9.05.2004

Artikel

Atomenergie und Atomwaffen
in einer instabilen Welt

IPPNW-Kongreß in Berlin

An drei Kongreßtagen, vom 7. bis 9. Mai, informierten rund 40 internationale ReferentInnen etwa 800 TeilnehmerInnen in der Urania in Berlin. Neben Neuentwicklungen wir den "Mini-Nukes", kleinen vielseitig einsetzbaren Atomwaffen, kam in vielen Vorträgen immer wieder die Sprache auf die untrennbare Verknüpfung von militärischer und ziviler Nutzung der Atomenergie.

Daß sich die USA offenbar auf den Einsatz von Atomwaffen für kommende Kriege vorbereiten, war übereinstimmend die Einschätzung der australischen Kinderärztin Helen Caldicott, des US-amerikanischen Arztes und IPPNW-Gründers Professor Bernard Lown, des malaysischen IPPNW-Präsidenten Ron McCoy, des kanadischen Ökonomie-Professors und Globalisierungs-Gegners Michel Chossudovsky und des 'Eurosolar'-Präsidenten und SPD-Bundes- tagsabgeordneten Hermann Scheer. Sie warnten in ihren Reden insbesondere vor dem geplanten Einsatz der genannten Mini-Nukes.

Der kanadische Ökonom und Bestseller-Autor Chossudovsky betonte vor allem die Gefahr, die von einem sich verselbständigenden militärisch-industriellen Komplex in den USA ausgehe. "Die neue Atompolitik der USA involviert ausdrücklich die großen Rüstungsfirmen in der Planung des Atomkrieges", so Chossudovsky. "Diese bestimmen auch die Agenda des Einsatzes von Atomwaffen mit." Dies sei gleichbedeutend mit der "Privatisierung des Atomkrieges".

Privatwirtschaftliche Interessen bestimmen auch die Agenda der Atomenergiepolitik. Das IPPNW-Vorstandsmitglied Angelika Claußen wies auf die Zufriedenheit der deutschen Atomwirtschaft mit dem deutschen "Atom-Ausstieg" hin. Claußen zitierte aus einem Bericht des Atomkraftwerksbetreibers RWE in dem es heißt: "Mit dem erzielten Konsens zwischen der Bundesregierung und den Energie- versorgungsunternehmen sind Rahmenbedingungen geschaffen worden, die den Betrieb der Kernkraftwerke zukünftig ohne politisch motivierte Störungen ermöglichen". Und auch mit einem kaum bekannten Zitat eines Spitzenmanagers der Atomindustrie, Dr. Otto Majewski, konnte Dr. med. Angelika Claußen aufwarten: "Die Grünen sind dem drolligen Mißverständnis erlegen, der Atomkonsens sei eine Ausstiegsvereinbarung, während in dem Abkommen vielmehr der reibungslose Betrieb der bestehenden Kernkraftwerke geregelt wird."

Angelika Claußen forderte angesichts der "verpaßten Chancen" in Deutschland, die Kräfte der Anti-Atom-Bewegung zu bündeln und darüber nachzudenken, wie gemeinsam eine starke Gegenöffentlichkeit hergestellt werden kann. Anfänge seien bereits durch das Europäische Sozialforum, aber auch durch grenzüberschreitende Zusammen- schlüsse gegen den Neubau des EPR in Finnland oder zur 'Tour de France pour sortir du nucléaire' gemacht worden. Von vordringlicher Wichtigkeit sei, die entscheidenden ökonomischen, politischen und medialen Hintergründe für die militärischer und ziviler Nutzung der Atomenergie aufzudecken.

Die russische Wissenschaftlerin Lydia Popova beschrieb das Interesse deutscher Unternehmen an einer nuklearen Schrottentsorgung in Rußland. "Die russische Regierung hat bereits Genehmigungen zur Beförderung von radioaktiven Materialien für Ostseehäfen erteilt." Das sei ein Beleg für den bevorstehenden "Nuklear-Handel" zwischen der westlichen Atomindustrie und Rußland.

Hermann Scheer wies darauf hin, daß Uran ebenso wie Öl und Erdgas ein auf wenige Jahrzehnte begrenzter Rohstoff sei. Zur Verlängerung des Atomzeitalters ziele die im Untergang begriffene Atomindustrie daher auf besonders gefährliche und unausgereifte Technologien wie Wiederaufarbeitung, Schnelle Brüter und Fusionsreaktoren ab. Die Menschheit müsse sich entscheiden zwischen dieser zentralisierten Option mit wirtschaftlichen Vorteilen für wenige und dezentralen Technologien wie Solarenergie , die nicht nur ökonomisch und ökologisch allen Menschen nutzen, sondern auch das Denken und die Moral revolutionieren würde. Kriege ums Öl wären in einer Solarwirtschaft obsolet, so Scheer.

Für Ron McCoy liegt die "Lösung des Problems der Verbreitung von Atomwaffen nicht in der Fortsetzung diskriminierender Politik oder im einseitigen illegalen Präventiveinsatz, sondern in der Überwindung der Doppelmoral, der Einhaltung von Verträgen und der Respektierung internationalen Rechts". McCoy wie auf die Gefahren hin, die von einen "internationalen Schwarzmarkt" für Nukleartechnologie in "einer Welt, die durch staatlichen und nicht-staatlichen Terrorismus bedroht ist", ausgehen.

Die Kinderärztin und IPPNW-Mitbegründerin Helen Caldicott warnte eindringlich vor den Nuklearwaffen-Arsenalen der USA und Rußlands, die noch heute über 96 Prozent der weltweit rund 30.000 Atomwaffen verfügen. Jeder einzelne Sprengkopf dieser Arsenale habe eine rund zwanzigmal größere Zerstörungskraft als die Hiroshima-Bombe. Gleichzeitig wachse die Gefahr, daß die Frühwarnsysteme Rußlands in die Hände von Terroristen geraten. Zudem reagierten die Alarmsysteme sowohl der USA als auch Rußlands täglich auf Ereignisse wie Brände, Satellitenstarts und auch auf die Reflektion von Sonnenstrahlen an Wolken, so Caldicott. Die Gefahr eines "Armageddon aus Versehen" sei gerade durch die teilweise nachlässige Überwachung der Frühwarnsysteme akut.

Henrik Paulitz von der deutschen Sektion der IPPNW wies auf die wachsenden Gefahren hin, die durch die Privatisierung der zivilen Nutzung der Atomenergie im Zuge der neoliberalen Globalisierung ausgehe. Zunehmend entschieden Betriebswirtschaftler über die Sicherheitsstandards von AKWs. Und in Deutschland sei zu besichtigen wie ein "schwacher Staat" den nötigen Schutz von AKWs gegen Terrorangriffe nach dem Muster des 11. September 2001 ignoriere. Würde das geltende deutsche Atomgesetz Ernst genommen, müßten sämtliche AKWs wegen fehlendem Schutz gegen gezielte Flugzeugabstürze sofort stillgelegt werden.

 

Monika Wittmer

 

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