Die 'FAZ' wirft in ihren Ausgaben vom 22.01. und 23.01. ihr gesamtes
Gewicht in die Waagschale, um Umweltminister Trittin zum Rücktritt zu zwingen. Dabei
spielt sie ein riskantes Spiel. Sie dokumentiert den lange verbotenen "Buback- Nachruf",
um damit Trittin in die Nähe des Terrorismus zu rücken - wohl in der Hoffnung, daß
sich niemand die Mühe macht, den Text auch zu lesen...
Manchmal ist es ja ganz gut, wenn mensch ein gewisses Alter hat und dazu
schon lange zu den Sammlern (nicht: Jägern) gehört:
Ich habe nämlich selbst noch eine Kopie des ominösen Buback-Nachrufs
(in der Ausgabe des Tübinger AStA-Infos v. 6.05.1977). Der Besitz
war ja sogar strafbar und ich kann nur hoffen, daß ich heute nicht
mehr dafür belangt werden kann, es gewagt zu haben, mir selbst ein
Urteil bilden zu wollen.
Deshalb zunächst mal eine formale Kritik an der 'FAZ': In ihrer Dokumentation
versucht sie, den Text schon gleich anfangs herunterzumachen, indem sie
einen selbsteingebauten Schreibfehler, "päbstlich" statt "päpstlich",
mit latein- geschwängertem Einwurf "(sic, die Red.)" versieht und damit 
die Lacher auf ihre Seite ziehen will. 
Jedenfalls ist in meiner alten Kopie das Wort "päpstlich" richtig
geschrieben.
Das eingefügte Bild einer Kopie des "Buback-Nachrufs" hat eine so geringe
Auflösung, daß es schlicht unmöglich ist, die Schrift zu lesen und somit
diese Verfälschung zu erkennen - es ist also wertlos und suggeriert 
Autentizität, wo purer Schein eine Nachprüfung nicht ermöglicht. 
Daß es sich lediglich um das Bild einer Kopie und nicht um das Bild des 
Originals aus der Göttinger AStA-Zeitung handelt, ist daran zu erkennen, daß 
(wie auf meiner Kopie) der untere Teil des Textes fehlt und somit der Text auf 
dem Bild - im Gegensatz zur darauf- folgenden schriftlichen Fassung - nicht 
vollständig ist. 
Auf meiner alten Kopie ist der restliche Text an anderer Stelle
fortgesetzt, so daß ich beide Versionen vergleichen konnte. Bis auf
einige FAZ-eigene Tippfehler (zB. "Leute" statt "Läuse") ist allerdings
zu konstatieren, daß die Dokumentation im Großen und Ganzen korrekt ist.
Jetzt zum Inhalt: 
Ich bin mal sehr gespannt, inwieweit sich die Zeiten wirklich geändert haben
und ob heute ein vorurteilsfreier Umgang mit diesem Text möglich ist. Der
'FAZ' geht es offensichtlich nur darum, Trittin zum Rücktritt zu zwingen: 
"Brandstifter 
Das Wort »Jugendsünde« wird den Haßtiraden nicht gerecht, mit denen Fischer
und Trittin einst diesen Staat bekämpften. Fischer hat sich beizeiten davon 
losgesagt - Trittin erst am Montag. Zu spät."
Die Überschrift fällt auf die 'FAZ' zurück, denn sie weist sich damit selbst
als eben den 'Biedermännern und Brandstiftern' zugehörig aus, denen es schon
in den 70er Jahren gefiel, einen Teil der damaligen Jugend 
durch brachiale Nötigung zur Distanzierung in die Arme des Terrorismus zu
treiben und denen selbst ein Stiefel leckender Trittin nicht devot genug
ist, nachdem sie ihn aufs Korn genommen haben, um zu beweisen, daß selbst
vollkommene Unterwürfigkeit nicht genügt, um ihrer Gnade teilhaftig 
werden zu können. 
Wenn sich Trittin nun genötigt sieht, eine Selbst- verständlichkeit zu sagen,
wie: "Der Mord an Buback gehört zu den schlimmsten Verbrechen, die der 
Terrorismus in Deutschland in den 70er Jahren begangen hat", ist dies
keine Selbstverständlichkeit. Es ist empörend, wenn ein Mensch zum Erhalt
seines Ministerpostens gezwungen werden kann, sich gegen die implizite
Unterstellung, mit dem Terrorismus zu sympathisieren, distanzieren zu
müssen. Das ist demütigend für jeden denkenden Menschen.
Nun zum "Buback-Nachruf" selbst: 
Ich war damals ein junger Student, der glücklicherweise in seiner Einstellung
zur Gewaltfreiheit einerseits und andererseits in seiner kritischen Haltung 
gegenüber dem in der Bekämpfung und gleichzeitigen Bewässerung des 
terroristischen "Sumpfes" völlig verhärteten Staat, einigermaßen gefestigt 
war. Ich erlebte, wie eine Hetzkampagne gegen den "Buback-Nachruf" fast alle 
Medien auf Linie brachte und zwang, den nur durch das aus dem Zusammenhang 
herausgerissene Zitat zweier Worte verunglimpften Text wider alle Vernunft 
einseitig als pro-terroristisch abzustempeln. Ich erlebte, wie dieser Zwang, 
diese "strukturelle Gewalt", ansonsten intelligente MitstudentInnen soweit
trieb, sich zu weigern, diesen Text selbst zu lesen und sich selbst 
ein Urteil zu bilden.
