7.10.2004

Interview

"Ich werde versuchen,
so weiter zu arbeiten..."

Kirsten Selbmann sprach mit Ignacio Chapela

Vorbemerkung:
Ignacio Chapela, in Mexiko geborener Assistenz- professor für Biologie an der Universität in Berkeley (USA), fand bei einer Untersuchung von mexikanischen Mais-Landsorten gentechnisch verändertes Material. Seine Ergebnisse wurden in dem Fachmagazin Nature publiziert. Später distanzierten sich die Herausgeber von dem Artikel - ein bis dato einmaliger Vorgang in der mehr als hundertjährigen Geschichte des Magazins.

K. S.:
Herr Chapela, in Ihren Studien, die Sie zusammen mit dem Forscher David Quist durchführten, haben Sie transgenes Material in lokalen Maissorten der Region Oaxaca in Mexiko gefunden: Was war Ihre Motivation, überhaupt solche Studien zu machen?

Ignacio Chapela:
Es war natürlich eine biologisch interessante Frage, die gleichzeitig von großer sozialer, ökonomischer und landwirtschaftlicher Bedeutung ist. Ein weiterer wichtiger Grund war aber auch, dass ich mir die Frage gestellt habe, wer eine solche Studie machen würde: Die Industrie würde es nicht machen, die Regierung würde es nicht machen und Wissenschaftler an den Universitäten auch nicht. Also mussten es die Produzenten machen: Bauern, die von der Landwirtschaft leben. Deshalb entschied ich mich, ihnen die notwendige technische Hilfe zu geben. Die Entdeckung wurde in einem Labor der indigenen Kommunen in Oaxaca gemacht.

Waren Sie überrascht über die Ergebnisse Ihrer Studie?

Ja. Unsere Experimente waren auf einen längeren Zeitraum angelegt und mir war es eigentlich sehr klar, dass wir eine Kontamination finden würden, die Frage war nur wann. So war es für mich schon sehr schockierend, dass unser Labor in Calpulapan schon im Oktober 2000 Kontaminationen gefunden hat. Wir haben die Studien dann mehrmals wiederholt mit verschiedenen Kontrollen und in verschiedenen Laboren. Im März 2001 waren wir dann sicher, dass die Ergebnisse stimmen.

Warum gab es vor Ihnen niemanden, der eine solche Studie gemacht hat?

Das ist in der Tat sehr seltsam. Um das Problem mit den Kontaminationen machen sich viele Menschen seit langer Zeit extreme Sorgen. Es wurde sehr viel darüber diskutiert, dabei ist es überhaupt nicht schwierig zu untersuchen. Was wir gemacht haben in unserer Studie, war nicht kompliziert. Deshalb ist es interessant und gleichzeitig sehr seltsam, dass niemand eine solche Studie vor uns gemacht hat. Noch schlimmer ist aber die Tatsache, dass nur sehr wenige Nachfolgestudien gemacht wurden. Obwohl viele Leute mitbekommen haben, wie wichtig die Studie war. Außerdem wurde keine dieser Untersuchungen publiziert.

Welche Gründe gibt es dafür?

Das ist schwierig zu beantworten, aber mein Gefühl ist, dass die Wissenschaftler Angst haben oder in Sorge sind, dass sie selbst großen Ärger bekommen könnten. Sie wissen, dass es große Probleme mit sich bringt, wenn man die Frage nach der Kontamination stellt. Zu mir kommen immer wieder Leute, die Kontaminationen nachgewiesen haben. Aber sie erzählen es nur mir. Sie haben Angst vor der mexikanischen Regierung und vor den großen Konzernen, vor allem vor Monsanto. Deshalb veröffentlichen sie nicht. Das ist ein großes Problem! Wissenschaft ist heute nicht mehr frei, das ist sehr dramatisch. Die Universitäten arbeiten ja gerade auf dem Gebiet der Biotechnologie mit den Konzernen zusammen. Deshalb haben alle kritischen Wissenschaftler Angst, ihre Kritik zu äußern.

Welche Probleme erwarten die Wissenschaftler?

Sie könnten zum Beispiel kein Geld für ihre Forschung bekommen, es könnte negative Konsequenzen für ihre Karriere haben und ihre Publikationen könnten geblockt werden. Es gibt jetzt eine sehr starke Zensur auf diesem Gebiet. Bestimmte Forschungsfragen dürfen gar nicht erst gestellt werden und viele Forschungsstudien werden verhindert. Wenn doch einmal eine Studie gemacht wurde, dann werden die Ergebnisse vor der Öffentlichkeit zurückgehalten.

