23.02.2005

Bush-Besuch:
Telefon hät's auch getan

Rund 12.000 Anti-Bush-DemonstrantInnen in Mainz

Der Bush-Besuch war unvergleichlich - mit früheren Besuchen US-amerikanischer Präsidenten in Deutschland. Zu erinnern wäre da an den Besuch von John F. Kennedy in Berlin mit Cabrio, Kennedy als Teenie-Star neben dem verrunzelten Adenauer, und das - damals - unvermeidliche "Bad in der Menge". So gesehen hätten die Kosten des Bush-Besuchs, der Umbau von Mainz in eine Wagenburg und menschenfreie Zone, eingespart werden können - Telefon hät's auch getan.

Meistgefährdete Person der Welt? Gefahr eines Terror-Anschlags? Angesichts jovial-blumiger aber inhaltsleerer Ansprachen der "leitenden Angestellten" (Gerhard Schröder) der USA und der BRD schien das Interesse vieler KommentatorInnen sich weitestgehend auf die Präsidenten-Limousine zu beschränken: Es wurde konstatiert, daß deren Abgasausstoß deutlich stärker war als jener der Mercedes der Eskorte und daß auf dem Hinterteil sage und schreibe fünf Antennen ein exorbitantes Sicherheitsbedürfnis signalisierten. Zugleich wurde ernsthaft darüber spekuliert, ob die Präsidenten-Limousine mit Abwehrraketen ausgestattet sei. Vielleicht war es ja gerade der Zweck des Besuchs mit seinem alle Dimensionen bisheriger Sicherheits- Vorsorge sprengenden Aufwand, die nach dem 11. September 2001 nie bewiesene terroristische Gefahr augenfällig zu machen...

"Sicherheits"-Zone hieß: Gullydeckel wurden zugeschweißt, parkende Autos entfernt, hinter jedem zweiten Fenster Scharfschützen postiert, Wasserwerfer und Räumpanzer in dichterer Frequenz als Abfallkörbe verteilt, AnwohnerInnen angewiesen, möglichst nicht ihren eigenen Balkon zu betreten, besser noch gleich die Rolläden runter zu lassen, in etlichen Wohnungen wurde gegen den Protest der BesitzerInnen Polizei postiert und AnwohnerInnen durften ihren Hund nur mit Polizeibegleitung Gassi führen. Ums Mainzer Schloß ab neun Uhr morgens keine Menschenseele, PolizistInnen patrouillieren auf der leeren Theodor-Heuss-Brücke, PolizistInnen schützen das leere Rheinufer, PolizistInnen auf Booten bewachen den leeren Rhein.

Auch der Frankfurter Flughafen war abgeschaltet und wer nicht rechtzeitig aus Mainz flüchtete, mußte - wie Günter Grass - Stunden im Terminal wartend verbringen. Wer einen Blick auf die Limousine des Präsidenten werfen wollte, mußte sich gegen 10 Uhr an der Kreuzung Bauhofstraße - Große Bleichen einfinden. Der bestgeschützte Staatsgast der Welt war aber offenbar nicht übermäßig sehenswert. Kaum zwei Dutzend Leute hatte es in nicht-demonstrativer Absicht hierher verschlagen. 14.000 PolizistInnen und Bundesgrenz- schützerInnen sind in Mainz zusammengezogen worden. Vor 15 Jahren, als Bushs Vater die Stadt durchkreuzte und mit Helmut Kohl auf dem Rhein schipperte, genügten noch 1000.

Eines jedenfalls ist klar: Das in den Mainstream-Medien beschworene Bild einer neuen DAF (deutsch-amerikanischen Freundschaft) ist reine PR. Weder auf politischer noch persönlicher Ebene hatte es wegen des Irak-Kriegs auch nur den geringsten Dissens gegeben. Das darf heute sogar Dieter Kronzucker im TV bestätigen, indem er - in einem Nebensatz - erwähnt, daß eine Beteiligung der Bundeswehr beim Irak-Krieg von US-Seite gar nicht gewünscht war. Das strategische und logistische Zusammenspiel hatte hervorragend funktioniert. Und nebenbei hatte "Rot-Grün" mit dem medial inszenierten Widerstand gegen den Irak-Krieg ein in der Öffentlichkeit nach den Kriegsbeteiligungen in Afghanistan und im Kosovo arg ramponiertes Image halbwegs wieder herstellen können.

Ebenso klar ist, daß die US-Administration weiterhin an ihrem "Recht", Präventivkriege führen zu dürfen, festhält. Dies ist umso bedeutsamer als der Energiehunger der US-Wirtschaft ungebremst ist und die kaum mehr zu steigernden 6 bis 7 Millionen Barrel Erdöl, die täglich aus dem Irak gepumpt werden, auf die Dauer eher Appetit auf mehr machen. So hat Bush gestern in Brüssel ausdrücklich sein Ultimatum an den Iran erneuert. Auch im Falle des Iran geht es nicht um Freiheit oder Demokratie (die zunächst mal in den USA restauriert werden müßte), nicht um Atomenergie, Atomwaffen, Terrorismus oder Massen- vernichtungswaffen unter dem Wüstensand, sondern um: Erdöl.

