17.03.2005

Visa-Affäre:
Schwere Vorwürfe aus Köln

Otto Schily belastet

Wie nun bekannt wurde, hatte die umstrittene Entscheidung des Außenministeriums Ende 1999, wonach bei Visa-Anträgen die Bonität der Gastgeber in Deutschland nicht mehr geprüft werden sollte, ein regierungsinternes Vorspiel. Nicht nur Bundesinnenminister Otto Schily, sondern auch Innenminister der Bundesländer waren beteiligt.

Wie aus einem inzwischen veröffentlichten Schreiben des Bundesinnenministeriums vom 24. September 1999 hervorgeht, ist dort der eigentliche Initiator der lockeren Visa-Praxis zu suchen. Im Schreiben aus dem Otto-Ministerium heißt es: "Die Weigerung einzelner Auslandsvertretungen, Verpflichtungs- erklärungen ohne erkennbare Bonitätsprüfung entgegenzunehmen, kann nicht akzeptiert werden". Und - noch deutlicher: "Ich habe daher mit Schreiben vom 18. August 1999 das Auswärtige Amt gebeten, grundsätzlich Verpflichtungs- erklärungen (...) zu akzeptieren, auch wenn keine Aussage zur Bonität enthalten ist."

Dieses Schreiben wurde zudem an alle Länderinnenminister verschickt. Mehr noch: Das Vorgehen wurde zudem mit den Ausländerreferenten der Länder Ende September 1999 in Kiel abgestimmt. Hintergrund ist, daß die Länder für die Bonitätsprüfung der deutschen Gastgeber zuständig waren und dies wegen "mangelnder personeller und sachlicher Ressourcen" als lästig angesehen wurde. Sicherheits- bedenken spielten zu jener Zeit bei keiner der beteiligten Seiten eine Rolle.

Weiter wurde inzwischen bekannt, daß nach Einschätzung des Bundesgrenzschutzes (BGS) bis zu 70 Prozent der in den Jahren 2000 und 2001 eingereisten UkrainerInnen ihre Visa erschlichen haben. Damit sind bis zu 350.000 Menschen mit deutschen Visa illegal in den "Schengen-Raum" eingereist. Diese Zahl beruht auf einer Einschätzung von Eckehart Wache vom April 2002, zu jener Zeit Direktor des BGS-Amtes Frankfurt (Oder). 2000 hatte die deutsche Botschaft in Kiew 211.072, im Jahr darauf 297.391 Visa ausgestellt.

BGS-Direktor Wache stellt die "legendierte Schleusung" als zentrales Problem dar. Dabei handelt es sich um die Erschleichung von Touristenvisa mittels falscher Einladungen, Reiselegenden oder Personalpapieren. Diese Schleusungsmethode war nach Erlassen des Auswärtigen Amtes 1999 und 2000 in der Ukraine stark angestiegen. Wache berichtet, daß allein in seinem Grenzabschnitt zwischen Juni 2000 bis Juli 2001 16.543 UkrainerInnen mit erschlichenen deutschen Schengen-Visa festgestellt worden seien.

Im Visa-Untersuchungsausschuß des Bundestages haben sowohl ein Richter als auch ein Staatsanwalt aus Köln schwere Vorwürfe gegen "Rot-Grün" erhoben. Sowohl außen- als auch Innenministerium hätten von organisierten Schleusungen gewußt und diese sogar gebilligt.

Der Kölner Oberstaatsanwalt Egbert Bülles bekräftigte in Berlin seinen Vorwurf, daß die massenhafte Schleusung von Menschen aus der Ukraine auf Grund der Erlasse des Auswärtigen Amts "mit Hilfe und Kenntnis der Ministerien" erfolgt sei. Die Visa-Praxis sei "rechtswidrig" gewesen, sagte er.

Bülles gilt als Experte auf dem Gebiet des Menschenhandels. Im spektakulären Kölner Schleuser-Prozeß im Februar 2004, dessen Urteil die Visa-Affäre ins Rollen gebracht hatte, vertrat er die Anklage. Als Zeuge im Visa-Ausschuß sagte er nun aus, im damaligen Verfahren seien weder das Außen- noch das Innenministerium sonderlich hilfreich gewesen: "Da wurde mehr vernebelt als klargestellt."

