30.10.2004

Frauen unverändert
bei 70 Prozent

"It's the ecomomy, stupid" (Bill Clinton)

Personal-Chefs wissen es in der Regel ganz genau - und in der Regel schweigen sie. Es ist ja auch nicht ihr Job, Frauen auf die Nase zu binden, daß sie im Durchschnitt mit 30 Prozent weniger Lohn oder Gehalt im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen zufrieden sind.

Bei einer Untersuchung der Hamburger Vergütungsberatung 'Personalmarkt' wurden aktuell die Daten des Statistischen Bundesamtes1 bestätigt. Es wurden die Gehälter von 22 Berufen analysiert und 250.000 aktuelle Gehälter ausgewertet. Der "kleine" Unterschied ist nicht nur bei den unteren Einkommensgruppen zu finden. Eine 35-jährige Unternehmensberaterin beispielsweise verdient rund 48.000 Euro brutto im Jahr, ihr gleichaltriger männlicher Kollege hingegen im Durchschnitt knapp 79.000 Euro - eine Differenz von 30 Prozent. Ein 45-jähriger Controller verdient rund 62.000 Euro, seine gleichaltrige Kollegin 42.000 Euro. Eine 40-jähriger Ingenieur verdient rund 54.000 Euro, seine gleichaltrige Kollegin 40.000 Euro.

Bei dieser Form der Frauen-Diskriminierung steht Deutschland im europäischen Vergleich auf einem der untersten Ränge. Selbst Frauen in den mit Macho-Image behafteten Ländern wie Italien, Spanien und Griechenland werden fairer behandelt als Frauen in Deutschland.

Selbst dort, wo Tarifverträge die Bezahlung regeln, ist Spielraum für die heimliche Unterdrückung der Frauen. Das liegt vor allem daran, daß die Arbeit von Frauen und Männern verschieden bewertet wird. Die Eingruppierung wurde und wird in der Regel von Männern vorgenommen. Und diese schätzen Berufe mit Verantwortung für Maschinen höher ein als solche mit Verantwortung für Menschen - traditionelle Ausnahme: der Arztberuf.

Doch längst existiert eine Methode, Arbeit unabhängig vom Geschlecht zu bewerten: "Abakaba" heißt das Zauberwort und steht für: Analytische Bewertung von Arbeitstätigkeiten nach Katz und Baitsch. Diese Methode wurde von Schweizer ArbeitswissenschaftlerInnen entwickelt. Danach zählt nicht mehr nur reine Muskelkraft, sondern auch, wie hoch der Stress ist, wie häufig die Beschäftigten Kontakt mit KundInnen haben und wie selbstbestimmt das Arbeitstempo ist.

Die Gewerkschaft ÖTV hat nach diesem System die Arbeit im öffentlichen Dienst in Hannover untersucht. Auch beim Bundesangestellten-Tarif (BAT), der auf 1.300 Seiten die Entlohnung für jeden Beruf bis ins Kleinste regelt, werden Frauen unterbewertet. "Der BAT besitzt ein großes Potential für die Diskriminierung von Frauen", erklärt Alexa Wolfstädter von ver.di. "Das hängt damit zusammen, daß das, was Frauen leisten, in der Gesellschaft abgewertet wird." Nach der ÖTV-Studie müßte beispielsweise eine Diplom-Bibliothekarin (ein typischer Frauenberuf) das gleiche Gehalt beziehen wie ein Ingenieur mit Fachhochschulabschluß. Hier ist das Mißverhältnis besonders kraß: Während sie selbst nach mehreren Jahren Berufserfahrung rund 20.000 Euro verdient, erhält ein Ingenieur bereits nach 6 Monaten Probezeit in der Regel mehr als das Doppelte.

Daß Deutschland von der Gleichstellung der Frauen noch weit entfernt ist, liegt nicht nur daran, daß Männer die Arbeitswelt dominieren und die Regeln aufstellen. Auch die Frauen selbst tragen durch das ihnen anerzogene Verhalten dazu bei, daß sie "den Kürzeren" ziehen. "Frauen verkaufen sich im Einstellungsgespräch schlechter als Männer", gestehen Personal-Chefs bei einer anonymen Befragung. Die US-amerikanische Wirtschafts-Professorin Linda Babcock analysiert in ihrem Buch 'Women don't ask - Negotiation and the Gender Divide', Männer und Frauen hätten in ihrer Einstellung in Hinblick auf Berufsleben und Karriere eine grundsätzlich andere Einstellung. Dies mag bedingt sein durch die traditionellen Fesselung an die drei Ks - Kinder, Küche, Kirche; es liegt jedoch sicher auch an einer anderen - fortschrittlichen - Orientierung an Teilzeitarbeit, dem Wunsch nach einer Vereinbarkeit von privatem und öffentlichem Leben und einer Abkehr von der immer aggressiveren Ellenbogen-Mentalität des globalisierten Kapitalismus.

