22.08.2009

Sargnagel
für Endlager Gorleben

Verträge laufen 2015 aus

Weltweit gibt es nach wie vor kein Endlager für hochradioaktiven Müll. In Deutschland klammern sich Strom-Konzerne, Siemens und alimentierte PolitikerInnen an den einst von Ernst Albrecht ausgewählten Standort an der "Zonengrenze". Daß Gorleben nachweislich nicht geeignet ist, interessiert nicht und die Hoffnung aller Atomkraft-BefürworterInnen richtet sich bislang auf eine "schwarz-gelbe" Koalition in Berlin, die nach dem 27. September den Weg für die Etablierung des Endlagers Gorleben frei machen sollte. Doch Ironie der Geschichte: Daß die Verträge über das Nutzungsrecht am Gorlebener Salzstock bis zum 31. Dezember 2015 befristet sind, vergaßen die Herrschaften, für die nur die Profite der Gegenwart zählen.

Marianne Fritzen, eine Gorleben-Aktivistin der ersten Stunde, Mitgründerin der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow Dannenberg und mittlerweile 85 Jahre alt, grub dieser Tage vergilbte Kopien alter Verträge aus. In den 1970er Jahren waren ihr Grundstücksverträge in die Hände gefallen, nachdem die DWK (Deutsche Gesellschaft zur Wiederaufarbeitung) mit Druck und viel Geld Bauern zum Verkauf von Gelände über dem Salzstock Gorleben veranlaßt hatte.

Im Sommer 1978 hatte die Anti-Atom-Bewegung Geld gesammelt, um der DWK noch Grundstücke vor der Nase wegschnappen zu können. In Hamburg, Frankfurt und Berlin spendeten GegnerInnen des Endlager-Projekts Gorleben und so kamen rund 800.000 Mark zusammen. So hofften sie, eine entscheidende Parzelle des Gorlebener Bauern Herbert Tiedemann kaufen zu können. Doch als die Atomkraft-GegnerInnen Tiedemann besuchen wollten, war dieser bereits weg. Kurz zuvor hatte er die Parzelle an die DWK verkauft - wie etliche andere Bauern zuvor. An die hundert solche Verträge, so Fritzen, hatte die DWK geschlossen. Das Bundesamt für Strahlenschutz - Rechtsnachfolger der DWK - bestätigt diese Größenordnung.

Doch einige verkauften nicht. Andere verkauften zwar, aber überließen die sogenannten Nießrechte am Salz unter ihren Grundstücken nur befristet der DWK. Diese Nießrechte sind bis zum 31. Dezember 2015 befristet. "Werden die Nießrechte nicht vertraglich neu geregelt, so kann unter Tage nicht ausgebaut werden," erläutert die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow Dannenberg in einer aktuell verbreiteten Medienmitteiling. Ein Sprecher der Umweltorganisation Greenpeace bezeichnete das Auslaufen der Verträge als "Sargnagel für das Thema Gorleben." Doch ein schnelles Ende von Gorleben ist nicht zu erhoffen, wie der Bundes-Atom-Minister Sigmar Gabriel aus der Lage zu schließen meint.

Bundes-Atom-Minister Gabriel nutzt die Gelegenheit, um sich einmal mehr - gerade nun vor der Bundestagswahl - als Gegner des Endlager-Projekts darzustellen: "Angesichts dieser Rechtslage ist es fraglich, ob in Gorleben überhaupt jemals weitergemacht werden kann, selbst wenn man das für sinnvoll hielte." Umso wichtiger sei ein neues Suchverfahren, samt Vergleich verschiedener Standorte. "Wer ausschließlich auf den Standort Gorleben setzt, geht ein hohes Risiko ein, Zeit und viel Geld zu verschwenden," heißt es vom Ministerium.

"Schön wäre es, aber wir werden jeden einzelnen Grundstücksbesitzer, der sein Salzrecht gewahrt hat, überzeugen müssen, daß in Gorleben schon lange nicht mehr erkundet wird, sondern daß es eine Vorfestlegung gibt, der man einen Riegel vorschieben muß," erklärt Bürgerinitiativ-Sprecher Wolfgang Ehmke. Auf jeden Fall sieht sich die Anti-Atom-Bewegung nicht am Ende ihres Lateins, wenn - wie anzunehmen - eine "schwarz-gelbe" Bundesregierung nach den Wahlen die Wünsche der Konzerne in Gorleben zu realisieren versucht.

Vor allem für die Großen Vier - RWE, E.on, Vattenfall und EnBW - ist die Lage kritisch. Seit Jahren warten sie darauf, daß die "Erkundung" des Gorlebener Salzstocks, die illegal aber real längst ein Ausbau zum Endlager1 war, weitergeht. Bisher verhindert dies ein Moratorium, das spätestens im Herbst 2010 endet und frühestens nach der Bundestagswahl von "Schwarz-Gelb" gekippt werden kann. Dann allerdings benötigt das Behörden-Räderwerk nochmals einige Zeit, bis die "Erkundung" formal wieder anlaufen kann - bis Ende 2015, das wird knapp.

Die Großen Vier, die darauf verweisen, daß sie bereits 1,4 Milliarden Euro - von hunderten Milliarden an staatlichen Atom-Subventionen - in die "Erkundung" des Gorlebener Salzstocks investiert hätten, drängen zur Eile. Möglichst schnell müsse nun das Moratorium fallen, denn eine Verlängerung der Salzverträge werde "eher schwierig", heißt es von ihrer Seite. Als es nach dem Regierungswechsel 1998 und dem Start der "rot-grünen" Bundesregierung in der öffentlichen Diskussion um einen realen Atom-Ausstieg ging, warnten die Großen Vier vor Enteignung und dem Beginn des Sozialismus. Doch mit Blick auf die abgeschlossenen Grundstücksverträge drohen sie selbst nun unverhohlen mit Enteignung: Mit der Enteignung der GrundstückseigentümerInnen.

Die rechtlichen Mittel und willfährige PolitikerInnen stehen den Großen Vier zur Verfügung. Doch diesmal spielt die Zeit gegen sie. Zwar kann das Recht auf Enteigung von "Schwarz-Gelb" in die entsprechenden Gesetzestexte flink eingefügt werden. Doch jedem Enteigneten steht der Rechtsweg offen. Zunächst kann gegen die Enteigung geklagt werden und daraufhin gegen die Höhe der Entschädigung. Und das kann dauern.

"Die Rechtsposition der Gorleben-Betreiber wankt. Das Jahr 2015 könnte ein Schlüsseljahr werden, doch wir drängen natürlich schon jetzt auf die Aufgabe Gorlebens. Der Treck der Bauern nach Berlin und die Anti-Atom-Demo am 5. September soll ein anti-nuklearer Paukenschlag werden", sagt Ehmke.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unseren Artikel:

      Illegaler Ausbau unter Gorleben
      1,5 Milliarden Euro bereits für Ausbau als "Endlager" investiert
      (28.05.09)

Siehe auch:

      Der deutsche "Atom-Ausstieg"
      Folge 2 der Info-Serie Atomenergie

      Die Subventionierung der Atomenergie
      Folge 3 der Info-Serie Atomenergie

      Das ungelöste Problem der Endlagerung
      Folge 12 der Info-Serie Atomenergie

 

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