Kennen Sie dafür Beispiele in Ihrem Umfeld?

Ja, ich habe einen älteren Kollegen, der an ökologischen Modellen arbeitet und der seit 25 Jahren publiziert. Bisher hat er mehr als zweihundert Fach-Artikel veröffentlicht. Er hat mir erzählt, dass seine Ablehnungsrate bei ein bis zwei Prozent lag, das heißt ein bis zwei Prozent seiner zur Publikation eingereichten wissenschaftlichen Artikel wurden abgelehnt. Das ist sehr wenig! Von dem Zeitpunkt an, an dem er begann, seine gleichen Modelle mit Transgenen zu machen, und sie an die gleichen Zeitschriften schickte, hatte er eine Ablehnungsrate von einhundert Prozent. Er konnte nicht einen einzigen Artikel zu diesem Aspekt publizieren. Das gibt nur einen Eindruck, wie groß der Druck beim wissenschaftlichen Establishment in den Verlagen sein muss und wie viel Angst die Leute haben. Und auch die Wissenschaftler haben Angst! Sie sind eingeschüchtert und besorgt darüber, dass eine Arbeit über die Auswirkungen von Transgenen einen sehr schlechten Einfluss auf ihre Forschung haben könnte.

Sie haben ja bei beim wissenschaftlichen Forschungsmagazin Nature ähnliche Erfahrungen gemacht...

Ja, bei unserem Artikel über die Kontaminationen war das Kuriose, dass Natures Peer Review1 zunächst sehr positiv ausfiel. Mehrere Fachleute haben die Ergebnisse unserer Studien für publikationswürdig und gut befunden und das Verfahren ist ja bei Nature sehr streng. Nature wollte das Paper also nach kleinen Überarbeitungen veröffentlichen. Doch nach einigen Monaten bekamen die Herausgeber plötzlich Zweifel. Das war, nachdem sie fünf Briefe erhalten hatten von einer kleinen Gruppe sehr einflussreicher Leute, die enge Kontakte zur Industrie haben. Die mussten also Zugang zum Paper gehabt haben, was illegal ist, da niemand außer den Kollegen, die am Peer-Review beteiligt sind, das Paper vor Veröffentlichung lesen darf. Aber aus irgendeinem Grund hatten diese einflussreichen Leute Zugang zu dem Paper und schickten sehr negative Kommentare darüber an Nature. Kurz vor der geplanten Veröffentlichung sagte dann Nature: "Wir publizieren dieses Paper nicht."

Was war denn die Begründung für diesen plötzlichen Rückzug?

Ihre offizielle Begründung war, dass das Thema nicht interessant sei. Nature hat das Recht, Artikel abzulehnen, wenn deren Inhalt wahrscheinlich nicht auf weltweites Interesse stößt.

Ein skurriler Grund bei der politischen Brisanz dieses Papers...

Ja, der Skandal war ja schon im vollen Gange. Das Thema wurde unter anderem auf der Titelseite von Le Monde behandelt. Die habe ich dann an Nature geschickt und geschrieben: "Bitte erzählen Sie mir noch einmal, dass das nicht interessant ist!". Sie mussten dann veröffentlichen, haben sich aber später von dem Paper distanziert. Das ist das erste Mal in der 135-jährigen Geschichte dieser Zeitschrift. Die Herausgeber mussten unheimlichen Druck bekommen haben! Recherchen haben ergeben, dass der vor allem von Monsanto kam, die auch verantwortlich sind für die unheimliche Diskreditierungskampagne im Internet nach Veröffentlichung des Papers.

Welche Maßnahmen wurden von Seiten der mexikanischen Regierung bisher ergriffen als Konsequenz Iher Befunde?

Das Umweltministerium hat sofort Studien veranlasst, um meine Ergebnisse zu überprüfen. Diese haben meine Ergebnisse bestätigt, bisher wurden jedoch keine genauen Zahlen veröffentlicht. Die Einstellung des Umweltministeriums ist auch sehr eigenartig, denn da sagt man: "Ja, es ist da, aber nun ist es die Aufgabe und die Verantwortung anderer zu sagen, was damit zu tun sei". Kongress und Senat in Mexiko sind jetzt sehr protektionistisch in dem Sinne, dass sie großen Druck ausüben, den Transport von transgenem Mais nach Mexiko zu stoppen. Es gibt auch Vorschläge für eine Gesetzgebung, die den Import für gentechnisch modifiziertes Getreide verbietet bis es entweder vernichtet oder als Gentechnik-haltiges Getreide gekennzeichnet wurde. Auf der anderen Seite gibt es aber das Wirtschaftsministerium, das weitere Importe von US-amerikanischem nicht gekennzeichnetem Getreide erlaubt hat. Das ist eine sehr schizophrene Situation.

