19.12.2003

Interview

EU-Verfassung vorerst gescheitert
Militarisierung Europas gebremst?

Jürgen Elsässer sprach mit Conrad Schuhler.

Vorbemerkung:
Conrad Schuhler ist Mitarbeiter im Münchner Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung*. Er hat zahlreicher Bücher zum Thema Globalisierung verfaßt. Zuletzt erschien: >Unter Brüdern. Die USA, Europa und die Neuordnung der Welt< (PapyRossa-Verlag)

J. E.:
In der neuen "EU-Verfassung" werde auch die weitere Militarisierung Europas beschlossen, kritisierte der bundesweite Friedensratschlag vor dem EU-Gipfel am Wochenende. Ist die Gefahr gebannt, nachdem dieser geplatzt ist?

C. S.:
Vor dem Abbruch hatten sich die 25 Regierungschefs noch auf eine gemeinsame Sicherheitsstrategie geeinigt, wie sie auch den gesamten Verfassungsentwurf durchzieht. Schaut man sich die beiden Neinsager am Wochenende in Brüssel an, nämlich Polen und Spanien, dann weiß man, daß die Rüstungsrichtlinien bei einer späteren Einigung höchstens noch schärfer ausfallen könnten. Denn sowohl Polen als auch Spanien haben den Irak-Krieg der USA mit eigenen Truppen unterstützt. In dem jetzt von den Mitgliedstaaten begrüßten Grundsatzpapier von EU-"Außenminister" Javier Solana heißt es, daß die EU tätig werden müsse gegenüber drei Bedrohungen: Terrorismus, Verbreitung von Massenver- nichtungswaffen und "gescheiterten Staaten". Das ist fast exakt die Formulierung der Nationalen Sicherheitsdoktrin der Bush-Regierung. Und ebenso wie die USA plädiert die EU für Präventivschläge. Wörtlich heißt es: "Wir müssen eine strategische Kultur entwickeln, die ein frühzeitiges, rasches und wenn nötig robustes Eingreifen begünstigt."

Andererseits hat die EU die Formulierung von der Notwendigkeit "präemptiven Engagements", was ja wirklich an Bushs Erstschlagsdoktrin erinnerte, aus dem Entwurf nicht in den verabschiedeten Text übernommen. Auch die vielgepriesene EU-Eingreiftruppe lahmt beträchtlich. Zum Jahresende 2003 steht sie jedenfalls nicht, wie es vorgesehen war.

Die EU-Eingreiftruppe soll rund 80.000 Mann umfassen, 18.000 davon aus Deutschland, mit Abstand das größte Kontingent. Sie lahmt in der Tat, weil es den EU-Staaten sowohl an wirtschaftlicher Potenz als auch an Einigkeit fehlt. Dennoch wird sich die Truppe im Lauf der Zeit herausbilden, und man wird versuchen, sie aus den Kommandostrukturen der NATO herauszulösen, wo sie derzeit noch untergebracht ist. In der neuen EU-Verfassung ist ein eigenes 'Europäisches Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten' vorgesehen, dessen Aufgabe es ist, eine eigene europäische Militärmacht auf die Beine zu stellen, die im Zweifel auch ohne die NATO, d.h. ohne die Zustimmung der USA, operieren kann.

Ein Amt? Wenn's weiter nichts ist ... Das ursprünglich geplante EU-Hauptquartier ist jedenfalls abgesagt, die Einsätze sollen von einem Zimmerchen im NATO-Hauptquartier aus geführt werden. Ohne Zustimmung der USA wird da nichts laufen.

Die deutsche und französische Regierung reklamiert diese Verabredung als Schritt zu mehr europäischer Eigen- ständigkeit. Die EU-Armee kann demnach tätig werden, wenn die NATO nicht eingreifen kann oder nicht eingreifen will. Das eröffnet Spielräume.

>Unter Brüdern< lautet der Titel Ihres Buches über das amerikanisch-europäische Verhältnis. Ist das nicht so ein Brüderpaar, bei dem immer der Kleine die Dresche kriegt?

Mit >Unter Brüdern< will ich zeigen, daß die USA und die EU letzten Endes am selben Strang ziehen. In allen entwickelten Industrieländern sind die transnationalen Konzerne die beherrschende Macht. In Deutschland sind Siemens und DaimlerChrysler zehnmal bestimmender als der gesamte Mittelstand. Von den 200 größten transnationalen Konzernen, auf die über ein Viertel des Weltumsatzes entfällt, finden wir 82 in den USA, 65 in der EU, 41 haben ihre Basis in Japan. Diese Gesellschaften haben kein "Heimatland", sie wollen den Globus als ihr Profitfeld eingerichtet haben. Die USA als globaler Kontrolleur sind ihnen sehr recht, die EU kann den USA als kleinere globale Interventionsmacht hilfreich zu Seite treten. Dabei kommt es auch zu Konflikten zwischen den Staaten, wie ja auch zwischen den Konzernen. Aber die transnationalen Konzerne werden nicht zulassen, daß Querelen der politischen Agenturen ihnen das Geschäft verderben.

Danke für das Gespräch.

 

Interview: Jürgen Elsässer
Nachveröffentl. aus: 'junge welt', 19.12.2003

Anmerkung:
  * Internet-Adresse des Instituts für sozial-ökologische    Wirtschaftsforschung, München:
   www.isw-muenchen.de
  Internet-Adresse von Jürgen Elsässer:
   www.juergen-elsaesser.de

 

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