10.12.2008

Das Märchen
von der Renaissance der Atomenergie

Am 24. November 1969 verkündete Prof. Dr. Heinrich Mandl von der RWE, einem der vier den deutschen Strommarkt beherrschenden Konzerne, in Wien bei der Tagung "Kernenergie als Gemeinwirtschaftliche Aufgabe", daß im Rahmen des deutschen Atom-Programms bis zum Jahr 2000 in der Bundesrepublik Deutschland 150 Atomkraftwerke in Betrieb sein würden. Tatsächlich betrug die Zahl der deutschen AKW im Jahr 2000 dann 19. Also nicht mal 15 Prozent des von Mandl verkündeten Planziels.

Derzeit (Stand: 9.12.08) sind nach offiziellen Angaben weltweit 439 AKW in Betrieb. Dabei ist zu berücksichtigen, daß in manchen Ländern wie beispielsweise Frankreich sechs Reaktoren eines Atomkraftwerks als sechs Atomkraftwerke gezählt werden. Ebenfals laut offiziellen Angaben befänden sich weltweit 42 Atomkraftwerke im Bau. Doch gezählt werden hierbei auch Bauvorhaben, die seit Jahren keine Baufortschritte zeitigen auf deren Baubeginn vor 1988 liegt.

Auch in Deutschland wurde bereits seit der Reaktor-Katastrophe in Tschernobyl 1986 kein Bau eines AKW mehr beantragt. (Und 1989 ging mit Block 2 des AKW Neckarwestheim der letzte vor 1986 beantragte Reaktor ans Netz.) Ebensowenig wurde in den USA - entgegen fortlaufender Ankündigungen - seit der Beinahe-Katastrophe von Harrisburg 1979 bis heute kein einziges AKW mehr in Auftrag gegeben.

Seit Beginn dieses Jahrtausends stagniert die Zahl der offiziellen globalen AKW-Statistik bei rund 440. Auch vom sogenannten Bau-Boom bei Atomkraftwerken kann keine Rede sein. Im Jahr 2006 wurde gerade einmal mit dem Bau von vier AKW begonnen. Acht Atomreaktoren mit zusammen 2.236 Megawatt wurden stillgelegt und zwei Atomreaktoren mit zusammen 1.490 Megawatt, deren Bau bereits Jahre zuvor begonnen worden war, in Betrieb genommen. Im Jahr 2007 wurde weltweit mit dem Bau von sechs AKW begonnen.

Seit Jahren schon mußten weltweit deutlich mehr Atomkraftwerke stillgelegt werden als durch Neubauten ersetzt werden können, da ihre anlagenbedingte maximale Betriebsdauer längst überschritten wurde. Die ursprünglich vorgesehene maximale Betriebsdauer von meist 25 Jahren wird von Betreiberseite gerne verschwiegen. Stattdessen wird - in Deutschland beispielsweise mit dem sogenannten Atom-Ausstiegsgesetz - die Betriebszeit auf 35, 40 oder - wie in den USA bereits die Rede ist - gerne auf 60 Jahre verlängert.

Die Strategie der Energie-Konzerne ist de facto also längst eine defensive. Da in anderen Sparten höhere und - vor allem - schnellere Gewinne zu erzielen sind, haben sie kein Interesse, selbst größere Summen in den Neubau von Atomkraftwerken zu investieren.

Die rein betriebswirtschaftlichen Erzeugungskosten einer Kilowattstunde Atomstrom liegen unter derzeitigen Bedingungen bei rund einem Cent. Damit lassen sich durch Verkauf zum Strombörsenpreis Gewinnmargen von bis zu 500 Prozent erzielen. Daraus resultieren Nettogewinne von jährlich rund 300 Millionen Euro je Atomkraftwerk. Ein stromproduzierendes und abgeschriebenes AKW ist also mit einer legalen Gelddruckmaschine zu vergleichen.

