6.01.2004

Commerzbank
in extremer Notlage?

"Ideen nach vorn"
Die Commerzbank kündigt Betriebsrenten für Zehntausende und sichert Bezüge für Spitzenmanager

Die Commerzbank will die Betriebsrenten für mindestens 22.000 Mitarbeiter spätestens zum Ende dieses Jahres kündigen. Das berichtet 'spiegel online' unter Berufung auf Sprecher der Bank. Nach Angaben der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sind von den Einschnitten sogar 27.000 Mitarbeiter betroffen. Die Kündigung werde aufgrund der langen Fristen zum 31. Dezember wirksam. Bereits eingezahlte Leistungen will das Kreditinstitut dem Bericht zu Folge einbehalten und erst bei Erreichen des Renteneintritts auszahlen.

Nach Auffassung des Betriebsrates sei es unklar, ob die Bank zu diesem Schritt befugt ist. Den entsprechenden Verträgen zu Folge könnten die Vereinbarungen über die Betriebsrente nur gekündigt werden, wenn sich die Bank in einer extremen wirtschaftlichen Notlage befindet, so der Betriebsrats-Vorsitzende Uwe Tschäge gegenüber der 'Welt'. Der Konzervorstand sieht diese Notlage aufgrund von Wertberichtigungen in Milliardenhöhe und eines Verlustes im letzten Jahre gegeben.

Den Angaben des Betriebsrates zu Folge wird sich die Höhe des Rentenzuschusses für Mitarbeiter, die sich bereits 20 Jahre in der Bank befinden, von 400 Euro auf 200 halbiert. Neue Angestellte kommen überhaupt nicht mehr in den Genuß der Betriebsrenten. Wie der 'spiegel' weiter berichtet, hatte die Bank erst im vergangenen Jahr die Pensionsansprüche ihrer rund 160 Spitzenmanager durch die Gründung eines Pensions-Trusts gesichert, der den Begünstigten über 7.000 Euro im Monat garantiert und diese selbst im Falle einer Insolvenz der Bank abgesichert.

Die Gewerkschaft ver.di kündigte unterdessen juristische Schritte gegen die Kündigung an. Ihr Bank-Experte und Commerzbank-Aufsichtsratsmitglied Foullong sprach von einem "Kulturbruch".

Ob es sich tatsächlich um den Ausdruck höchster wirtschaftlicher Not handelt, ist im Falle der gekündigten Betriebsrenten unklar. Die Commerzbank - Werbespruch: "Ideen nach vorn" - hatte ihr Ergebnis den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres im Vergleich zum Zeitraum 2002 verdreifachen können. Tatsächlich hatte die Commerzbank im vergangenen Jahr einen Verlust anmelden müssen - es war jedoch das erste Mal in ihrer 130jährigen Unternehmensgeschichte. Vermutlich soll das Kreditinstitut mit der Kündigung für ausländischen Investoren attraktiver gemacht werden. Ein Frankfurter Bankier, der offenbar nicht namentlich genannt werden wollte, sagte der 'Financial Times Deutschland' (FTD), die Betriebsrenten seien ein Unsicherheitsfaktor für mögliche Käufer gewesen.

In diesem Zusammenhang verweist das Blatt darauf, daß die Commerzbank bereits im vergangenen Herbst ihre Bilanz von einer Beteiligung im Umfang von 2,3 Milliarden Euro "säuberte". Die Bundesregierung zeigte sich seinerzeit besorgt über einen möglicher Verkauf des Unternehmens ins Ausland. Immerhin äußerte sich Commerzbank-Chef Klaus-Peter Müller im vergangenen November noch optimistisch gegenüber der 'Stuttgarter Zeitung': Ein Verkauf des Hauses stehe nicht zur Diskussion. Viel mehr bemühe man sich, im Jahre 2004 die Gewinnzone zu erreichen und sei entsprechend optimistisch. Von einem "prächtigen Gewinnjahr 2004" sprach Müller seinerzeit. Zudem gebe es Pläne, die Stralsunder Sparkasse zu kaufen.

Die Stadt plant als erste Gemeinde in Deutschland eine Veräußerung ihrer Sparkasse, was nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern höchst umstritten ist. Die Pressestelle der Commerzbank, die sich als "offizielles Sprachrohr und Anlaufstelle für deutsche und internationale Medien" bezeichnet, war übrigens bis zum Morgen nicht in der Lage, auf die Meldungen zu reagieren.

Über die Wirkungen auf ihre Mitarbeiter macht sich die Bank keine größeren Sorgen. Es werde keine Einbußen bei der Moral geben, so ein Sprecher laut 'spiegel'. Man habe ein "gutes Standing". Anders der FTD-Bericht: Demnach hat ein Teil der Angestellten von der Kündigung aus der Zeitung erfahren. Nach Aussagen eines hochrangigen Mitarbeiters sei der Schritt nach den bereits vorgenommenen Kürzungen bei den Zuschlägen ein "Skandal" und habe wie ein harter Schlag gewirkt.

Die Commerzbank ist in der Frage des massiven Sozialabbaus eine Vorreiterin. Die HypoVereinsbank hat bislang nur Betriebsrenten für neue Mitarbeiter ausgeschlossen; andere große deutsche Banken tasteten die betrieblichen Altersvorsorgungen noch nicht an. Bei der HypoVereinsbank hieß es laut FTD, ein solcher Schritt würde "das Faß zum Überlaufen" bringen.

Im Gegensatz zu anderen Staaten sind Betriebsrenten in Deutschland nicht Grundlage der Altersversorgung, jedoch vielfach eine wichtige Ergänzung. Eine Tatsache, die die Bundesregierung im Jahre 2002 übrigens zu folgender Veröffentlichung animierte: "Riester-Renten und Betriebsrenten in Deutschland sind sicher".

 

Martin Müller-Mertens
Nachveröffentl. aus www.rbi-aktuell.de

 

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