25.11.2004

"Die Tötung sichergestellt"

Besatzer erschießen Kind im Gaza-Streifen
Erstmals massive Kritik in Israels Medien

Normalerweise gibt es in Israel eine stille Übereinkunft unter den Medien: Soldaten im Einsatz werden nicht kritisiert, ihre Übertretungen mit den schwierigen Bedingungen ihrer Tätigkeit in den Palästinensergebieten gerechtfertigt. Doch nun sorgt der Fall einer Zivilisten-Erschießung im Gaza-Streifen für heftige Diskussionen im Land. Auch ein Bauernopfer ist bereits gefunden.

Anlaß war der Funkverkehr einer Einheit in der Nähe von Rafah. Die Ereignisse hatten sich bereits im Oktober abgespielt, doch nun strahlte das Zweite Fernsehprogramm in Israel die Bänder aus, mit welcher Motivation auch immer. So ist ein in der Öffentlichkeit nicht namentlich bekannter "Hauptmann R." im Wechsel mit Soldaten zu hören, wie sie einen Mord an einem Mädchen begehen.

Soldat: Ich hab eine verdächtige Person gesehen.
Hauptmann R: Wer ist es?
Soldat: Offenbar ein Kind! Es versteckt sich nun vor uns!
Hauptmann R: Ein Mädchen oder ein Junge?
Soldat: Ich glaube, es ist ein Mädchen!
Hauptmann R: Wie alt ist es? Ist es unter 10? Und trägt es ein Kopftuch?
Soldat: Ja, ich glaube, es ist unter 10! Und es trägt ein Kopftuch, es ist offenbar eine Palästinenserin!
Hauptmann R: Gut!
Soldat: Und nun? Sollen wir es erschießen?
Hauptmann R: Nein, ich erledige das!

Anschließend feuerte der Hauptmann zunächst mehrere Schüsse, offenbar in den Kopf des Mädchens, lehrte dann sein gesamtes Magazin in sie aus. Er habe "die Tötung sicher gestellt", so seine weitere Aussage, sowie der Befehl, in der Gegend jeden zu töten, auch "Dreijährige". In ersten Berichten hatte es geheißen, daß Mädchen sei acht Jahre alt gewesen, nun sollen es wohl 13 Jahre sein. Einen Unterschied macht dies nicht.

Zunächst hatte die Armeeführung versucht, den Vorfall in bekannter Weise herunter zu spielen. "Wir haben diese Situation nicht erschaffen. Es sind unsere Kinder, unsere Söhne, die dort draußen sind und um unsere Sicherheit besorgt sind", ließ sich Armeesprecherin Ruth Jaloon vernehmen. Immerhin gab es für den Mörder eine formale Anklage wegen ungerechtfertigtem Einsatz der Schußwaffe. Damit, so hoffte das Militär offenbar, sind etwaige Kritiker zufrieden gestellt.

Doch nun hat die Entwicklung eine unerwartete Wende genommen. Offenbar unter dem Druck der israelischen Medien, die seit Tagen massiv über den Fall berichten, sah sich Generalstabschef Mosche Jaalon genötigt, in die Offensive zu gehen. Der Fall sei nach wie vor ungeklärt, die Presse sollte sich stärker um die Aufklärung bemühen. Zuvor hatte sich der Generalstabschef noch hinter den Hauptmann gestellt. Nun, so berichtet es die israelische Presse, werde eine Änderung der Anklage und eine Auflösung der Einheit in Betracht gezogen.

Der nun angeklagte Soldat dürfte sich in der Angelegenheit wie ein Baueropfer vorkommen und dies mit Recht. Er tat, was bei den Besatzungstruppen übliches Vorgehen ist. Ähnlichen Szenen dürfte er schon öfter beigewohnt haben, vielleicht ist er auch an ihnen beteiligt gewesen. Und Morde an Kindern waren auch parallel zu diesem Fall an der Tagesordnung. Die kalte Formulierung der "sichergestellten Tötung" weist auf einen versierten Mörder hin, der sein Handwerk versteht.

Doch der Mann hat den Fehler begangen, seine Tat zu dokumentieren. Ähnlich wie der Tod eines Jungen und seines ihn mit seinem Körper schützenden Vaters, deren Bilder vor einigen Jahren weltweit gezeigt wurden, hat das Tonband in der Öffentlichkeit Emotionen ausgelöst, zumindest innerlich Vergleiche provoziert mit anderen Soldaten, die auf Kinder zielen. Hinzu kommt, daß Israel international wegen seiner Besatzungspolitik unter Druck steht, sich dieses Vorgehen so nicht ewig leisten kann. Zudem nach dem Tode Jassir Arafats in der Palästinenserpolitik auch in der Militärführung Unsicherheit darüber herrschen dürfte, wie es künftig weiter geht. Ein Grund mehr, sich in solchen Fällen durch schnelles Handeln abzusichern.

Wie die Angelegenheit weiter verfolgt wird, hängt vermutlich vom Interesse der Medien ab. Bislang hielten sich Verurteilungen wegen derartiger Taten im Dienst - soweit sie überhaupt erfolgten - im symbolischen Bereich. Es ist aber nicht auszuschließen, daß der Generalstab dieses Mal international ein Zeichen setzen will. Allerdings muß er in diesem Fall Vorsicht nach innen walten lassen, denn das folgenlose Treiben der Besatzer in den Palästinensergebieten garantierte bislang den Gehorsam der Truppe und ihren Ersatz durch neue Rekruten.

Vermutlich wird das Militär versuchen, die Empörung alleine auf den Mörder zu lenken. Doch dies reicht kaum aus. "Hauptmann R." war letztlich ausübendes Werkzeug dessen, was Folge der Besatzung und des allgemeinen rassistischen Umgangs der israelischen Truppen mit den Palästinensern ist. Vermutlich war er sogar überfordert mit der Situation, verängstigt, als das Mädchen seinen Schulranzen wegwarf. Und sicher gehen die wenigsten israelischen Soldaten, die meisten selbst kaum erwachsen, mit sadistischer Freude in die besetzten Gebiete. Aber das ändert nichts am Geschehen. Genau solche Typen benötigt man, will man eine Gesellschaft militärisch niederhalten. Eine Anklage, auch eine Verurteilung, ohne Diskussion über die Besatzung als solche, ist deshalb verlogen.

 

Martin Müller-Mertens

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Beiträge
      Gewaltfreie Kampagne in Palästina (27.08.04)

      Palästina: Pressefreiheit und der Zweck der EU-Gelder (23.07.04)

      Kinder & Künstler malen Gemälde an die Mauer
      Ein Zeichen der Hoffnung in Palästina (20.07.04)

      Machsomwatch
      - konkrete Friedenspolitik an den israelisch-palästinensischen
      Checkpoints (17.03.04)

 

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