Bülles monierte, daß ihm das Außenministerium auch nach dreimaliger Anfrage den Erlaß-Text nicht rechtzeitig zur Verfügung stellte. Offenbar erkannten sowohl Innen- als auch Außenministerium die Brisanz des Themas, denn entgegen den sonstigen Gepflogenheiten - wie Bülles bestätigte - erschienen die als Zeugen nach Köln geladenen Beamten aus dem Innen- als auch Außenministerium mit Rechtsbeiständen. Oberstaatsanwalt Egbert Bülles erklärte dazu, dies sei ihm "doch ein bißchen komisch vorgekommen".

Ulrich Höppner, Richter beim Schleuser-Prozeß vor dem Kölner Oberlandesgericht, kritisierte, die Erlasse von Ende 1999 und Anfang 2000 hätten bei den ohnehin überlasteten Visa-Stellen etwa in Kiew den Eindruck erweckt, dies sei "politisch von oben" so gewollt und so sei dann verfahren worden. Höppner bestätigte, daß die Erlasse im Widerspruch zu den strengen Konsularregeln der Schengenstaaten stehen. Im Schleuser-Prozeß hatte Höppner den gebürtigen Ukrainer Anatoli Barg als Chef einer Schleuser-Bande lediglich zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Barg in 7.949 Fällen UkrainerInnen nach Deutschland geschleust. Aufsehenerregend war die Begründung, die zu berücksichtigenden "mildernden Umstände" seien in der Visa-Praxis gegeben, die die Verbrechen begünstigt habe. Außerdem bestätigte Höppner seine Aussage, daß er sich durch das Außenministerium behindert sah.

Für die Vernehmung von Außenminister Joseph Fischer vor dem Visa-Ausschuß gibt es noch immer keinen Termin. Insbesondere die SPD ist in der Frage gespalten, ob Fischer noch vor der Landtagswahl am 22. Mai vorgeladen werden soll.

 

Adriana Ascoli

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere bisherigen Artikel zur Visa-Affäre

      'Botschaften protestierten gegen Visa-Praxis'
      Rund ein Dutzend Botschaften... bereits im März 2000 (14.03.05)

      'Visa-Affäre: Argumentation "mit der Brechstange"'
      Erler tritt Roth vors Schienbein (13.03.05)

      'Visa-Affäre: Schweige-Deal zwischen Fischer und Schily' (8.03.05)

      'Visa-Affäre: Maulkorb für kritische Botschafter' (5.03.05)

      'Toter in Visa-Affäre?'
      Staatsanwalt in vorauseilendem Gehorsam: "Kein Zusammenhang"
      (3.03.05)

      'Fischers Büttenrede in Köln'
      Applaus wie vereinbart (26.02.05)

      'Warum die orthodoxe Linke zur Visa-Affäre schweigt'
      Die wirtschaftlichen Hintergründe der Visa-Affäre (25.02.05)

      'NRW-"Rote" seilen sich von Fischer ab'
      Das Krisenmanagement in der Visa-Affäre sei katastrophal (25.02.05)

      'Joseph Fischer nun doch erst später vor Visa-Ausschuß'
      Visa-Mißbrauch bereits im März 2000 Thema im Kabinett (24.02.05)

      'Joseph Fischer nun doch bald vor den Visa-Ausschuß'
      (22.02.05)

      'Koch in Visa-Affäre verstrickt'
      (19.02.05)

      'Sensation im Visa-Ausschuß'
      Fischers Praktiken waren illegal
      (17.02.05)

      'Fischers Visa-Affäre spitzt sich zu'
      Brief vom Außenminister höchstselbst vom April 2000
      (16.02.05)

      'Joseph Fischers final flight?'
      Schröders Treue im Bruch-Test
      Volmer nimmt die Rolle des Bauernopfers nicht an
      (14.02.05)

      'Volmer aus der Schußlinie genommen'
      In wenigen Tagen beginnt Visa-Untersuchungsausschuß (12.02.05)

      'Volmer beim Lügen ertappt'
      Hunderttausende verdient mit "auf dem Schoß sitzen" (10.02.05)

      'Bundestagsabgeordneter Volmer als Lobbyist enttarnt' (19.01.05)

 

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