Holländische Regierung gibt Existenz von Echelon zu...
Quelle: www.heise.de/tp/deutsch/special/ech/4728/1.html
Jelle van Buuren 20.01.2001
... und gesteht zugleich, dass sie das Recht der Bürger auf den Schutz
der Privatsphäre nicht mehr
garantieren kann
Die holländische Regierung bestätigte am Freitag die Existenz des unter
dem Namen Echelon bekannten
globalen Überwachungssystems. "Obwohl die holländische Regierung keine
offizielle Bestätigung der Existenz
von Echelon von den damit in Zusammenhang gebrachten Regierungen hat,
denkt sie, dass es plausibel ist,
dass ein solches System existiert", schrieb die Regierung in einem Brief
an das Parlament. Am Montag hält das
Parlament eine öffentliche Sitzung über Echelon.
Bis jetzt hatte die holländische Regierung die Existenz von Echelon
verleugnet [0]. Die offizielle Haltung war: Wir wissen
nicht, ob das System existiert, die Regierungen, die uns das bestätigen
könnten, würden zu dieser Affäre keine
Stellungnahme abgeben, deshalb macht es auch keinen Sinn, der Sache
weiter nachzugehen. Unter wachsendem Druck
durch Veröffentlichungen in der Presse und nach der Einrichtung eines
parlamentarischen Anhörungs-Komitees [1] kündigte
die Regierung vor einem Monat die Veröffentlichung einer formalen
Stellungnahme an.
In einem ausführlichem Bericht des Verteidigungs- ministeriums [2]
bestätigt die Regierung, dass moderne
Telekommunikationssysteme leicht abgehört werden können. "Die
Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass moderne
Kommunikationssysteme geheim und aus großer Distanz abgehört werden
können", stellt die Regierung fest. Zu diesen
modernen Kommunikationssystemen zählen Mobil- kommunikation,
Satellitensysteme, Hochfrequenz- kommunikation,
internationale Telefonsatelliten und Internet-Traffic. Laut der
holländischen Regierung verfügten nicht nur Polizei und
Geheimdienste über diese Abhörmöglichkeiten, sondern auch kriminelle
Organisationen, reiche Privatpersonen und
Unternehmen.
Die holländische Regierung bestätigt, dass Überwachungs- behörden
Kryptografie zu schwächen versuchen. Als Beispiele
werden die absichtliche Schwächung der Kryptostandards von
Mobiltelefonen und Exportkontrollen genannt. Die Regierung
sagt auch, dass in Zukunft noch mehr Kommunikation abhörbar sein werde.
Die Integration von konventionellen
Mobiltelefonsystemen, normalen Telefonnetzen und dem Internet in
globalen Netzen, sowie die Konvergenz verschiedener
Systeme würde die Möglichkeit eröffnen, "beinahe die gesamte
Telekommunikation von Nutzern abzuhören". Land- und
Seekabel sowie Satelliten seien die Schwachpunkte moderner
Kommunikationssysteme, meint die holländische Regierung.
Darüberhinaus bestätigt die Regierung, dass es technisch möglich ist,
Telekommunikation ungezielt abzuhören, in großen
Datenbanken zu speichern und diese nach Suchbegriffen abzufragen.
All diese Informationen veranlassen die holländische Regierung, die
Haltung einzunehmen, dass Echelon tatsächlich
existiert. "Obwohl die holländische Regierung keine offizielle
Bestätigung der Existenz von Echelon von den damit in
Zusammenhang gebrachten Regierungen hat, denkt sie, dass es plausibel
ist, dass ein solches System existiert", schrieb die
Regierung in einem Brief an das Parlament. Es würde neben Echelon aber
auch weitere Systeme geben, die über ähnliche
Kapazitäten verfügen:
"Die Regierung glaubt, dass nicht nur die mit Echelon assoziierten
Länder über diese Abhörmöglichkeiten verfügen,
sondern dass es sich dabei um eine Praxis von Ermittlungsbehörden und
Geheimdiensten vieler Länder mit Regierungen
der verschiedensten politischen Ausrichtungen handelt."
