22.01.2005

Kommentar

Gründung der ASG in Göttingen

Sternstunde der Staatsgläubigkeit

Gewerkschaftslinke, Alt-Sozis, pablistische TrotzkistInnen und andere Politheimat-Vertriebene haben in Göttingen heute eine neue Partei, die ASG, gegründet. Nachdem die SPD seit 1998 bewiesen hat, daß sie die Kohlsche Politik nahtlos nach rechts fortsetzen kann und die PDS den auf der parlamentarischen Linken verwaisten Raum nicht glaubwürdig zu besetzen vermag, schien es Vielen nur eine Frage der Zeit, bis die politische Nachfrage durch ein "glaubwürdiges" Angebot in Form einer neuen linken Partei bedient werden würde. Während die PDS für die Perspektive "Zurück zum Sozialismus" steht, verspricht die neue Partei eine "Alternative im Kapitalismus" - das alte Märchen der Sozialdemokratie aus den 50er und 60er Jahren...

Bei der heutigen Gründungsversammlung in Göttingen, die auf die anstehende Landtagswahl in NRW zielt, einigten sich 60 VertreterInnen von Landesverbänden des Vorläufer-Organisation WASG und ihr alles dominierende Bundesvorstand auf den Namen 'Partei für Arbeit und soziale Gerechtigkeit / Die Wahlalternative'. U-Boote aus der SPD hätten der neuen Partei kaum eine umständlichere Bezeichnung unterschieben können. In Zeiten, in denen das Prinzip der Vermarktbarkeit Vorrang hat, ein nicht wieder gut zu machender Geburtsfehler - aber zugleich auch ein Zeichen von sympathischem Dilettantismus.

Immerhin wurde zugleich ein Grundsatzprogramm verabschiedet, das - wen auch immer - dazu auffordert, die "Hartz-Reformen" zurückzunehmen, eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung zuzulassen oder gar zu initiieren, mehr öffentliche Investitionen zu tätigen und so eine "aktive Beschäftigungspolitik" zu gewähren. Die Frage drängt sich auf, ob "Rot-Grün" die Illusionen der "ASG"-InitiatorInnen bislang erst zur Hälfte zu zerstören vermochte oder ob diese in sich widersprüchlichen politischen "Forderungen" nur noch mit Schizophrenie erklärbar sind.

Laut Umfragen ist die Nachfrage nach einer neuen linken Partei überwältigend groß, und innerhalb der WASG sprachen sich 96,2 Prozent für eine Parteigründung aus, ein Ergebnis von geradezu "realsozialistischer" Dimension. Doch anders als zu jenen grauen Zeiten beteiligten sich bei der WASG an der Urabstimmung im Dezember immerhin 76,7 Prozent der 5.577 abstimmungsberechtigten Mitglieder. Niemand wird sie aufhalten können, sich eine blutige Nase zu holen - immerhin auch eine gewisse rote Zukunft. Und ähnlich wie bei dem Debakel, das sich bei der unvermeidlichen Realifizierung der Grünen vollzog, werden auch nach diesem heute gestarteten Experiment in wenigen Jahren Tausende zurückbleiben, die sich um ihre Träume betrogen fühlen und von "der Politik" für immer die Schnauze voll haben.

Doch abseits des von Medienscheinwerfern beleuchteten Polit-Zirkus zeigt sich, daß gerade unter Jugendlichen eine immer größere Zahl nach einer demokratischen und sozialen Perspektive außerhalb der eingehegten Sphäre von Parlamentarismus und Staatsgläubigkeit zu suchen beginnt.

 

Adriana Ascoli

 

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