Für den Bau eines AKW sind jedoch bei den gegenwärtigen Baukosten rund 5 Milliarden Euro zu veranschlagen. Bei einem jährlichen Gewinn von rund 300 Millionen Euro - der zudem erst nach schätzungsweise sieben Jahren Bauzeit zu realisieren ist - würde es weitere 16 Jahre dauern, um auch nur die Baukosten wieder hereinzufahren. An eine Vermehrung des eingesetzten Kapitals - den einzig entscheidenden Faktor im Kapitalismus - ist also in den genannten Zeiträumen nicht zu denken. Keine Bank war in den vergangenen Jahrzehnten bereit, für ein solches Geschäft Kredit zu geben.

Wenn dennoch weiterhin Millionen in die Propaganda einer "Renaissace der Atomenergie" gesteckt werden, hat die zweierlei Gründe: Erstens verschleiert dies die defensive Position der Nuklear-Industrie und läßt sie weiterhin stark und mächtig erscheinen. Zweitens hofft die Branche darauf, wie in frühreren Zeiten, Regierungen insbesondere in diktatorisch regierten Staaten dafür zu gewinnen, die Rolle als Kreditgeber zu übernehmen.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch:

      AKW Fessenheim für weitere Jahrzehnte?
      Versprecher oder Insider-Wissen? (4.12.08)

      AKW-Unfall in China drei Wochen verheimlicht
      Technik von Siemens unfallträchtig (19.09.08)

      Ein Leuchtturm mit waffenfähigem Uran
      Die TU München hält den zugesagten Termin für Garching II nicht ein
      (9.09.08)

      Atomkraftwerke sind potentielle Terror-Ziele
      BUND warnt vor 9/11 in Deutschland (5.09.08)

      Asse II: Der Wechsel zum BfS ist nur Pop
      Rückholung des radioaktiven Mülls bislang nicht geplant (5.09.08)

      Gefahr durch atomares Versuchslager Asse II nicht länger geleugnet
      Atom-Minister Gabriel: "Zustände in Asse sind unhaltbar"
      Wird das Bergwerk geräumt? (2.09.08)

      Spanisches AKW nach Brand abgeschaltet
      Skandalöse Zustände in spanischen Atomkraftwerken (25.08.08)

      Schweizer AKW Leibstadt:
      Zwei Mitarbeiter radioaktiv kontaminiert (8.08.08)

      Erneut Atom-Unfall in Frankreich
      100 Menschen radioaktiv kontaminiert (24.07.08)

      Erneut Atom-Unfall in Frankreich
      15 Menschen radioaktiv kontaminiert (22.07.08)

      Globaler Energie-Vergleich:
      13 mal soviel Zubau an Windenergie wie an Atomenergie (20.07.08)

      Französische Atom-Industrie bleibt im Gespräch
      Erneute Leckage (18.07.08)

      Nach Unfall beim AKW Tricastin
      Überprüfung des Grundwassers bei französischen AKW (17.07.08)

      AKW Tricastin:
      Flüsse in Südfrankreich radioaktiv kontaminiert (8.07.08)

      AKW Neckarwestheim:
      Hohe Tritium-Konzentration im Neckar (23.06.08)

      Skandal-Grube Asse II
      Eindringendes Wasser radioaktiv kontaminiert (12.06.08)

      Schwerer Störfall im AKW Philippsburg I
      Reaktor heruntergefahren (6.06.08)

      Schwerer AKW-Störfall in Slowenien
      Radioaktives Kühlwasser trat aus (4.06.08)

      AKW Neckarwestheim I heruntergefahren
      Reaktordruckbehälter undicht (23.05.08)

      Minderwertiger Beton bei Bau des "Zwischenlagers"
      beim AKW Neckarwestheim? (8.05.08)

      AKW-Unfall in Spanien
      Greenpeace ortet Radioaktivität bei Tarragona (8.04.08)

      Brand im AKW Brokdorf (14.03.2008)

      AKW Fessenheim: Block 2 abgeschaltet
      Leck im Primärkreislauf (20.02.08)

      AKW Gundremmingen Block B abgeschaltet
      Weitere Indizien für illegales "AKW-Tuning" (9.01.08)

      Krebs-Häufung in der Nähe von AKWs
      Neue Studie im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz
      (7.12.07)

      Informationen zum deutschen "Atom-Ausstieg"

      Atom-Ausstieg selber machen!

 

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