Wie hat denn die mexikanische Kommission für Biosicherheit auf Ihre Studien reagiert?

Bevor wir die Studie publizierten, war ich sehr interessiert daran, die mexikanischen Behörden über die Ergebnisse zu informieren, damit sie schon Maßnahmen ergreifen könnten. Ich habe zu dieser Zeit natürlich auch den Direktor der Biosicherheitskommission, Dr. Fernando Ortiz Monasterio, informiert. Die Kommission ist für die nationale Biosicherheit verantwortlich und in ihr sind fünf Ministerien repräsentiert. Für das Gespräch wurde ich in ein leeres Bürogebäude irgendwo in Mexiko-Stadt gebracht. Da war nichts: keine Telefone, keine Computer - nichts. Und dann begann er mir zu erzählen, dass ich ein großes Problem produziert habe, dass ich das Problem sei und dass ich der Entwicklung der Biotechnologie in Mexiko im Weg stünde. Mexiko bräuchte die Biotechnologie und ich sei das einzige Hindernis für diese Entwicklung. Über eine Stunde lang ging das so bis er sagte: "Für mich bedeutet Biosicherheit, die Investitionen der Biotechnologie-Industrie zu sichern, besonders von Alfonso Romo, einem bedeutenden Mann mit bedeutenden Investitionen in der Biotechnologie in Mexiko."

Hat er Ihnen auch Angebote gemacht?

Nach einer Weile, als er bemerkt hatte, dass er mich nicht überzeugen könnte, nicht zu publizieren, begann er mich einzuladen, Teil einer geheimen Forschergruppe zu werden. Er sagte: "Wir sind dabei, die fünf besten Wissenschaftler der Welt zusammen zu bringen. Und Sie sind natürlich einer von ihnen." Als ich fragte, wer denn die anderen vier seien, sagte er: "Die anderen vier haben schon zugestimmt, an dieser Gruppe teilzunehmen. Es sind zwei Wissenschaftler von Monsanto und zwei von Dupont. Die Aufgabe der Gruppe wird es sein, die Studien zu wiederholen und den Artikel neu zu schreiben. Sie werden der Welt mitteilen, dass es kein Problem gibt. Sie werden der Welt die Wahrheit sagen." Damit hatte er natürlich keinen Erfolg und deshalb sagte er nach ungefähr zwei Stunden zu seinem Begleiter: "Zeig ihm die Büros!" Dann zwang er mich, durch die leeren Büros zu laufen, durch leere Orte irgendwo in einem sehr verlassenen Teil von Mexiko-Stadt. Ich lief durch diese leeren Räume und ich muss sagen, dass das sehr beängstigend war. Ich hatte Angst und wusste nicht, was geschehen würde. Das war eine sehr belastende und einschüchternde Situation für mich. Irgendwann sah ich durch ein Fenster und dachte: "Werden sie mich aus dem Fenster werfen?" Am Ende geschah nichts weiter. Aber es war wie in einem schlechten Gangsterfilm.

Welchen Eindruck haben Sie von der Rolle dieser Biosicherheitskommissionen in Lateinamerika?

Ich denke, dass es zum Beispiel in Mexiko Leute in der Regierung gibt, die besondere Hintergründe haben und ein konkretes Interesse an der Biotechnologie-Industrie: Präsident Vincente Fox, der Bruder des Präsidenten, der Landwirtschaftsminister und auch der Untersekretär des Landwirtschaftsministeriums Victor Manuel Villalobos. Villalobos war zum Beispiel sehr viele Jahre im Saatguthandel, den man auch als Biopiraterie-Geschäft bezeichnen könnte, tätig. Dann ging er in die Biotechnologie-Industrie. Also steckt er sehr tief drin. Es gibt daher in der Regierung einen starken Interessenkonflikt. Aus diesem Grunde denke ich, dass am Ende die Biosicherheitskommissionen, die ja eigentlich die Interessen einer Nation vertreten sollen, nur die Interessen dieser wenigen Leute mit Interesse an der Biotechnologie-Industrie vertreten. Alles, was diese Kommissionen tun, ist, die Industrie zu schützen.