Da weder die Frauenbewegung der 70er Jahre noch "How-to"-Ratgeber an der seit den 60er Jahren nahezu unveränderten Ungleichbehandlung etwas ändern konnten oder können, bleibt nur die Hoffnung, daß die Frauen bald die nötigen ökonomischen Druckmittel in die Hände bekommen. So war die Veränderung von 55 Prozent auf 69 Prozent allein in den Jahren zwischen 1960 und 1967 sicher ausschließlich auf den damaligen Arbeitskräftemangel zurück zu führen. Das gesteigerte Mißverhältnis zwischen geringem Angebot (an Arbeitskräften) und großer Nachfrage ("Stellenangebot") trieb den Preis (Lohn) - und damit insbesondere den der Frauen, die damals vom Herd weggelockt werden mußten - in die Höhe.

Dabei ist nach wie vor die Bereitschaft der Männer, sich in der Familie anteilig zu engagieren, auch in Deutschland äußerst schwach entwickelt. Anspruch und Wirklichkeit klaffen hier himmelweit auseinander. Illusionen bestimmen die Selbsteinschätzung. So wurde kürzlich eine internationalen Studie veröffentlicht, laut der die deutschen Frauen in puncto Emanzipation Weltspitze seien: Rund 75 Prozent der deutschen Frauen lehnt die Vorstellung ab, nur Hausfrau zu sein und keiner Erwerbsarbeit nachzugehen. Deutsche Männer stimmen ihnen da mit großer Mehrheit zu: 68 Prozent. Ganz anders in den USA: Rund 80 Prozent der US-Frauen hält es für richtig, wenn eine Frau ausschließlich Hausfrau ist. Messen wir den "Grad der Emanzipation" an solchen die Realität verzerrenden Idealen, haben selbst Chinesinnen und Inderinnen die US-Frauen überholt. Lediglich rund 36 Prozent der Chinesinnen sieht ihre Zukunft als Hausfrau. Bei den Inderinnen überwiegt zwar mit rund 57 Prozent die positive Einstellung zum Hausfrauendasein, aber ein gutes Drittel lehnt ein solches Leben auch rundweg ab. Nur in Großbritannien finden die USA noch genügend Verbündete für das Hausfrauenleben. Fast 70 Prozent der Britinnen und 58 Prozent der britischen Männer sehen die Frauen am liebsten am Herd stehen.

Zur Erinnerung: In puncto Lohngerechtigkeit stehen die deutschen Frauen in Europa auf einem der schlechtesten Plätze noch hinter den Italienerinnen, Spanierinnen und Griechinnen. Und noch ein Faktum, das die Differenz zwischen Illusion und Realität beleuchtet: Laut Angaben der Forschungsstelle Sozialökonomie der Freien Universität Berlin beträgt die Zahl der Hausmänner in Deutschland über die Jahre hin unverändert gleichbleibende kümmerliche 100.000. Davon arbeiten allerdings die meisten halbtags im Wechsel mit den Ehefrauen. Die Zahl der Ganztags-Hausmänner liegt dagegen bei 10.000 bis 20.000. Und selbst dann, wenn Frau und Mann subjektiv meinen, die Haushaltsarbeit gerecht aufzuteilen, hält dies in den meisten Fällen einer objektiven Überprüfung nicht stand.2 Auch von den berühmten alleinerziehenden Vätern gibt es bundesweit lediglich rund 200.000 Exemplare. Und Erziehungsurlaub nehmen nach wie vor nur rund zwei Prozent aller Väter. Wie neuere Untersuchungen zeigen, arbeiten Männer, wenn sie Vater werden, in der Regel eine Stunde länger - am Arbeitsplatz, nicht zu Hause.

Bei den deutschen Frauen, die nach wie vor klaglos am kaum zu bewältigenden Spagat zwischen Mutter- und Berufsrolle leiden, ist es nicht einfach nur umgekehrt: Sie arbeiten dann nicht etwa eine Stunde weniger - nach der Geburt eines Kindes steigen sie im Durchschnitt für zweieinhalb Jahre aus dem Berufsleben aus. 42 Prozent der deutschen Frauen kehren nach dem ersten Kind gar nicht mehr in ihren alten Job zurück. Und durch die zähen und durch Illusionen überdeckten Rollenmuster bedingt arbeiten rund 40 Prozent der Frauen Teilzeit - am Arbeitsplatz, nicht zu Hause.

Wie die 60er Jahre gezeigt haben, ändert sich an diesen Zuständen nur etwas durch Veränderungen in den ökonomischen Bedingungen - nicht durch Appelle oder Manifeste. Und da stellt sich die Frage, ob wir eine solche Veränderung einfach abgewarten müssen oder ob die Emanzipation der Frau nicht als integraler Teil einer Demokratisierung der Ökonomie erreicht werden kann. Bill Clinton hatte schon recht als er sagte: "It's the economy, stupid" - wir müssen ihn nur richtig verstehen.

 

Adriana Ascoli

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unsere Artikel
      Auch nach fünf Jahren "Rot-Grün": Frauen bei 70 Prozent (3.03.04)

      1999: 70 Prozent

2 Siehe hierzu
      Die Illusion der Emanzipation: Zur Wirksamkeit latenter
      Geschlechtsnormen im Milieuvergleich, Cornelia Koppetsch,
      Günter Burkart, Maja S. Maier. Universitätsverlag Konstanz 1999.

 

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