15.08.2003

Brasilien setzt
Amazonas-Zerstörung fort

Auch unter dem von europäischen Regierungen als so fortschrittlich gelobten, "sozialdemokratischen" brasilianischen Präsidenten Lula schreitet die Zerstörung der Regenwälder des Amazonas voran. Die brasilianische Regierung selbst plant Bauten mit katastrophalen Auswirkungen.

Die IAG (International Advisory Group), eine internationale Expertengruppe erhebt schwere Vorwürfe gegen die neue brasilianische Regierung unter Präsident Lula. Die ExpertInnen, die ein Pilotprogramm zur Rettung der Regenwälder Brasiliens begleiten übergaben aktuell ein Gutachten an die brasilianische Umweltministerin Marina Silva, die offenbar ähnlich wie bereits vor Jahren einmal José Lutzenberger lediglich als Aushängeschild benutzt wird. Die fünf brasilianischen und zwei deutschen WissenschaftlerInnen begutachteten unter anderem den vorgesehenen Ausbau des Rio Madeira als Wasserstraße, die Asphaltierung der Bundesstrasse BR 163, die von Cuiaba nach Belem quer durch das Amazonas-Gebiet führen soll, einer Gaspipeline von Urucu nach Porto Velho sowie zwei großen Staudammvorhaben zur Stromgewinnung.

"Wir mußten in unserem Gutachten die Regierung Lula auffordern, all diese Vorhaben grundlegend zu überdenken, denn wir konnten nachweisen, daß im Falle der Realisierung katastrophale Folgen für die dort lebende Bevölkerung und für die Wälder Amazoniens vorprogrammiert sind" begründet Prof. Dr. Manfred Niekisch, Mitglied der Kommission und Vizepräsident des Deutschen Naturschutzringes DNR, die ungewöhnlich scharfen Worte des Gutachtens.

Als Beispiel für die Unsinnigkeit der Vorhaben führt Niekisch den Ausbau des Rio Madeira als Wasserstraße an. "Das brasilianische Konsortium begründet die Pläne unter anderem damit, bei verbesserten Transportmöglichkeiten könne die Sojaproduktion von derzeit 3 auf dann 28 Millionen Tonnen gesteigert werden. Dazu benötigt man bei den vorgesehenen 500 Quadratkilometern Staufläche weitere 80.000 Quadratkilometer Anbaufläche, und zwar vor allem in bisher intakten Waldgebieten. Davon ist nirgends die Rede. Sogar Indianerschutzgebiete wären betroffen" erläutert Niekisch. Die ExpertInnen wiesen auch darauf hin, daß zehntausende von Kleinbauern und -bäuerinnen, die bisher an den Flußufern wirtschaften und viele Dörfer, die vom Fischfang leben, durch die Staumaßnahmen ihre Lebensgrundlage verlören und dann in neu zu erschließende Waldgebiete ausweichen müßten.

"Die Lage vor allem im Süden Amazoniens ist schon jetzt völlig chaotisch" charakterisiert Niekisch die aktuelle Situation. "Allein die Aussicht auf die geplanten Maßnahmen führt in großem Stil zu illegaler Landbesitznahme und zum Kahlschlag auch geschützter Primärwälder. Bei Überfliegungen in den Bundesstaaten Amazonas und Rondonia letzte Woche stellten wir fest, daß es nicht arme Kleinbauern sind, die dort die Wälder zerstören, sondern agroindustrielle Großbetriebe, die mit schwerem Gerät große Waldflächen illegal freischlagen. Die brasilianischen Behörden sind so weit weg, daß sie noch nicht einmal zusehen können, geschweige denn handeln".

In Gesprächen mit den Experten bestätigten die staatlichen Naturschutzbehörde IBAMA und die Landvergabe- und Katasterbehörde INCRA, daß sie weder über genügend Personal noch über Fahrzeuge verfügen, um die Lage auch nur einigermaßen unter Kontrolle zu halten. "In Brasilien gibt es noch nicht einmal ein funktionierendes Katastersystem" ergänzt Niekisch.

Ein weiteres Beispiel für Fehlplanung ist die geplante Gaspipeline zur Versorgung der 400.000 Einwohner-Stadt Porto Velho mit Strom. "Die Pipeline würde durch noch ungestörten Regenwald führen, ist aber völlig unsinnig. Es gibt Alternativen, beispielsweise die Verlängerung einer schon bestehenden Stromleitung. Dies wäre ökonomisch viel sinnvoller und ökologisch unbedenklich" gibt Niekisch das Ergebnis der Untersuchung wieder. "Wir haben also keineswegs nur kritisiert, sondern in allen Fällen Wert darauf gelegt, bessere Lösungen aufzuzeigen." Im übrigen sei bei hier nicht einmal geklärt, wem die Flächen an der 520 km langen Trasse gehören.

Ähnlich schlampig sei die erste Umweltverträglichkeitsstudie zu den Staudämmen durchgeführt. "Hier werden Fischarten genannt, die nur mehr als tausend Kilometer entfernt in den Küstenwäldern vorkommen, aber sicher nicht in Zentralamazonien, wo man die Staudämme plant" kritisiert der Biologe Niekisch.

Die neue brasilianische Umweltministerin Marina Silva versicherte dem Expertenteam, daß sie sich der Problematik bewußt sei und die Vorschläge intensiv prüfen werde. Die weltweit bekannte und aus einfachsten Verhältnissen stammende Ministerin war früher selbst Kautschuk-Zapferin und lernte erst im Alter von 16 Jahren Schreiben und Lesen. Sie gilt in den Medien als in der Regierung einflußreich. "Wir wünschen Frau Silva, daß sie sich in der Regierung Lula durchsetzen kann, doch ist Eile geboten" faßt Niekisch die Stimmung des Teams zusammen.

Deutschland ist an der Finanzierung dieses seit 10 Jahren bestehenden Programmes mit rund 350 Millionen US-Dollar beteiligt. "Nach brasilianischen Regierungsangaben ist die Abholzungsrate in den Regenwäldern des Amazonas in den letzten Jahren weiter stark angestiegen. 16 Prozent der Wälder gelten offiziell als vernichtet" führt Niekisch aus, "doch ohne dieses Programm wäre die Situation wohl noch viel schlimmer. Gerade jetzt dürfen sich die internationalen Geber nicht aus Brasilien zurückziehen.

Im Dezember diesen Jahres wird das Expertenteam ein weiteres Gutachten zum Stand der Umsetzung des Pilotprogrammes vorlegen.

 

Frank Bayer

 

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