10.06.2004

Teuerstes Spielzeug der Welt
in Garching

Renaissance der Atomenergie?

Das einzige AKW, das seit dem Amtsantritt von "Rot-Grün" im Jahr 1998 als Zeichen für einen "Atom-Ausstieg" vom Netz ging, war das AKW Stade1, das von Betreiberseite bereits vor 1998 als unrentabel bezeichnet worden war. Bundes-Atom- Minister Trittin zelebrierte dort am 14. November 2003 zur Abschaltung einen Sektempfang. Daß er bereits im April 2003 "grünes Licht" für den Atomforschungsreaktor FRM 2 in Garching2 bei München erteilt hatte, wurde von den Massenmedien hingegen totgeschwiegen. Gestern nun wurde der FRM 2 in Anwesenheit des bayerischen Ministerprä- sidenten Stoiber und des früheren AKW-Gegners Innenminister Schily feierlich eingeweiht.

Und im Vorfeld dieser Einweihung war mal wieder ein Theaterstück in durchsichtiger Rollenverteilung geboten: Während tatsächlich Bundesminister Trittin in Fragen des Atomrechts gegenüber Bayern weisungsbefügt ist, spielte er dem weisungsgebundenen Stoiber den Schwarzen Peter zu, den dieser freudig aufnahm. Stoiber präsentierte sich der Öffentlichkeit als Verantwortlicher für die Genehmigung des FRM 2. Obwohl die weltweiten Uran-Lagerstätten gerade eben ausreichen, um die vorhandenen AKWs noch für rund 15 Jahre zu betreiben, spielt sich die schwarze und blau-weiße Opposition als Gralshüterin der Atomenergie auf und propagiert lautstark einen Ausstieg aus dem "Atom-Ausstieg" - einem Gesetz, das de facto eine Bestandsgarantie darstellt. Denn die von "Rot-Grün" unter Applaus der Massenmedien als "Atom-Ausstieg" präsentierten Konsensvereinbarungen mit den AKW-Betreibern garantieren diesen den ungestörten Weiterbetrieb für eben genau diesen Zeitraum.

Nur wenige erinnern sich noch an die Aufführungen des selben Atom-Theaterstücks unter umgekehrten Vorzeichen. Zu Joseph Fischers Zeiten als "Turnschuh"-Umweltminister unter dem hessischen "Dachlatten"-Ministerpräsidenten Holger Börner (SPD) gab ersterer regelmäßig den unerschrockenen Kämpfer gegen den seinerzeitigen Bundes-"Umwelt"-Minister Töpfer. Bei jedem Neustart beispielsweise des AKW Biblis nach den schon damals häufigen Abschaltungen, ließ sich Fischer zur Erteilung der Betriebsgenehmigung von Töpfer "zwingen". Damals redete sich Fischer damit heraus, die Atom-Aufsicht liege beim Bund und nicht beim Land Hessen.

So war es auch nicht verwunderlich, daß sich die bayerischen "Grünen" gestern mit Protesten sehr zurück hielten: Vielleicht wäre sonst die Öffentlichkeit auf den Skandal aufmerksam geworden und die eine oder der andere wäre denn doch nachdenklich geworden. Dabei hätte zudem eine zweite Gefahr, die der Forschungsreaktor neben dem Risiko einer atomaren Katastrophe birgt, auch für Friedensbewegte - als die sich die "Grünen" trotz Afghanistan und Kosovo weiterhin präsentieren wollen - zum Stein des Anstoßes werden können. Der FRM 2 arbeitet mit hochangereichertem Uran, das nach Ansicht von ExpertInnen atomwaffenfähig ist. Die USA haben deshalb lange den Bau dieses Reaktors zu verhindern versucht und auch die Internationale Atomenergieorganisation IAEO hatte - vergeblich - regelmäßige Inspektionen der Anlage angemahnt.

Der Forschungsreaktor FRM 2 sei ein "Leuchtturm der Innovation", brüstete sich gestern Ministerpräsident Stoiber, der außer "Innovation" ein zweites Lieblingswort von Bundeskanzler Schröder auffallend oft in seine Ansprache eingebaut hatte: "Exzellenz". Exzellente Forschung benötige exzellente Köpfe und diese wiederum suchten exzellente Standorte. Über 500 Millionen exzellente Euro an Steuergeldern wurden in Garching zum Nutzen des Reaktor-Bauers Siemens verbraten, was Stoiber allerdings zu erwähnen vergaß.

