28.03.2009

28. März 1979
Der Atom-Unfall von Harrisburg

In einem Atomkraftwerk bei Harrisburg im US-Bundesstaat Pennsylvania ereignete sich der bislang schwerste Atomunfall der USA. Eine teilweise Kernschmelze erzwang die Evakuierung der Umgebung, nachdem radioaktiv verseuchtes Gas in die Atmosphäre entwichen war.

Erst durch einen Kommissionsbericht an den US-Präsidenten Carter wurde am 31. Oktober 1979 bekannt, daß zwei Wasserstoff-Explosionen im Reaktorkern stattgefunden hatten. Nachdem der Reaktor des AKW Three Mile Island - so die offizielle Bezeichnung - Jahre später geöffnet werden konnte, wurde rekonstruiert: Auf dem Höhepunkt des "Störfalls" lag die Temperatur mit rund 1.400 Grad Celsius nur etwa 100 Grad unter dem Schmelzpunkt der Stahlwände des Reaktordruckbehälters.

Der Druckwasser-Reaktor 2 des AKW Three Mile Island war erst im Jahr zuvor in Betrieb genommen worden. Der Kernschmelz-Unfall von Harrisburg war der bis dahin schwerste in einem kommerziellen Atomkraftwerk und wurde von der IAEO auf der INES-Skala auf Stufe 5 von insgesamt 7 Stufen eingeordnet.1

Das, was Atomkraft-GegnerInnen auf der ganzen Welt befürchtet hatten und was nach offiziellen Risiko-Studien nur einmal in 10 Millionen Jahren vorkommen dürfte, trat ein. In Folge der Verkettung von Abläufen, bei denen die Bedien-Mannschaft folgenschwere Fehler begangen hatte, war ein Teil des Reaktorkerns geschmolzen.

Ein offenes Ventil, das in der Nacht zum 28. März erst nach zwei Stunden entdeckt wurde, führte zu einem Druckabfall im Reaktorkern. Daraufhin sprangen Einspeise-Pumpen an. Weil die Bedien-Mannschaft annahm, daß genügend Kühlmittel vorhanden sei, wurden sie abgestellt. Ein Dampf-Wasser-Gemisch löste bei den Kühl-Pumpen heftige Vibrationen aus, die im gesamten Gebäude bemerkbar waren. Darauf wurden auch diese abgeschaltet. Im Reaktorkern sank der Wasserstand, jede Minute ging rund eine Tonne Kühlmittel verloren. Die Brennstäbe wurden freigelegt, überhitzten und schmolzen teilweise. Es bildete sich gasförmiger Wasserstoff, weil durch die Überhitzung das Hüllmaterial der Brennelemente mit dem Kühlwasser chemisch reagierte. Mehrere Tage lang galt eine Knallgas-Reaktion (explosive Reaktion von Wasserstoff mit Sauerstoff), die den Reaktordruckbehälter hätte sprengen können, als möglich, ja sogar als wahrscheinlich. In aller Welt verfolgten die Menschen besorgt die Nachrichten. Der Gouverneur des US-Bundesstaates Pennsylvania kam nicht mehr umhin, die Evakuierung der Bevölkerung in der Umgebung des AKW zu veranlassen. 200.000 Menschen aus der Umgebung des AKW flohen vor der Bedrohung durch die unsichtbare radioaktive Strahlung.

Laut der offiziellen Rekonstruktion des Unfall-Hergangs begannen die Fachleute erst dreieinhalb Stunden nach Beginn die Tragweite zu erkennen. Es wurde neues Wasser in den Primär-Kreislauf gepumpt. Später wurde ein Sicherheits-Ventil geöffnet, um den Druck zu reduzieren. Nach neun Stunden entzündete sich das Knallgas-Gemisch im Containment und dessen Innendruck erreichte kurzfristig die Nähe des Auslegungs-Drucks. Es waren 16 Stunden vergangen als die Pumpen im Primär-Kreislauf wieder eingeschaltet wurden und ein großer Teil des Reaktor-Kerns war bereits geschmolzen. Während der darauffolgenden Wochen wurde sowohl Wasserstoff als auch Wasserdampf aus dem Reaktor entfernt. Das geschah zum einen durch Kondensatoren, aber auch - was sehr umstritten war - durch einfaches Ablassen in die Umgebung. Es wurde geschätzt, daß während des Harrisburg-Unfalls radioaktives Gas (überwiegend Krypton-85) mit einer Aktivität von rund 1.665 Tera-Becquerel entwich.

Tatsächlich soll kritischen BeobachterInnen zufolge insgesamt mindestens 40mal mehr Radioaktivität in die Umgenbung entwichen sein, als die Sonderkommission des US-Präsidenten errechnet hatte. Die Beseitigung der Schäden dauerste mindestens zwölf Jahre und kostete nach offiziellen Angaben umgerechnet rund eine Milliarde Euro. Block 1 des AKW Three Mile Island ist nach wie vor in Betrieb und soll nicht vor 2014 stillgelegt werden.

In einer ersten Studie wurden laut einer medizinischen Untersuchung bei rund 30.000 AnwohnerInnen keine gesundheitlichen Folgeschäden festgestellt. Rund 2000 Schadensersatz-Klagen von Betroffenen wurden daraufhin im Jahr 1996 von einem Bundesgericht abgewiesen.

Bürgerinitiativen wie 'Three Mile Island Alert' und die 'Union of Concerned Scientists' zweifelten die Aussagen von Atom-Industrie und der Atomkontrollbehörde NRC an. Laut 'Three Mile Island Alert' gab es zahlreiche AnwohnerInnen im Umkreis einer Meile, die nach dem Unfall krank wurden oder sogar starben. Eine weitere - unabhängige - Studie2 zeigte schließlich, daß die Häufigkeit von Leukämie in der Hauptwindrichtung des AKW acht- bis zehnmal höher ist als auf der anderen Seite. Die Lungenkrebserkrankungen stiegen in der betroffenen Region um 30 Prozent.

Zumindest in den USA wurde nach 1979 kein einziges AKW mehr gebaut. Daran konnte auch US-Präsident George W. Bush nichts ändern, der in den acht Jahren seiner Amtszeit fortlaufend eine "Renaissance der Atomenergie" ankündigte.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

1 Siehe hierzu:

      Die Geschichte der Atom-Unfälle
      Folge 7 der Info-Serie Atomenergie

2 Studie von Steve Wing et al.,
      veröffentlicht am 24.02.1997
      im US-Wissenschaftsmagazin 'Environment Health'

 

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