25.09.05)

      Hermes-Bürgschaften für AKWs in China
      Siemens und "Rot-Grün" Hand in Hand (7.12.04)

      EdF beschließt neuen Reaktor-Standort
      EPR-Reaktor soll in Frankreich gebaut werden (21.06.04)

      Atom-Mafia europaweit im Aufwind? (26.04.04)

      EURATOM-Täuschung
      und weitere Atom-Subventionierung (27.07.03)

 

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