8.07.2009

Hiroshima, Nagasaki
und die Atomkraft
- strahlende Folgen

Vortrag von Prof. Dr. Inge Schmitz-Feuerhake in Freiburg

Auf Einladung des Vereins ECOtrinova, des Deutsch-Japanischer Kulturvereins Freiburg und des AK Umwelt des Freiburger U-AStA sprach die Physikerin und Mathematikerin Inge Schmitz-Feuerhake gestern (Dienstag) in der Universität Freiburg über die Hintergründe der sich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder geänderten wissenschaftlichen Bewertung der Gefährlichkeit von Niedrigstrahlung.

Lange Zeit zählten die Opfer der Atombomben-Abwürfe über Hiroshima (6. August 1945) und Nagasaki (9. August 1945) als einziges Referenz-Kollektiv, um die Folgen radioaktiver Strahlung wissenschaftlich abzuschätzen. Schmitz-Feuerhake zeigte in ihrem Vortrag auf, durch welche Fehler in der statistischen Auswertung der Krebs- und Todesfälle in Folge der Atombomben-Abwürfe auf Hiroshima und Nagasaki die Gefährlichkeit radioaktiver Strahlung über viele Jahre hin drastisch unterschätzt wurde. Erst in jüngster Vergangenheit wurde die Annahme einer Dosis-Schranke, eines Schwellen-Werts, unterhalb dessen radioaktive Strahlung ungefährlich sei, fallen gelassen.

Über die Jahre hin mußte die wissenschaftliche Lehrmeinung, welches Gesundheitsrisiko mit Niedrigstrahlung verbunden ist, mehrmals korrigiert und die bei niedriger Strahlendosis statistisch zu erwartende Wirkung um ein Vielfaches heraufgesetzt werden. Auch Forschungsergebnisse bei Uranbergleuten, Atomarbeitern, Röntgen-Bestrahlten, Kindern im Umkreis von Atomanlagen und nicht zuletzt Untersuchungen nach den Reaktor-Katastrophen in Harrisburg, 1979, und in Tschernobyl, 1986, trugen zu einer Revision der noch in den 1950er und 1960er mit Hilfe der Wissenschaft verbreiteten Verharmlosung der Radioaktivität bei.

Und erst im Jahr 2004 hat sich - nicht ohne wütende Attacken von Seiten der Atomlobby - die Fachwelt dazu durchgerungen, eine erhöhte Lungenkrebsrate durch die übliche Radonkonzentrationen in Häusern als real anzunehmen. Wie allen bekannt ist, die sich mit Bergwerken und Strahlenschutz beschäftigen, ist Radon das natürlich vorkommende alphastrahlende Edelgas, Folgeprodukt von Uran beziehungsweise Thorium und Radium, das in der Atmosphäre vorkommnt. In Wohnungen staut es sich auf und führt zu einer nicht unwesentlichen Strahlenbelastung, da es mit der Atemluft in den Körper gelangt.

Erst fünf Jahre nach den Bomben-Abwürfen auf Hiroshima und Nagasaki wurde ein US-Forschungsinstitut in Japan gegründet. Rund 20.000 Überlebende wurden registriert und daraufhin alle zwei Jahre zu Untersuchungen einbestellt. Dieses Institut wurde in der 1970er Jahren in japanische Oberhoheit überführt.

Entgegen landläufiger Meinung waren die 20.000 Überlebenden, die jenes Referenz-Kollektiv bildeten, keineswegs Hochradioaktivität ausgesetzt. In den 1950er Jahren nahm die Wissenschaft an, die Dosis der Niedrigstrahlung, der ein Teil dieses Referenz-Kollektivs ausgesetzt war, gut bestimmen zu können. Ausgehend vom Mittelpunkt, dem Zentrum der Bomben-Explosion wurden die Menschen verschiedenen konzentrischen Kreisen zugeordnet. So galt die sogenannte Niedrigdosis-Gruppe mit rund 10.000 Personen, die einer angenommenen Dosis von 200 Milli-Sievert (mSv) ausgesetzt war, als "gut besetzt". Auf der Grundlage dieser Daten wurden die lange Zeit verwendeten Dosisleistungskurven erstellt.

Bei der Berechnung der Radioaktivitäts-Dosis, der die Niedrigdosis-Gruppe ausgesetzt war, blieb der Fall-Out unberücksichtigt. Ebenfalls nicht mit eingerechnet wurde die Neutronenstrahlung. Als ein weiteres Problem stellte sich die Wahl der Kontroll-Gruppe heraus. Das US-amerikanische Forschungsinstitut hatte dazu Menschen nach dem Kriterium "not in the city" ausgewählt, die sich also nicht im unmittelbaren Wirkungsbereich der Hiroshima- und der Nagasaki-Bombe aufgehalten hatten. Die Menschen dieser Kontroll-Gruppe waren jedoch vielfach ebenso den Folgen des Fall-Out ausgesetzt, so daß auf diese Weise nicht die Differenz zu einem Null-Niveau, sondern die geringere Differenz zu einer ebenfalls belasteten Gruppe die registrierten Strahlenfolgen verkleinerte.

Auf der Grundlage solcher falscher, aber wissenschaftlich legitimierter Daten wurden Strahlenwirkungskurven erstellt und diese dienten viele Jahre dazu, beispielsweise beim Arbeitsschutz, Niedrigstrahlung zu verharmlosen und Menschen einer gefährlichen Strahlenbelastung auszusetzen.

