4.01.2013

Georg Elser
Mut, Recht und Unrecht

Georg Elser
Am 31. August 1939 inszenierten die Nazis unter dem Codenamen "Unternehmen Tannenberg" einen Überfall auf den Sender Gleiwitz. Der Überfall auf die Radiostation an der polnischen Grenze wurde Polen in die Schuhe geschoben und diente als Vorwand für den lange geplanten Krieg. Am 1. September 1939 erklärte Adolf Hitler im deutschen Rundfunk: "Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen" und begann damit den Zweiten Weltkrieg.

Mindestens 19 Attentate wurden auf Hitler verübt; 20 weitere Attentatsversuche wurden geplant, aber nicht ausgeführt oder vereitelt, die meisten nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Am 8. November 1939 verübte der Schreinergeselle Georg Elser einen Anschlag auf Hitler. Dabei verfehlte er mit seiner selbst gebauten und per Zeitzünder gezündeten Bombe den "Führer und Reichskanzler" der Deutschen um 13 Minuten. Hitler hatte auf der Versammlung im Münchener Bürgerbräukeller kürzer als üblich gesprochen und war früher als geplant aufgebrochen. Wäre das Attentat geglückt, wäre mit Hitler nahezu die gesamte NS-Führungsspitze ums Leben gekommen. So kamen von den rund 120 bis 150 im Saal Anwesenden acht zu Tode - darunter eine Bedienstete - und 63 weitere wurden verletzt, davon 16 schwer.

Georg Elser wurde am selben Tag noch vor der Explosion der Bombe unglücklicherweise bei einer Grenzkontrolle kurz vor dem Grenzübertritt in die Schweiz festgenommen. Er wurde verhört und gefoltert. Elser bekannte sich zu seinem Attentats-Versuch. Doch die Nazis wollten lange Zeit nicht an einen Einzel-Täter glauben. Elser wurde ohne Gerichtsverfahren als "Sonderhäftling des Führers" zuerst im KZ Sachsenhausen, danach im KZ Dachau inhaftiert und auf Hitlers persönlichen Befehl hin am 9. April 1945 ermordet.

Die Nazis nutzten den für Hitler glücklichen Zufall und schlachteten in ihrer Propaganda das "Wunder" aus, das eine "Macht des Schicksals" bewirkt hatte. Die Rede war zudem von einer "Fügung der Vorsehung". Der Attentats-Plan ginge auf den britischen Geheimdienst im Verein mit dem "internationalen Judentum" zurück, so die Nazi-Presse im Jahr 1939.

Am 4. Januar 1903 wurde Georg Elser in dem Ort Hermaringen in Württemberg geboren. Er wuchs in Königsbronn auf und begann im Alter von 14 Jahren eine Lehre als Dreher. Zwei Jahre später wechselte er aus gesundheitlichen Gründen zu einer Schreierlehre, die er 1922 als Geselle abschloß. Politisch betätigte er sich zwischen 1928 und 1929 im Roten Frontkämpferbund, der Kampforganisation der KPD. In den Jahren 1925 bis 1932 arbeitete er in Deutschland und der Schweiz in verschiedenen Orten am Bodensee. Dabei gelangte er zu Wissen, das ihm später ermöglichte, selbst einen Zeitzünder und die Bombe zu bauen. Von 1932 bis 1936 arbeitete er bei seinen Eltern auf deren Hof, ab 1936 als Hilfsarbeiter in einer Heidenheimer Fabrik.

Schon nach dem Münchner Abkommen vom 30. September 1938, das Elser in seiner Furcht vor einem baldigen Kriegsbeginn bestärkte, begann er das Bomben-Attentat zu planen. Als Arbeiter in einem Steinbruch bei Königsbronn besorgte er sich den nötigen Sprengstoff. Im Sommer 1939 zog er nach München, und begann in einer kleinen Werkstatt den Zeitzünder zu konstruieren. Und indem er sich 30 Mal im Bürgerbräukeller nachts heimlich einschließen ließ, konnte er dort eine Säule direkt hinter dem Rednerpodium aushöhlen.

Elser äußerte präzise politische Vorstellungen, was er mit seinem Attentat auf Hitler erreichen wollte:
"Ich stellte allein Betrachtungen an, wie man die Verhältnisse der Arbeiterschaft bessern und einen Krieg vermeiden könnte. (...) Die von mir angestellten Betrachtungen zeitigten das Ergebnis, daß die Verhältnisse in Deutschland nur durch eine Beseitigung der augenblicklichen Führung geändert werden könnten. Unter der Führung verstand ich die 'Obersten', ich meine damit Hitler, Göring und Goebbels. Durch meine Überlegungen kam ich zu der Überzeugung, daß durch die Beseitigung dieser drei Männer andere Männer an die Regierung kommen, die an das Ausland keine untragbaren Forderungen stellen (...) und die für eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse der Arbeiterschaft Sorge tragen werden."
(aus dem Gestapo-Protokoll vom November 1939)

Die Gestapo versuchte mit mit allen Mitteln die vermuteten Hintermänner des versuchten Attentats herauszubekommen, da es ihnen unmöglich erschien, daß ein Einzelner zu einer solch ausgefeilten und präzise vorbereiteten Tat fähig sein könnte. Elsers Heimatgemeinde Königsbronn wurde nach dem Attentat durch die Gestapo durchleuchtet, Elsers Eltern wurden vier Monate lang inhaftiert, der Neffe Franz Hirth kam ins Waisenhaus. Sein Schicksal blieb für die Familie viele Jahre unbekannt. Ein Grab gab es nicht. Erst im Jahr 1950 wurde er für tot erklärt. Elsers Mutter war den Vorwürfen ausgesetzt, ihr Sohn sei ein NS-Werkzeug gewesen. Die Familie erhielt Entschädigungen.

