22.11.2003

Endlager für Atommüll
in Italien?

Eine Region probt den Widerstand

Hierzulande ist es ja kaum bekannt, daß europäische Länder wie Österreich, Portugal oder Italien ihren Atomausstieg längst hinter sich haben. Stattdessen wird der deutsche Atom-Minister Trittin in den Massenmedien als Vorreiter des europäischen "Atom-Ausstiegs" propagiert, nachdem innerhalb von fünf Jahren "rot-grüner" Regierung gerade mal ein einziges von 19 AKWs abgeschaltet wurde - und dieses, das AKW Stade, ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen.

Ein Jahr nach der Katastrophe von Tschernobyl, 1987, hatten die ItalienerInnen es geschafft, per Volksentscheid aus der Atomenergie auszusteigen. Alle drei in Betrieb befindlichen AKWs wurden stillgelegt und ein viertes, nahezu fertiggestelltes wurde auf Gas-Öl-Betrieb umgerüstet. Dies konnte auch die Berlusconi-Regierung bisher nicht rückgängig machen (soviel zu den von "Rot-Grün" immer wieder beschworenen Phantasmorgien, eine Unions-geführte Regierung könne den deutschen "Atom-Ausstieg" aufheben). Allerdings befinden sich die radioaktiven Brennstäbe immer noch in den Abklingbecken der italienischen AKWs oder in provisorischen Lagern.

Ähnlich manchen osteuropäischen Ländern dürfte es auch für die Berlusconi-Regierung interessant sein, Italien - für viel Geld - als europäisches Endlager für Atommüll feil zu bieten. Denn überall in Europa, im Wendland, in Lothringen, in der Nordschweiz, stoßen die atomaren Endlager-Pläne auf heftigen Widerstand. Dies ist nicht auf eine Kirchturmpolitik zurückgebliebener Hinterwäldler zurückzuführen, sondern hat seine Ursache darin, daß die Menschen genau wissen, daß alle bisher ausgekundschafteten geologischen Formationen schlicht ungeeignet für die Lagerung von radioaktivem Abfall sind, der für hunderte von Millionen Jahren für jedes Leben eine Gefahr darstellt.

So wurde nun bekannt, daß die Berlusconi-Regierung überraschend einen Beschluß gefaßt hat, im sonst kaum beachteten Süditalien ein Endlager für Atommüll zu bauen. Der heftige Widerstand dürfte sie allerdings überrascht haben. Ähnlich wie im Wendland herrscht Ausnahmezustand: Straßen und Eisenbahnstrecken wurden blockiert, zu Demonstrationen kamen in den dünn besiedelten Gebieten Tausende von DemonstrantInnen und seit einer Woche kommt die Region Basilicata nicht mehr zur Ruhe.

Im bisher überregional kaum je aufgefallenen Städtchen Scanzano Ionico soll - so heißt es - der gesamte radioaktive Müll aus der Zeit des atomaren Irrwegs deponiert werden. Zunächst hatte es geheißen, Sardinien solle zur Atommüll-Deponie werden, doch seit diese Pläne im Sommer bekannt wurden, hatten die SardInnen für anhaltende "Unruhe" gesorgt. So war es eine Blitzentscheidung, die für wissenschaftliche Erkundung keinerlei Zeit ließ, daß die Salzstöcke von Scanzano als Endlager ausgesucht wurden. Die Entscheidung des italienischen Parlaments wurde zudem von der 'Sogin', der noch bestehenden Betreibergesellschaft der Nuklearanlagen vorgegeben. Und dabei scheint deren Präsident, Carlo Jean, ein Ex-General, federführend gewesen zu sein. Jedenfalls wird - wie auch im Fall des Salzstocks bei Gorleben im Wendland - einfach mal behauptet, die rund 80.000 Kubikmeter strahlender Müll, davon 4.000 Kubikmeter hoch radioaktiv, seien in 800 Meter Tiefe im Salz "absolut sicher".

In sechs Jahren soll es soweit sein. Die Berlusconi-Regierung beschloß zudem - das "rot-grüne" Modell in Gorleben stand offenbar Pate - , sogleich ein provisorisches Zwischenlager in Scanzano einzurichten. Scanzano liegt direkt an der Küste an der "Sohle" des italienischen Stiefels in der Region Basilicata, wo seit Jahren der Tourismus intensiv gefördert wurde. Aktuell gab es Pläne, ein großes Feriendorf zu bauen, was allerdings mit der Bekanntheit als atomarem Endlager kaum noch Touristen anlocken dürfte - die Chef-Manager (unseres Wissens ist darunter keine Frau) von EdF, Vattenfall oder EnBW und ihre Familien mit Sicherheit ausgenommen.

Beträchtliche Einbrüche befürchtet die gesamte Region Basilicata auch für die Landwirtschaft, ihrem zweiten wirtschaftlichen Standbein. Deshalb beteiligten sich vom ersten Tag an alle PolitikerInnen der Region parteiübergreifend am Widerstand. Der konservative Bürgermeister von Scanzano verfügte umgehend die Beschlagnahmung der Salzminen. Das Regional-Parlament - von einer Mitte-links-Koalition regiert - beschloß auf einer in Scanzano abgehaltenen Sondersitzung einstimmig den Gang vors italienische Verfassungsgericht, da die Region an der Entscheidung der Berlusconi-Regierung zu keinem Zeitpunkt beteiligt worden sei. Und seit der Bekanntgabe des Endlager-Beschlusses ist die gesamte Region praktisch lahmgelegt.

Am 20.11. nun reagierte die Berlusconi-Regierung erstmals. Der prompt erfolgte Beschluß, auf die Errichtung des Zwischenlagers zu verzichten, scheint allerdings nur ein taktischer Rückzug zu sein. Denn der Bau des atomaren Endlagers wurde keineswegs in Frage gestellt. Und so zeigt sich die Protestfront vom scheinbaren Einlenken unbeeindruckt. Die Straßen- und Gleisblockaden werden fortgesetzt und die Kinder von Scanzano pflanzen Bäume auf dem für das Endlager vorgesehenen Gelände. Am morgigen Sonntag soll eine Großdemonstration stattfinden.

 

Adriana Ascoli

 

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