Noch bis Mitte der 1970er Jahre war es wissenschaftliche Lehrmeinung, daß Niedrigstrahlung außer Leukämie keinen Effekt haben könne. Doch 25 Jahre nach den Bomben-Abwürfen auf Hiroshima und Nagasaki stieg die Zahl solider Tumore in der Referenz-Gruppe an. Es zeigte sich zudem, daß "harte", hochenergetische Gamma-Strahlung weniger biologisch effektiv ist als niederenergetische wie beispielsweise Röntgen-Strahlung.

Weitere Kritik an der Aussagekraft der Daten, die auf der japanischen Referenz-Gruppe beruhten, wurde laut. So war etwa nicht berücksichtigt worden, daß in dieser Gruppe von Überlebenden der Anteil von Menschen mit robuster Gesundheit überdurchschnittlich hoch war. Die gesellschaftliche Diskriminierung der Überlebenden, der "Hibakusha", zu denen heute noch rund 340.000 Menschen zählen und die erst ab 1968 ein unentgeltliche ärztliche Betreuung erhielten, führte zu Falschangaben. Zudem wurde eine große Zahl der zwischen 1945 und 1950 geborenen mißgebildeten Kinder nicht registriert.

Immerhin wurde auf der Grundlage der Daten von Hiroshima und Nagasaki festgestellt, daß die Wirkung dosisproportional ist. Dies bedeutet, daß es keine Mindestdosis gibt, unterhalb der radioaktive Strahlung als ungefährlich gelten könnte.

Bereits in den 50er Jahren hatte die englische Epidemiologin Alice Stewart entdeckt, daß diagnostisches Röntgen bei Schwangerschaften zu Leukämie bei den später geborenen Kindern führt. Dieses Diagnose-Verfahren wurde bei Zwillingsverdacht oder Lageanomalien angewandt. Das Wissen um dieses Leukämie-Risiko ist - nach 50 Jahren - ebenfalls Stand der Wissenschaft geworden, nach unzähligen Versuchen, es zu widerlegen mit großenteils abenteuerlichen Ersatzhypothesen. Auch die Internationale Strahlenschutzkommission ICRP hat das letztlich akzeptiert. Die ICRP ist das maßgebliche Gutachtergremium, an dessen Empfehlungen sich die Industrienationen in ihrer Gesetzgebung halten. Sie hat den Begriff des "stochastischen Schadens" eingeführt. Das ist der Schaden, der bei niedriger Dosis zu erwarten ist. Wenn eine Bevölkerung mit einer niedrigen Dosis bestrahlt wird wie beispielsweise durch diagnostisches Röntgen oder durch Umweltradioaktivität, dann werden Mutationen und Krebserkrankungen erzeugt. Es trifft nicht jeden und es ist nicht möglich vorherzusagen, wen es trifft. Aber die Wahrscheinlichkeit, die mit steigender Dosis größer wird, läßt sich angeben. Mit abnehmender Dosis sinkt die Wahrscheinlichkeit, aber bei der halben Dosis gibt es immer noch den halben Effekt, und das Risiko geht erst auf Null herunter, wenn die Dosis Null wird.

Ein Dosisgrenzwert für eine zusätzliche Strahlenbelastung von Personen bedeutet somit die Inkaufnahme realer und konkreter Todesfälle. Doch nach wie vor wird gern behauptet, daß die Grenzwerte so niedrig sind, daß statistisch erkennbare Strahlenschäden - also solche, die in den ohnehin Vorhandenen meßbar sein würden - nicht auftreten.

Die Dosisgrenzwerte, die angeblich bei beruflich Strahlenexponierten nie ausgenutzt worden sind, haben aber zu meßbaren signifikanten Erhöhungen von Krebserkrankungen geführt. Das war in den 90er Jahren klar, als Beschäftigte in kerntechnischen Anlagen bei zwei sehr umfangreiche Studien über längere Zeiträume untersucht wurden. Eine dieser Studien wurde in den USA im Oak Ridge National Laboratory vorgenommen und die andere, eine britische Verbundstudie an allen dortigen Anlagen. Beide zeigten erhebliche Unterschätzungen der Strahlenfolgen, wenn diese auf der Grundlage der registrierten Dosiswerte und der Risikowerte der ICRP abgeschätzt worden waren.

Zur Person:

Prof. Dr. Inge Schmitz-Feuerhake studierte Physik und Mathematik in Hannover und Würzburg. Sie promovierte 1966 zum Dr. rer.nat. über Dosimetrie des radioaktiven Fallout von Atombomben. Von 1973 bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 2000 hatte sie eine Professur für Experimentelle Physik an der Universität Bremen inne und arbeitete über Fragen der Dosimetrie, des Strahlenschutzes und der gesundheitlichen Wirkungen von ionisierender Strahlung. Intensiv hat sich Schmitz-Feuerhake nicht nur mit Kinderleukämie bei Atomanlagen und dem Brustkrebsrisiko durch Röntgen befaßt, sondern immer wieder mit der über Jahrzehnte hin weltweit viel zu niedrigen offiziellen Beurteilung des Strahlenrisikos. Seit 1989 ist sie Vorsitzende des Otto Hug Strahleninstituts e.V., 1990 Mitgründerin der Gesellschaft für Strahlenschutz e.V.. Sie ist Mitglied des Kuratoriums der Deutschen Umweltstiftung und des Wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Sektion von IPPNW Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in Sozialer Verantwortung e.V. sowie seit 2003 Vorsitzende des European Committee on Radiation Risk ECRR. 2003 erhielt sie den Nuclear-Free Future Lifetime Achievement Award.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch:

      Die stille Katastrophe
      Folge 8 der Info-Serie Atomenergie

 

neuronales Netzwerk