7.07.2008

Rettung für Hasankeyf

Kreditbürgschaft des Ilisu-Staudamm-Projekts
endgültig gestoppt

Das umstrittenen Ilisu-Staudamm-Projekt bei der historisch und archäologisch bedeutenden Stadt Hasankeyf wird nicht mit deutscher Staatshilfe gebaut. Gemeinsam mit den Regierungen Österreichs und der Schweiz kündigte die deutsche Bundesregierung die vormals unter Bedingungen zugesagte Export-Kreditbürgschaft auf. Damit hat ein über elf Jahre dauerndes Tauziehen ein positives Ende genommen. Dabei ging es um den Erhalt eines Welt-Kulturerbes, die Vertreibung tausender Menschen, ökologischer Folge-Schäden und wirtschaftliche Interessen.

Das Ilisu-Staudamm-Projekt

Mit der Staatsbürgschaft in Höhe von 450 Millionen Euro sollte unter anderem die Beteiligung einer deutschen Baufirma, des Stuttgarter Züblin-Konzerns, an dem Milliarden-Projekt abgesichert werden. Die türkische Regierung habe die vertraglich vereinbarten Auflagen zum Schutz von Umwelt, Kulturgütern und Umsiedlung der vom Staudamm betroffenen Bevölkerung "nicht genügend erfüllt", begründete die deutsche Seite den endgültigen Rückzug der drei europäischen Regierungen aus dem Mega-Vorhaben. Am Montag um Mitternacht war eine letzte sechsmonatige Frist verstrichen, innerhalb derer die türkische Regierung Auflagen hätte erfüllen können. In Deutschland ist es das erste Mal, daß eine staatliche Hermes-Bürgschaft mit Verweis auf international vereinbarte Umwelt- und Nachhaltigskeitsstandards gestoppt wurde.

Nichtregierungsorganisationen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und der Türkei, die seit Jahren gegen das Staudammprojekt Front machen, feierten den Rückzug der Exportgarantien als "riesigen Erfolg" ihrer Stop-Ilisu-Kampagne und einen "wichtigen Etappensieg" auf dem Weg zum endgültigen Aus für den geplanten Staudamm, in dessen Fluten fast 200 Siedlungen versinken würden. "Wir freuen uns über diese Entscheidung, die unsere bisherige Arbeit bestätigt", sagt Ipek Tasli von der Initiative 'Leben für Hasankeyf'. Auch der Bürgermeister von Hasankeyf, Abdul Vahap Kusen, freute sich: "Wir wollen diese Stadt nicht verlieren, denn sie gehört nicht uns allein oder der Türkei, sondern der ganzen Welt. Seit elf Jahren kämpfe ich schon für die Rettung von Hasankeyf. Ich begrüße deshalb die Entscheidung des Auslands, keine Kreditbürgschaften zu gewähren."

Bei der Ortschaft Ilisu, etwa 85 Kilometer flußaufwärts der syrischen Grenze, will die staatliche Wasserbehörde DSI den Tigris hinter einem 136 Meter hohen und an der Krone 1.820 Meter langen Betonmauer aufstauen. Ein See von 313 Quadratkilometern Fläche soll entstehen. Die Turbinen des Staudamms sollen pro Jahr 3,8 Milliarden Kilowattstunden Strom liefern - das entspräche etwa drei Prozent des gegenwärtigen türkischen Stromverbrauchs. Die türkische Regierung pries das Projekt als "Jahrhundertbauwerk" und versprach der Region Arbeit und Wohlstand. Insgeheim jedoch sollte das Projekt nicht zuletzt der Kontrolle der überwiegend von KurdInnen bewohnten Region dienen.

Die GegnerInnen brachten in jahrelanger mühevoller Arbeit und bei zunächst wenig Interesse der Mainstream-Medien und westlicher PolitikerInnen die gravierenden ökologischen und sozialen Gefahren des Staudamm-Projekts in die öffentliche Diskussion. Nahezu 100.000 Menschen müßten umgesiedelt werden. Bei anderen vergleichbaren Staudamm-Projekten dieser Größenordnung war die ökologische Bilanz katastrophal. Nach Ansicht vieler ExpertInnen würde der Ilisu-Stausee in weniger als 50 Jahren durch das Sediment, das der Tigris mitführt, versanden und nutzlos werden wird.