Gibt es nicht auch kritische Stimmen in den Biosicherheitskommissionen?

Ja, die Kommissionen haben natürlich Beratungskommitees, die aus Wissenschaftlern bestehen und auch aus kritischen Leuten, zum Beispiel von Nichtregierungsorganisationen. Die können dann auch mal ihre Position äußern. Aber das hat überhaupt keine Wirkung. Die Folge ist, dass diese Leute häufig aufgeben, weil sie merken, dass sie nicht gehört werden. Sie erkennen, dass sie den eingeschlagenen Weg der Kommission nicht ändern können.

Ist die Kontamination in Mexiko ein Einzelfall?

Nein, ich glaube, die Kontamination ist schon sehr weit verbreitet, vor allem auf dem amerikanischen Kontinent. Im letzten Jahr wurde eine Studie von der Union of Concerned Scientists veröffentlicht, einer Organisation in den USA. Die haben Saatgut getestet, das Bauern erhalten haben und das eigentlich kein gentechnisch verändertes Saatgut enthalten sollte. Die Studie ergab, dass es auch kontaminiert ist.2 Also die Kontamination ist sehr weit verbreitet, nicht nur auf dem amerikanischen Kontinent, sondern ich nehme an auch in Afrika. Es kann sein, dass Europa bisher noch nicht so betroffen ist, aber ich würde mich nicht wundern, wenn wir dort auch Kontaminationen finden würden.

Welche Konsequenzen hat der ganze Fall für Ihre persönlichen Pläne und Ihre Arbeit als Wissenschaftler?

Die Geschichte hat mein Leben völlig durcheinander gebracht: mein Familienleben, meine Lebenspläne, meine finanzielle Situation und mein Leben als Wissenschaftler. In Folge der Rufmordkampagne werde ich möglicherweise meinen Job verlieren, und zwar ausschließlich auf Grund dieser Kampagne. Es gibt zwar viele Wissenschaftler, die mich unterstützen, aber da gibt es auch eine kleine Gruppe sehr einflussreicher Leute, die ihren Einfluss geltend machen und Geld fließen lassen, um mich aus der Wissenschaftswelt zu entfernen.

Bereuen Sie es, die Studien gemacht zu haben?

Nein, ich würde es wieder machen. Man könnte denken, das ist ja wirklich schrecklich und natürlich werde ich nie wieder einen Job in der Biotechnologie-Industrie bekommen. Aber ich fühle mich nicht schlecht deshalb, im Gegenteil. Ich habe dafür aber mehr Anerkennung erfahren von Leuten, die mir wichtig sind. Leute, die sich wirklich für die ökologischen, sozialen, ökonomischen Konsequenzen unseres heutigen Handelns interessieren. Ich bin froh, dass ich in der Lage war, dieses Stückchen Forschung zu machen. Für mich ist es genau das, was ein Wissenschaftler machen sollte, besonders wenn er an einer öffentlichen Universität arbeitet wie ich.

Werden Sie versuchen, weitere Studien zu machen?

Ich werde versuchen, so weiter zu arbeiten, denn das ist genau das, was ich machen will und muss. Es war sehr schwierig und manchmal auch schwer auszuhalten, aber ich werde schließlich dafür bezahlt, schwierige Fragen zu stellen. Fragen, die die Gesellschaft betreffen und die Umwelt. Deshalb tue ich das.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Kirsten Selbmann.

Kirsten Selbmann ist Biochemikerin und Wissenschaftsjournalistin und arbeitet zur Zeit an einer politikwissenschaftlichen Doktorarbeit zur Biosicherheitspolitik in Mexiko und Chile.

Anmerkungen:
1 Mit Peer Review wird ein Wissenschafts-internes Kontrollsystem für Publikationen bezeichnet, bei dem Fachkollegen die - anonymisierten - Artikel vor ihrer Publikation auf methodische Stimmigkeit und Plausibilität prüfen.
2 Siehe dazu auch GID 163, April/ Mai 2004, Benno Vogel: Saatgut: "X" für ein "U".
Auf unseren Seiten siehe hierzu auch den Artikel
    Beweis unkontrollierbarer Gen-Kontamination (25.02.04)

 

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