Wie die DemonstrantInnen in Mainz zurecht - aber wie kaum anders zu erwarten: unbeachtet - aufzuzeigen versuchten, ist der Anspruch Bushs als Vorkämpfer für Freiheit und Demokratie absurd. Der Hinweis auf die systematische und von oben gesteuerte Folter-Praxis in Abu Ghraib und Guantánamo müßte als Beweis genügen. Ergänzend sei noch darauf hingewiesen, daß in der US-Administration Leute bis in die Spitze aufgestiegen sind, die schon unter US-Präsident Reagan bei der Finanzierung, Ausbildung und Unterstützung lateinamerikanischer Todesschwadronen und der Contras in Nicaragua einschlägige Erfahrungen gesammelt haben wie der stellvertretende Sicherheitsberater Elliot Abrams oder der Geheimdienstkoordinator John Negroponte. Der Hinweis auf Demoplakaten, Bush sei "Welt-Terrorist Nr. 1" ist in Anbetracht der zahlenmäßigen Stärke der kriminellen Vereinigung namens US-Regierung nachgerade verharmlosend.

Daß die deutsche Regierung der Kriegspolitik und systematischen Folter-Praxis der US-Regierung nichts entgegen zu setzen wagt, illustrierte erst kürzlich wieder die Niederschlagung der Anzeige gegen US-Kriegsminister Rumsfeld durch die deutsche Staatsanwaltschaft.1 So war es auch nichts neues als Bundeskanzler Schröder nun auch in Worten mit Krieg und Besatzung im Irak seinen "Frieden" schloß und die "Differenzen" zwischen Berlin und Washington in dieser Frage für beendet erklärte. Seinen Worten, daß ein gemeinsames Interesse an einem "stabilen Irak" bestehe, ist allenfalls ein Wort hinzuzufügen: Erdöl.

In der deutschen Linken wird seit geraumer Zeit heftig drüber spekuliert, ob Europa - eventuell unter deutsch-französischer Fühererschaft - eigene "imperialistische" Ziele verfolgt. Die neue EU-Verfassung mit ihrer Verpflichtung zu fortgesetzter Aufrüstung und die Anstrengungen zur Einrichtung europäischer Parallelstrukturen zur Nato deuten auf solche deutsch-französischen Tendenzen. Das neueste Schröder-Papier zur Nato, das durch den deutschen Rüstungs-Minister Struck beim Gipfel in München kürzlich verlesen wurde, ist dagegen eher ein Zeichen der Unentschlossenheit. Es ist als Bitte an die Hegemonialmacht USA um ein größeres Gewicht in der Nato und um die symbolische Aufwertung im Weltsicherheitsrat zu verstehen und als gleichzeitiges Angebot, die brandgefährlichen Pläne zur Etablierung der EU als neuer nuklearer Supermacht ad acta zu legen. (Unterstützend veröffentlichte Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt, der in der Vergangenheit schon recht offene Worte für die Vasallen-Rolle der deutschen Bundesregierung gefunden hat, einen Artikel der 'Zeit', der in der Losung mündet: "Freundschaft ist kein Vasallentum".) Ob die "Charme-Offensive" Bushs bei seinem Deutschland-Besuch als Antwort hierauf gedeutet werden darf, muß aber als sehr fraglich angesehen werden.

Die Anti-Bush-Demo, die für einen Wochentag beachtliche 12.000 Menschen auf die Beine brachte, wurde auf Distanz gehalten. Die Demo hätte ebensogut in Berlin stattfinden können. Daß die Kreyßig-Anlage in Mainz als Kundgebungsort genehmigt worden war, bot den KommentatorInnen der Mainstream-Medien denn auch gleich eine Vorlage, die Anti-Bush-Demo mit Vergleichen zum Mainzer Karneval zu ironisieren. Dennoch war es wohl unbestreitbar "die größte Demonstration, die Mainz je erlebt hat", wie Andreas Atzl vom veranstaltenden Aktionsbündnis "Not welcome, Mr. Bush!" erklärte. Viel war von den Redebeiträgen außerhalb eines kleinen Bereichs nicht zu verstehen, da permanent Polizeihubschrauber über der Stadt kreisten. Und erst recht war innerhalb der großzügig bemessene "Sicherheits"-Zone von den Protesten gegen die US-amerikanische Politik nicht viel zu bemerken.

Daß die Stärke der Demo-Beteiligung zudem wenig über die Ablehnung des US-Politik in der deutschen Bevölkerung aussagt, belegen Umfrage-Ergebnisse: So "glauben" 80 Prozent nicht, daß der US-Präsident jetzt mehr auf "die Europäer" höre als früher (die Fragestellungen sind oft ein Witz für sich) und daß sie Putin mehr "glauben" als George W. Bush (am meisten aber keinem von beiden).

 

Christian Semmler

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unsere Dokumentation

      'Gegen Rumsfeld ermitteln!'
      Brief von Harry Belafonte (22.02.05)

 

neuronales Netzwerk