Hasankeyf war in den vergangenen Jahren zum Symbol für die Kampagne gegen den geplanten Staudamm geworden. Die Ortschaft ist die einzige aus der Antike und dem Mittelalter weitgehend komplett erhaltene Siedlung Anatoliens. In ihren Bauwerken sind Spuren von über 20 Kulturen wie in einem riesigen Freilichtmuseum zu sehen. Erst vor wenigen Tagen hatten ArchäologInnen der Universität Batman in Hasankeyf Skelette gefunden, die beweisen, daß schon vor 15.000 Jahren Menschen an dieser Stelle siedelten.

Deutschland - damals unter "Rot-Grün" - , Österreich und die Schweiz hatten trotz der anhaltenden internationalen Proteste Kreditbürgschaften zugesagt - allerdings unter der Bedingung, daß die türkische Regierung 153 Auflagen umsetzt. Diese Auflagen sollten eine angemessene Entschädigung und sozialverträgliche Umsiedlung der betroffenen Bevölkerung, die Rettung möglichst vieler Kulturgüter und den Schutz der Umwelt sichern. Letzteres war allerdings bei einem Staudamm-Projekt dieser Größenordnung nichts weiter als eine Farce. Bis zur Umsetzung der Auflagen galt ein Bau-Stop. Die türkische Regierung ließ die zuletzt noch einmal um sechs Monate verlängerte Frist verstreichen, ohne die Mehrzahl der Auflagen umzusetzen, wie Experten im Auftrag der drei Regierungen vor Ort feststellten. Bereits 2002 hatte die Weltbank eine Finanzierung des Projekts wegen Zweifeln an der Sozial- und Umweltverträglichkeit abgelehnt.

Bei vielen Staudamm-GegnerInnen mischt sich in die Erleichterung über den Rückzug der drei europäischen Regierungen jedoch eine gehörige Portion Skepsis. Die türkische Regierung scheint entschlossen, das Projekt in jedem Fall umzusetzen - auch ohne Kreditbürgschaften des Auslandes. Doch auch in der Türkei wächst der Widerstand gegen das Vorhaben. Nicht nur die Mehrheit der Bevölkerung in der betroffenen Region will den Staudamm verhindern, auch immer mehr Prominente schließen sich der Kampagne an - unter ihnen der Popstar Tarkan, der Schriftsteller Yasar Kemal und Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk.

Der türkische "Umwelt"-Minister Veysel Eroglu zeigte sich derweil unbeeindruckt und bekräftigte bereits vergangene Woche: "Dieser Damm wird gebaut, wir haben das Geld und die technischen Möglichkeiten." Der "Umwelt"-Minister prahlt und schlägt nationalistische Töne an: "Die türkische Republik ist ein starkes Land, wir könnten sogar Hunderte solcher Staudämme errichten." Wie diese Aussage mit dem Einbruch der türkischen Wirtschaft um nahezu 14 Prozent in Folge der Weltwirschaftskrise zu vereinbaren ist, dürfte das Geheimnis des Ministers bleiben.

Gefordert ist nun die Unterstützung türkischer Bauvorhaben im Bereich der Erneuerbaren Energien. Das von der Sonne verwöhnte Land könnte mit Hilfe von Solar- und Windenergie in wenigen Jahren nicht nur 100 Prozent des eigenen Energiebedarfs decken, sondern zum Strom-Exporteur aufsteigen.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Kreditbürgschaft für Ilisu-Projekt gestoppt
      Hoffnung für Hasankeyf (22.12.08)

      Hoffnung für Hasankeyf?
      Das Staudamm-Projekt Illisu steht auf der Kippe (31.03.08)

      Hasankeyf: Stuttgarter Züblin-Konzern
      bekommt Ärger auf der Aktionärsversammlung (6.07.07)

      Hasankeyf - Das umweltfeindliche Staudamm-Projekt
      wird fortgesetzt / Ilisu ist eine Schande für Deutschland (27.03.07)

      Hasankeyf weiter bedroht
      Ilisu-Staudamm-Projekt wird vorangetrieben (24.09.05)

      Ilisu-Staudamm-Projekt fortgesetzt
      Hasankeyf weiterhin bedroht (20.05.05)

      Siemens bedroht Hasankeyf
      Konzern plant Übernahme von VA Tech und Staudamm-Projekt Ilisu
      (12.11.04)

      Wasser und Weltbank (13.07.03)

      Explosivstoff Wasser
      Nahost braucht eine gerechtere Verteilung des Wassers (4.02.01)

      HASANKEYF - Staudammprojekt des Wahnsinns (7.11.2000)

 

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