Die holländische Regierung ist auch der Ansicht, dass die Regierungen
von Nationalstaaten nicht mehr für den Schutz der
Grundrechte ihrer Bürger, wie z.B. die Privatsphäre, verantwortlich
gehalten werden können. Unter dem Gesichtspunkt der
Abhörmöglichkeit aus großer Entfernung könnten Regierungen dieses Recht
nicht mehr sicherstellen. Die Alternative sei, die
Rechtslage des abhörenden Landes zum Ausgangspunkt zu nehmen:
"Das eröffnet die Möglichkeit, mit anderen Ländern eine Diskussion über
internationale Standards zu beginnen, bei denen
eine Balance zwischen dem Recht der Bürger auf den Schutz der
Privatsphäre und den legitimen Bedürfnissen der
Strafverfolgungsbehörden gefunden werden muss."
Laut der holländischen Regierung würde sich folgende Lösung anbieten.
Wenn ein Bürger eines anderen Landes glaubt, von
Holland abgehört zu werden, dann sollte er oder sie das Recht haben, bei
der holländischen Regierung eine Beschwerde
einzubringen. Umgekehrt, wenn ein holländischer Bürger von einer
ausländischen Behörde abgehört zu werden glaubt, sollte
bei den Behörden dieses Landes eine Beschwerde eingebracht werden
können.
Am Montag hält das Parlament eine öffentliche Sitzung über Echelon ab.
Dabei werden auch Expertenmeinungen über die
Existenz von Echelon zu hören sein. Beobachter meinen aber, dass die
Regierung mit der Veröffentlichung des hier zitierten
Berichts am vergangenen Freitag der Diskussion bereits vorsorglich die
Kanten abgeschliffen hat. Die Weigerung der
Regierung, eine ernsthafte Stellungnahme zu Echelon abzugeben, steht
nicht mehr im Mittelpunkt. Was jetzt noch bleibt, ist
eine Diskussion darüber, wie man mit diesen Abhörsystemen leben kann.
Ebenso zu erörtern bleibt die Praxis der holländischen Behörden selbst
[3], was das Abhören betrifft, aber auch die
Beziehungen zwischen Echelon, den europäischen Initiativen zum
länderübergreifenden Abhören und die Zusammenarbeit
zwischen der EU und den USA auf diesem Gebiet. Laut dem Bericht der
niederländischen Regierung nutzt diese
Abhörtechniken nur in einer Art und Weise, die mit nationaler
Gesetzgebung im Einklang steht und das Recht auf
Privatsphäre nicht bedroht. Es ist zu erwarten, dass Experten am Montag
andere Ansichten vertreten werden.
Links
[0] www.heise.de/tp/deutsch/special/ech/6751/1.html
[1] www.heise.de/tp/deutsch/special/ech/6871/1.html
[2] www.mindef.nl
[3] www.heise.de/tp/deutsch/special/ech/6730/1.html
Hintergrundinformation (K. Schramm):
Die Existenz des Abhörsystems Echelon, das gemeinsam von den USA und Großbritannien
betrieben wird, ist seit mehr als zwei Jahren bekannt. Europäische Unternehmen hatten bei internationalen Vertragsverhandlungen bemerkt, daß allzuhäufig per E-mail abgegebene Angebote überraschend durch Angebote von US-Firmen unterboten worden waren.
Im Februar 2000 fanden in einem
Ausschuß des Europäischen Parlaments zu diesem Thema Anhörungen statt.
Die französische Justizministerin Elisabeth Guigou erhob den Vorwurf der Industriespionage.
Die Europaabgeordnete Ilka Schröder (noch: "Grüne") erstattete Anzeige.
Im 'Wall Street Journal' v. 17.03.2000 erschien ein Interview mit Ex-CIA-Chef R. James Woolsey, der bei dieser Gelegenheit (Text) offen zugibt, daß die US-Geheimdienste
Wirtschafts- spionage betreiben, auch mit Hilfe des Echelon-Systems. Er
verteidigt dies offensiv damit, daß dies nur nötig gewesen sei, weil die Europäer potentielle
Abnehmerstaaten bestechen. Auf dem freien Markt sei die US-Technologie
ja weitaus überlegen. Er rechtfertigt diese Eingriffe also im Sinne einer Wiederherstellung des von den Europäern unterlaufenen 'fair-play'.