Am 11. November 1939 drückte die sowjetische Führung unter Stalin dem deutschen Botschafter Friedrich-Werner Graf von der Schulenburg "ihr Bedauern und ihre Entrüstung über den ruchlosen Anschlag von München, ihre Freude über die glückliche Errettung Adolf Hitlers aus der Lebensgefahr und ihr Beileid für die Opfer des Attentats" aus. Der Hitler-Stalin-Pakt sorgte dafür, daß auch deutsche, in der Mehrheit moskauhörige KommunistInnen an eine Verschwörung ähnlich der beim Reichstagsbrand glaubten und Elser für einen bezahlten Provokateur der Nazis hielten. Sie griffen eine Beschuldigung auf, die durch Otto Strasser, Führer der "Schwarzen Front", einer Splittergruppe innerhalb des frühen deutschen Faschismus, aufgebracht worden war: Elser sei SS-Unterscharführer gewesen und das Attentat nur fingiert.

Nach dem Krieg verbreitete auch der als Vertreter der "Bekennenden Kirche" im KZ Sachsenhausen inhaftierte Martin Niemöller das Gerücht und sagte etwa am 17. Januar 1946 vor Studenten in Göttingen: "In Sachsenhausen und Dachau habe ich in demselben Zellenbau zusammengesessen mit dem Mann der 1939 das Attentat im Bürgerbräukeller auf Hitlers persönlichen Befehl durchzuführen hatte: Dem SS-Unterscharführer Georg Elser. Mit diesem Mann sollte ein zweiter Reichstagsbrandprozeß durchgeführt werden." Auch der KZ-Aufseher Walter Usslepp verbreitet nach 1945 dieses Gerücht. Der britische Agent des Secret Intelligence Service (SIS) Sigismund Payne Best behauptete, von Elser selbst erfahren zu haben, dieser sei vor dem Attentat im KZ Dachau eingesessen und dort für die Tat angeworben worden.

Historiker weigerten sich lange Zeit beharrlich, sich mit Elser als Widerständler zu beschäftigen, weil sich das Gerücht hielt, er sei eine Marionette der Nationalsozialisten gewesen. Offensichtlich paßte es nicht in das offizielle Geschichtsbild, daß ein einzelner Mensch so viel moralische Integrität besitzen könnte, sich allein einem Terror-Regime entgegenzustellen. Im Gegensatz zu den Verschwörern des 20. Juli 1944 wurde Georg Elser in der offiziellen Gedenkkultur der BRD bis in die 1990er Jahre weitestgehend ausgeblendet. Er war eben kein Offizier, Professor, Unternehmer oder wenigstens von Adel, sondern nur ein kleiner Handwerker - und damit ohne jede Lobby. Und in der DDR gab es ideologische Gründe, den "individuellen Terror" Georg Elsers abzulehnen. In Ost wie West empfanden die StaatsvertreterInnen offenbar großen Unbehagen bei dem Gedanken, daß ein einfacher Schreiner den verbrecherischen Charakter einer Regierung durchschaut hatte.

Erst 1959 wagte der Journalist und Historiker Günter Peis mit einer umfassenden Reportage die Gegenthese zur damals herrschenden Meinung der Geschichtsforschung. Nach systematischen Befragungen von Zeitzeugen kam er zum Ergebnis, daß Elser ein Einzeltäter war.

1964 entdeckte der Historiker Lothar Gruchmann die vollständigen, aus 203 Seiten bestehenden Protokolle der Gestapo von den Verhören Elsers. Sie sind die wichtigste historische Quelle zu seiner Person, da sie der offiziellen NS-Propaganda widersprechen, sich aber mit Zeugenaussagen von Elsers Verwandten und Freunden decken. Auf dieser Grundlage konnten Lothar Gruchmann und Anton Hoch die Alleintäterschaft Elsers endgültig nachweisen.

Ende der 1990er-Jahre wurde in der Öffentlichkeit eine Diskussion darüber geführt, ob die Tat Elsers im Sinne eines ethisch gerechtfertigten Tyrannenmordes als vorbildlich gewertet werden könne. Der Chemnitzer Politologe Lothar Fritze argumentierte, daß auch bei einem ethisch gerechtfertigten Attentat der Attentäter die Pflicht habe, den Tod Unschuldiger zu vermeiden, sofern es ihm möglich ist. Bei Elser jedoch läge die Vermutung nahe, daß er weniger opferträchtige Attentatsmethoden nicht einmal erwogen habe. Diese Überlegungen gehen jedoch am Kern vorbei. Auch der Tyrannenmord ist ethisch nicht zu rechtfertigen. Es gibt genügend Mittel und Wege, in einem gesellschaftlich organisierten gewaltfreien Kampf eine Gewaltherrschaft zu besiegen. Ebenso klar ist aber: Es gibt auch große Unterschiede im Negativen. Die mutige Tat Elsers steht ethisch weit über dem Verhalten der großen Mehrheit der damaligen Deutschen, die der Nazi-Herrschaft aktiv diente oder zumindest keinerlei aktiven Widerstand leistete.

 

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Anmerkung

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