6.08.2011

Atombombe und Wahnsinn

"..., weil sie das Leben nicht lieben" (Erich Fromm)

Atombombe Am 16. Juli 1945 wurde die erste Atombombe, die Wissenschaftler im Auftrag der US-Regierung gebaut hatten, oberirdisch bei Alamogordo gezündet. Am 6. August 1945 warf ein US-Bombenflugzeug eine Atombombe, auf den Namen "Little Boy" getauft, über der Küstenstadt Hiroshima ab, wo sie um 8.15 Uhr Ortszeit in etwa 600 m Höhe über dem Boden detonierte. Rund 90.000 Menschen starben sofort, weitere 50.000 Menschen starben innerhalb von Tagen bis Wochen an der Strahlenkrankheit. Am 9. August 1945 wurde eine weitere Atombombe, "Fat Man" genannt, auf Nagasaki, abgeworfen. Bei diesem Angriff kamen 36.000 Menschen sofort ums Leben, weitere 40.000 Menschen wurden so stark verstrahlt, daß sie innerhalb von Tagen bis Wochen starben. In den Jahrzehnten darauf starben weitere Tausende oder bekamen Krebs infolge der Atombomben-Abwürfe.

Das Atombomben-Projekt der UdSSR führte am 29. August 1949 zur erfolgreichen Zündung der ersten sowjetischen Atombombe. Großbritannien erreichte das selbe Ziel am 2. Oktober 1952. Die VR China zündete am 16. Oktober 1964 eine erste Atombombe.

Der Psychoanalytiker und Sozialphilosoph Erich Fromm schrieb 1964, was leider bis heute gültig ist:

"Ich werde mich hier nicht mit allen Aspekten befassen, die einen modernen Krieg motivieren und die großenteils auch schon bei früheren Kriegen genauso vorhanden waren wie beim Atomkrieg. Es geht mir um ein sehr wesentliches Problem, das speziell den Atomkrieg betrifft. Welche Begründung man auch immer für frühere Kriege vorgebracht haben mag - Verteidigung gegen einen Angriff, wirtschaftliche Vorteile, Befreiung, Ruhm, Erhaltung eines bestimmten Lebensstils - alle diese Begründungen sind für einen Atomkrieg nicht mehr stichhaltig. Man kann nicht mehr von Verteidigung, von Vorteilen, von Befreiung oder Ruhm sprechen, wenn "bestenfalls" die Hälfte der Bevölkerung innerhalb von Stunden in Asche verwandelt wird, wenn alle Kulturzentren zerstört sind und das Leben für die Überlebenden auf so barbarische Weise brutalisiert wird, daß sie die Toten beneiden werden. Wie kommt es, daß trotz alledem die Vorbereitungen für den Atomkrieg weitergehen, ohne daß stärker, als dies bisher geschieht, dagegen protestiert wird? Wie ist es möglich, daß nicht mehr Leute mit Kindern und Enkeln aufstehen und laut Protest erheben? Wie kommt es, daß Menschen, die doch vieles haben, wofür es sich zu leben lohnt, oder die doch wenigstens diesen Anschein erwecken, nüchtern die Vernichtung alles dessen erwägen? Es gibt viele Antworten auf diese Fragen, doch gibt es keine befriedigende Erklärung - außer der einen: daß die Menschen deshalb die totale Vernichtung nicht fürchten, weil sie das Leben nicht lieben; oder weil sie dem Leben gleichgültig gegenüber stehen oder sogar weil sich viele vom Toten angezogen fühlen.
Diese Hypothese scheint allen unseren Annahmen zu widersprechen, daß die Menschen das Lebendige lieben und sich vor dem Toten fürchten und daß außerdem unsere Kultur mehr als jede zuvor ihnen Zerstreuung und Vergnügungen bietet. Aber vielleicht sollte man sich fragen, ob unsere Zerstreuungen und Vergnügungen vielleicht etwas ganz anderes sind als Freude und Liebe zum Leben.
(...)
Es ist nicht einmal allzu abwegig zu vermuten, daß der Stolz und die Begeisterung des homo mechanicus über Geräte, die Millionen von Menschen auf eine Entfernung von mehreren tausend Meilen innerhalb von Minuten töten können, größer ist als seine Angst und seine Niedergeschlagenheit über die Möglichkeit einer solchen Massenvernichtung. Der homo mechanicus genießt noch den Sex und den Drink, aber er sucht diese Freuden in einem mechanischen und unlebendigen Rahmen. Er meint, es müsse da einen Knopf geben, den man nur zu drücken brauche, um Glück, Liebe und Vergnügen zu erhalten. (Viele gehen zum Psychotherapeuten mit der Illusion, er könne ihnen sagen, wo so ein Knopf zu finden ist.)
(...)
Man überlege sich einmal, welche Rolle das Töten in unseren Unterhaltungsprogrammen spielt. Die Filme, die Comic Strips, die Zeitungen sind höchst aufregend, weil sie eine Menge von Berichten über Destruktion, Sadismus und Brutalität enthalten. Millionen Menschen führen ein eintöniges, aber behagliches Leben, und nichts bringt sie mehr in Erregung, außer sie sehen, wie einer umkommt, oder lesen darüber, und es ist gleichgültig, ob es sich nun um einen Mord oder einen tödlichen Unfall bei einem Autorennen handelt. Ist das kein Hinweis darauf, wie tief diese Faszination am Toten bereits in uns Wurzeln geschlagen hat?
(...)
Kurz gesagt: Intellektualisierung, Quantifizierung, Abstrahierung, Bürokratisierung und Versachlichung - die Kennzeichen der heutigen Industriegesellschaft also - sind keine Lebensprinzipien, sondern mechanische Prinzipien, wenn man sie auf den Menschen statt auf Dinge anwendet. Menschen, die in einem solchen System leben, werden gleichgültig gegenüber dem Leben und fühlen sich vom Toten angezogen. Freilich merken sie es selber nicht. Sie verwechseln den erregenden Kitzel mit Lebensfreude und leben in der Illusion, ein sehr lebendiges Leben zu führen, wenn sie viele Dinge besitzen und benutzen können. Die spärlichen Proteste gegen den Atomkrieg, die Diskussion unserer Fachleute für Atomkrieg über das Gleichgewicht totaler oder halb-totaler Zerstörung zeigt, wie weit wir uns im "finsteren Tal des Todes" befinden.
Wir finden diese Merkmale einer nekrophilen Orientierung in sämtlichen modernen Industriegesellschaften ohne Rücksicht auf ihre jeweilige politische Struktur. Die Gemeinsamkeiten des russischen Staatskapitalismus mit dem korporativen Kapitalismus sind größer als die Unterschiede. Beiden gemeinsam sind ihre bürokratisch-mechanischen Methoden und ihre Vorbereitung der totalen Destruktion."
Erich Fromm in: 'Die Seele des Menschen'.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe unsere Artikel zum Thema:

      Sarkozy und die Atombombe
      für Gaddafi (23.02.11)

      Streit der atomaren Irren
      Neue Sanktionen gegen den Iran (9.06.10)

      Atom-Deal der Irren aus der zweiten Reihe
      Ausweg für den Iran? (17.05.10)

      Abrüsten durch Aufrüsten?
      Obama gibt 80 Milliarden US-Dollar für Atomwaffen (15.05.10)

      Die Gefahr einer iranischen Atombombe
      Die IAEA und dubiose Geheimdienst-Dossiers (19.02.10)

      Verbrecherische Menschenversuche
      bei französischen Atombomben-Tests (17.02.10)

      Westen reagiert auf Verhandlungsangebot des Iran
      mit verschärften Drohungen (9.02.10)

      Ahmadinedschad kompromißbereit
      Lösung im Streit um Uran-Anreicherung? (3.02.10)

      Blackout in Brasilien
      "Das sicherste Stromnetz der Welt" und die Atombombe (11.11.09)

      Atombomben
      in Deutschland (12.03.01)

Siehe auch unseren Hintergrund-Artikel:

      Der siamesische Zwilling: Atombombe
      Info-Serie Atomenergie - Folge 4

 

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