23.04.2007

Menschenversuche der britischen
Atom-Mafia aufgedeckt

Der 'Observer' veröffentlicht brisante Dokumente

MitarbeiterInnen der britischen Nuklearindustrie wurden über Jahre hinweg für faschistoide Menschenversuche mißbraucht. Auch RegierungswissenschaftlerInnen waren in die menschenverachtenden Experimente verwickelt. Dies geht aus einem Bericht der renommierten britischen Tageszeitung 'Observer' (22.04.07) hervor.

Bisher konnten die Menschenversuche der britischen Atom-Mafia geheim gehalten werden. Doch aus am Sonntag veröffentlichten Dokumenten, die dem 'Observer' zugespielt wurden, geht hervor, daß MitarbeiterInnen der britischen Nuklearindustrie in den sechziger und siebziger Jahren unter anderem Flüssigkeit mit radioaktivem Cäsium-134 verabreicht worden war. Damit sollte die Reaktion des menschlichen Organismus auf radioaktive Isotope verschieden hoher Dosis getestet werden.

Vielfach hieß es bereits in den letzten Jahren verharmlosend und wohl auch vorbereitend auf das Durchsickern solcher auf Dauer nicht geheim zu haltenden Informationen, das Bewußtsein für die Gefahren der Radioaktivität sei in dieser Zeit noch wenig entwickelt gewesen. Verwiesen wird dabei unter anderem auf dümmliche James-Bond-Filme. Tatsächlich jedoch lagen mit der Auswertung der Folgen der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki 1945 bereits ausreichend Daten vor.

Außer mit Cäsium-134 experimentierten britische RegierungswissenschaftlerInnen auch mit radioaktiven Substanzen wie Strontium-85, Uran und Plutonium. Diese Menschenversuche wurden in der Plutoniumfabrik Windscale (später umbenannt in Sellafield) sowie in Dounreay, Winfrith und Harwell durchgeführt. In einem Memorandum der britischen 'Radiobiologischen Einheit' von 1962 ist nachzulesen, welche Versuchsgruppen vorrangig interessierten: "Schwangere Frauen und Jugendliche unter 18, Patienten mit nicht-lebensbedrohenden Krankheiten; und Patienten in Krankenhäusern, die bereits auf Strahlenschäden untersucht werden."

Über die Folgen dieser Menschenversuche ist bislang nichts bekannt. Der britische Regierung war aber offenbar sehr wohl bewußt, daß solche Experimente ethisch bedenklich seien. Der damals im britischen Gesundheitswesen an höchster Stelle verantwortliche Beamte, K. P. Duncan, schrieb am 12. Februar 1965, man müsse die Pläne mit der Rechtsabteilung absprechen. Selbst die britische Atomenergiebehörde schätzte die Menschenversuche als recht heikel ein. Ebenfalls 1965 warnte sie die britische Regierung in einem der vorliegenden Dokumente, daß geschädigte MitarbeiterInnen vor Gericht gehen könnten, um Schadensersatz einzuklagen. Um dem vorzubeugen wurde - wie aus einem anderen nun veröffentlichten Memorandum hervorgeht - empfohlen, eine Vernebelungs-Stategie zu fahren, damit die Experimente nicht publik würden.

David Lowry, britischer Nuklearexperte, erklärte gegenüber dem 'Observer': "Diese Dokumente stellen die offiziellen Beschwichtigungen der Atomindustrie gegenüber einer ganzen Reihe von öffentlichen Untersuchungen in Frage. Wir müssen herausfinden, wann diese Experimente endeten und wie viele Menschen davon betroffen waren."

In Großbritannien wurde bereits in den letzten Tagen bekannt, daß die britische Atomindustrie Gesetze übertreten hatten, um so Nachforschungen zu erschweren. Durch die neuesten Veröffentlichungen erscheint es in einem ganz anderen Licht, daß die britischen Atomindustrie seit den sechziger Jahren auch von Leichen ehemaliger Sellafield-ArbeiterInnen sowie AnwohnerInnen der Plutoniumfabrik heimlich und ohne Zustimmung der Familien Herzen, Lungen und andere Organe entnehmen ließ. Die entfernten Organe wurden danach offenbar verbrannt und als Atommüll eingelagert. Aus den vom 'Observer' veröffentlichen Dokumenten geht darüber hinaus hervor, daß sie eine überdurchschnittliche Plutonium-Konzentration enthielten. Die britische Regierung unter Anthony Blair sah sich heute genötigt, eine Untersuchung von 65 Fällen aus den Jahren 1962 bis 1992 anzuordnen.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkung
Siehe auch unsere Artikel:

      Leukämiefälle in Geesthacht
      ExpertInnen-Anhörung / Neue Analysen angekündigt (13.04.07)

      WAA Sellafield: 30 Kilogramm Plutonium verschwunden
      Material für acht Atombomben (17.02.05)

      'British Energy' und der europäische Atom-Ausstieg
      Blair kämpft ums Überleben des Atom-Konzerns 'British Energy'
      (8.05.04)

      Atom-Mafia europaweit im Aufwind? (26.04.04)

      Zwangsweiser Atomausstieg in Großbritannien? (11.04.04)

      Noch sieben Jahre radioaktive Verseuchung?
      Sellafield soll 2010 stillgelegt werden (28.08.03)

 

neuronales Netzwerk