14.09.2012

Bundesregierung bremst
Energie-Effizienz bei Neubauten

Wärmebild einer Fassade
Die von der Bundesregierung am heutigen Freitag beschlossenen angeblich strengen Energie-Standards für Neubauten hinken über 20 Jahre hinter der technischen Entwicklung her. Die "Verschärfung" der entsprechenden Verordnung soll nach offiziellen Angaben für Neubauten ab 2014 gegenüber der bisherigen Regelung eine Energieeinsparung von 12,5 Prozent bis zum Jahr 2016 und nochmals 12,5 Prozent bis zum Jahr 2020 bewirken.

Stand der Technik ist heute das Passivenergie-Haus. Dieses kann ausschließlich durch innere Abwärme und Solarenergie warm gehalten werden. Eine konventionelle Heizung – sei es auf der Grundlage von Öl, Gas oder Strom, ist nicht mehr vonnöten. Schon vor über 20 Jahren löste das Passivenergie-Haus das Niedrigenergie-Haus ab. Im Vergleich zum Niedrigenergie-Haus konnte der Wärmebedarf durch optimierte Wärmedämmung und Wärmerückgewinnung um über 80 Prozent reduziert werden. Bei dem in Deutschland üblichen Klima benötigt ein Niedrigenergie-Haus umgerechnet in Heizöl weniger als 1,5 Liter pro Quadratmeter im Jahr.

Nach eigenen Angaben hat sich die Bundesregierung auf schärfere Energiespar-Vorschriften für Neubauten verständigt. Bis 2020 soll der Energieverbrauch in den ab 2014 gebauten Häusern um 25 Prozent sinken. "Wir haben den Durchbruch geschafft, die wichtigen Fragen sind vom Tisch," sagte Bau-Staatssekretär Rainer Bomba heute in Berlin nach Gesprächen mit VertreterInnen von Bau-, Umwelt- und Wirtschaftsministerium. "Das Ganze wird jetzt seinen gesetzlichen Weg gehen, und ich denke, daß wir es noch dieses Jahr ins Kabinett bringen werden."

Kritik kam umgehend vom Naturschutzbund Deutschland (NaBu), der die Vorschriften als zu lasch kritisiert. "Das Bundesumweltministerium ist in den Verhandlungen mit Bau- und Wirtschaftsressort umgefallen," meint NaBu-Energie-Experte Ulf Sieberg. Ursprünglich habe Umweltminister Peter Altmaier auf strengere Vorgaben gedrängt. Doch auch diese Pläne entsprachen längst nicht dem Stand der Technik.

Von Seiten der Bundesregierung wurde argumentiert, höhere Anforderungen an Neu- und Altbauten seien unwirtschaftlich. Sie wiederholte damit lediglich unbewiesene Behauptungen aus den Reihen der Bauindustrie, die weit überwiegend möglichst billig bauen möchte. Bei höheren Hauspreisen befürchtet sie einen Rückgang der Bautätigkeit.

Studien, die im Auftrag des Bundesbauministeriums selbst erstellt wurden, zeigten, daß das Argument, höhere Energiestandards seien unwirtschaftlich, unzutreffend ist. So kamen die beauftragten Institute zu dem Ergebnis, daß eine Erhöhung der Anforderungen an Neu- und Altbauten um 30 Prozent gegenüber der Energieeinsparverordnung von 2009 wirtschaftlich ist. Denn trotz höherer Anfangskosten rechnen sich die Mehr-Investitionen aufgrund steigender Energiepreise in überschaubaren Zeiträumen. "Der anspruchslose Entwurf zur Energieeinsparverordnung legt die Vermutung nahe, daß die Studienergebnisse wissentlich ignoriert wurden," erklärte NaBu-Energie-Experte Ulf Sieberg zu dem vor einigen Monaten vom Bundes-"Umwelt"-Ministerium vorgelegten Entwurf. "Über 80 Prozent der rund 18,5 Millionen Gebäude in Deutschland erfüllen noch nicht einmal die Standards der Energieeinsparverordnung von 2009. Und mit der jetzigen Sanierungsrate von nicht einmal einem Prozent jährlich würde es über 100 Jahre dauern, bis alle Gebäude in Deutschland energetisch saniert wären," so Sieberg.

Die Bundesregierung verkündet derweil unverfroren das unverbindliche Ziel, bis 2050 solle der gesamte deutsche Gebäudebestand klimaneutral sein. Dies hieße, also praktisch innerhalb von 38 Jahren den Standard Passivenergie-Haus durchzusetzen.

Wirtschaftsminister Philipp Rösler begründet dieses gemächliche Tempo so: "Wir dürfen die einzelnen Eigentümer auch nicht überfordern." Sonst werde die Akzeptanz bei den BürgerInnen auch nicht erreicht. Ähnlich hatte sich das federführende Bauministerium unter Minister Peter Ramsauer geäußert.

Nach Berechnungen des NaBu führen die nun vorgesehenen Standards allerdings nur zu Energie-Einsparungen von fünf bis sieben Prozent. Diese Einspar-Quote erreicht selbst die heute übliche Billig-Bauweise ohne irgend eine neue Verordnung.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

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