In einem Interview mit dem NDR hat Trittin 1994 - damals war er noch 
niedersächsischer Umweltminister gesagt: "Es ging damals um den Buback-Nachruf, 
wo ein Sponti seine sehr emphatische Absage an den Terrorismus mit einigen sehr 
unstaatsmäßigen Gedanken eingeleitet hat. (...) Das war ein 
radikal-pazifistischer Aufsatz, der aber dann in einer Weise diskutiert und 
verboten und kriminalisiert worden ist. Und da hat es Leute gegeben, die haben 
gesagt 'Nein - wir distanzieren uns davon nicht'. Zu denen habe ich gehört und 
das halte ich nach wie vor für richtig. (...)"
Auch das ist teilweise Unsinn. Trittin kann ebensowenig wie seine Gegner 
differenziert denken. Und ebenso offenbart dieses Zitat eine erschreckende 
Unkenntnis des Pazifismus. Dar "Buback-Nachruf" ist nicht pazifistisch, aber
er ist in seiner gesamten Tendenz eine klare Absage an den Terrorismus: 
"Ich befürchte aber, daß mit dem Anschlag auf Buback den Genossen die 
guten Karten aus der Hand geschlagen worden sind, daß hierdurch eine 
unfreiwillige Amtshilfe für die Justiz geleistet wurde, (...)" 
Dies
ist eine von Nützlichkeitserwägungen (utilitaristisch) geprägte Absage
an den Mord. Aber es ist eine Absage. Und sie hätte - wenn ihre Verbreitung
nicht verboten worden wäre - sicher größeren Einfluß auf gewaltbereite
junge Menschen gehabt, sich (innerlich !) vom Terrorismus zu distanzieren
als pazifistische Außenseiterpositionen. Aber dies war offensichtlich
nicht gewollt. Gewollt war eine Polarisierung: Entweder für diesen Staat
oder für den Terrorismus. Und vor diesem Staat (Abhörskandal Traube / Maihofer, 
Februar 1977) begann auch ich mich damals zu ekeln, wenn ich auch keinen 
Haß auf seine Protagonisten, sondern eher Mitleid empfand. Der deutsche
Herbst mit der Entführung und Ermordung Hanns Martin Schleyers 1977 stand
noch bevor.
Einige weitere Zitate aus dem "Buback-Nachruf":
"(...) ich denke immer noch, daß die Entscheidung zu töten oder zu killen
bei der herrschenden Macht liegt, bei Richtern, Bullen, Werkschützern, 
Militärs, AKW-Betreibern."
"Aber wer und wieviel Leute haben Buback (tödlich) gehaßt. Woher könnte ich,
gehörte ich den bewaffneten Kämpfern an, meine Kompetenz beziehen, über
Leben und Tod zu entscheiden? Wir alle müssen davon runterkommen, die 
Unterdrücker des Volkes stellvertretend für das Volk zu hassen, (...)"
"Unser Zweck, eine Gesellschaft ohne Terror und Gewalt (wenn auch nicht ohne
Aggression und Militanz), eine Gesellschaft ohne Zwangsarbeit (wenn auch
nicht ohne Plackerei), eine Gesellschaft ohne Justiz, Knast und Anstalten
(wenn auch nicht ohne Regeln und Vorschriften oder besser: Empfehlungen)
dieser Zweck heiligt eben nicht jedes Mittel, sondern nur manches. Unser
Weg zum Sozialismus (wegen mir: zur Anarchie) kann nicht mit Leichen
gepflastert werden."
Steine zu werfen war im Militanz-Verständnis der Göttinger "Mescaleros",
zu denen der Verfasser des anonymen Textes zu zählen ist, durchaus
legitim. Aber der Haß, von dem die 'FAZ' hetzerisch schreibt, ist 
zumindest mit diesem Text eher widerlegt als dokumentiert. Viele der
damals aufmüpfigen und die Anpassung verweigernden jungen Menschen
waren weniger politisch bewußt als der Verfasser des inkriminierten
Textes und - wie die Selbstbetitelung als "Mescalero" schon andeutet - mehr
an spätpubertärem Indianer-Abenteuer als symbolischer und kurzfristig 
angelegter Revolte gegen die väterliche Autorität interessiert. Sie in
den terroristischen "Sumpf" abgleiten zu lassen, benötigte erheblichen 
Anstoß und Bewässerung der schiefen Ebenen von staatlicher Seite - wie
eben jenes Verbot des "Buback-Aufrufs".
Auch wenn der dokumentierte Text in Wahrheit widerlegt statt - wie von der 
'FAZ' gewünscht - beweist, daß verallgemeinernd von "Haßtiraden" gesprochen 
werden kann, die entscheidende Frage
bleibt, ob die Menschen heute sich die Mühe machen, den - sicher ein
wenig kruden - Text zu lesen und sich selbst ein Urteil zu bilden
oder der 'FAZ'-Propaganda unbesehen zu vertrauen wie auch 1977 die
Mehrheit der Deutschen der 'tagesschau' vertraute, die ebenfalls nur
die "klammheimliche Freude" zitierte und das Verdikt "pro-terroristisch"
wider alle Vernunft und journalistische Sorgfaltspflicht mittrug...
Klaus Schramm
 
Der Original-Text des "Buback-Aufrufs" kann hier nachgelesen werden.