Ob der Forschungsreaktor aber tatsächlich exzellente WissenschaftlerInnen aus aller Welt anlocken wird, muß sich erst noch zeigen. MaterialforscherInnen stehen längst ungefährliche Neutronenstrahlungs-Quellen zur Verfügung, so daß zumindest diese kaum zum Atom-Ei nach Garching pilgern werden. Fachliche Gründe sind überhaupt schwer auszumachen, wenn Professor Winfried Petry, der wissenschaftliche Direktor des Betreibers, der TU München, sein Atom-Ei in den höchsten Tönen lobt. Verräterisch ist es hingegen, wenn der Physiker Petry den FRM 2 selbst unversehens als "teuerstes Spielzeug der Welt" bezeichnet. Und beim Thema Geld hörte auch der Spaß für Petry auf, als die Landesregierung im Zuge der rabiaten Mittelkürzungen an den bayerischen Universitäten seinem "Lebenswerk" zu Leibe rücken wollte. Der sonst als CSU-Adlatus wirkende TU-Präsident Wolfgang Herrmann legte sich als treuer Mitstreiter Petrys massiv bei Stoiber ins Zeug und konnte erreichen, daß die Mittelkürzungen nunmehr die anderen Fachbereiche um so härter treffen.

Und auch ein weiterer Skandal hätte eigentlich für heftigen Widerstand sorgen müssen: Schon der bisher vorhandene Forschungsreaktor FRM 1 in Garching hatte für eine radioaktive Verseuchung der Umgebung gesorgt. In einem 5-Kilometer-Umkreis um die Anlage ist die Zahl der leukämiekranken Kinder signifikant erhöht. Die vom Bund und dem Land Bayern finanzierte Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung stellte eine um 7mal höhere Rate fest, als statistisch zu erwarten gewesen wäre. Die amtliche Schlußfolgerung zu diesen Ergebnissen war allerdings merkwürdig: Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Strahlenbelastung und Leukämierate könne nicht nachgewiesen - aber auch nicht ausgeschlossen werden. Inzwischen ist die mögliche Ursache bekannt: Das Gelände um die Anlage herum ist mit Tritium verseucht.

Daß uns in Deutschland mit der Einweihung des FRM 2 als erstem Reaktor nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986 die vielbeschworene Renaissance der Atomenergie ins Haus steht, ist trotz aller verbalen Kraftmeierei der Opposition ebenso unwahrscheinlich wie der von "Rot-Grün" verkündete Atom-Ausstieg. Kurz nachdem sich dieser Tage Edmund Stoiber und der naßforsche hessische Ministerpräsident Roland Koch lautstark für den "Ausstieg aus dem Ausstieg" in Szene gesetzt hatten, bekamen sie mal wieder3 von den Machthabern hinter den Kulissen einen Dämpfer verpaßt. Der Neubau von AKWs ist heute nicht mehr finanzierbar, wurde ihnen vom Verband der Deutschen Elektrizitätswirtschaft (VDEW) beschieden. VDEW-Präsident Werner Brinker sagte hierzu aktuell in Berlin: "Die Investitionskosten für Atomkraftwerke sind so hoch, daß an einen Neubau gar nicht zu denken ist." AKWs hätten die höchsten Investitionskosten von allen konventionellen Kraftwerken, erklärte Brinker. Weit preisgünstiger sei es heute, kleine Gaskraftwerke zu bauen. Und am allerwichtigsten ist den Herren, daß der gesellschaftlicher Streit um die Atomenergie, der durch den vermeintlichen Atom-Ausstieg "befriedet" werden sollte und zumindest stark zurückgedrängt wurde, nicht durch Ungeschicklichkeiten geltungsbedürftiger Unions-Ministerprä- sidenten wieder auflebt.

Außer acht darf hierbei aber nicht gelassen werden, daß - wie das Beispiel des für 2005 geplanten AKWs in Finnland zeigt - die nötigen Investitionssummen aus EU-Mitteln bereit gestellt werden können. Und wie die aktuelle Verteidigung des EURATOM-Vertrags4 als Bestandteil der Europäischen Verfassung zeigt, besteht ein starkes Interesse daran, die französischen und britischen Atomstreitkräfte in die EU zu überführen und zu diesem Zweck die Nutzung der "friedlichen" Atomenergie so lange wie möglich - wenn auch auf kleiner Flamme - fortzusetzen.

 

Solveig Brendel

 

Anmerkungen:

1 Siehe hierzu auch unseren Artikel
    'Stade und die CASTOR-Mobilisierung' v. 12.11.03

2 Siehe hierzu auch unseren Artikel
    '"Rot-Grün" forciert Atom-Politik...' v. 15.05.03

3 Siehe hierzu auch unseren Artikel
    'Atomindustrie besteht auf "Ausstieg"
    - Weshalb die AKW-Lobby den
    Kanzlerkandidaten Stoiber zurückpfiff' v. 17.09.02

4 Siehe hierzu auch unseren Artikel
    'Neue Atommacht EU?' v. 24.04.04

 

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