Jelena Markovic
Frauen in Schwarz, Belgrad

Jugoslawien -
Ein Abriss über
die jüngsten Ereignisse

Wir sagten immer: Die Veränderungen müssen über Wahlen kommen. Nach zehn Jahren serbischer Kriege gegen andere Nationen, ethnischem Hass, militaristisch-nationalistischer Propaganda, Isolation, innerer Repression und Polizei- brutalität in Serbien, erscheinen die auf einem friedlichen Weg herbeigeführten Veränderungen wie ein Märchen, das von der Friedensbewegung erzählt wird. Eine lange Zeit vor dem 24. September diesen Jahres waren wir einer Situation ausgesetzt, die wir nur zu gut kennen: der Vorbereitung auf einen weiteren Krieg.

Die Armeepräsenz in Montenegro war ungeheuer stark; die sogenannte Verteidigungskapazität wurde ständig bis auf den höchsten Level erhöht. Die Truppen an der bosnischen Grenzen und überall in Montenegro machten der Bevölkerung in Montenegro das Leben schwer. Verhaftungen von montenegrinischen JournalistInnen durch die jugoslawische Armee gehörten zur alltäglichen Routine, Provokationen gegen die montenegrinische Polizei führte oft zu Feuergefechten. Der Austausch von Informationen zwischen Serbien und Montenegro wurde auf ein Minimum reduziert, offizielle Kontakte wurden nahezu eingefroren und die Grenze wurde von beiden Seiten scharf kontrolliert.

Während dieser Zeit schien es in Serbien ruhig zu sein, ohne Bewusstsein über die Vorbereitung eines Krieges. Dabei wurde die innerpolizeiliche Repression gegen politische AktivistInnen in Serbien brutaler. Der ehemalige Präsident von Serbien, Ivan Stambolic, wurde gekidnappt. Die kleine Zahl freier Medien kämpfte darum, über die Ereignisse zu berichten, aber es gab in Serbien keine sichtbaren Reaktionen. Die Wahlkampagne von SPS, JUL und den Radikalen wurde aggressiver als jemals zuvor und ließ kaum Platz für die Opposition.

Schließlich geschah doch etwas in den Köpfen der Leute. Die Tatsache, dass die Bürger hinausgingen und in einer solch großen Zahl wählten, spricht für sich. Es beweist, dass sie ihre individuelle Verantwortung am Schicksal des Landes in die Hand zu nehmen wagten. Und das ist ein kleiner, aber wichtiger grundlegender Schritt, den die Friedensbewegung und die nichtstaatlichen Organisationen seit so langer Zeit zu erreichen versuchten. Die Proteste, die folgten, waren eher dazu da, um "den Willen der Bürger durchzusetzen", es war keine sogenannte Revolution. Die Ergebnisse der Wahlen sicherten die friedlichen Veränderungen.

Dennoch, Frieden ist nicht gerade eine "Disziplin", in der Serbien besonders gut war. Unter den neuen politischen und sozialen Bedingungen wird Frieden ein Problem bleiben. Zum Beispiel ist sowohl die offizielle wie die öffentliche Haltung die, dass das Haager Tribunal nicht für die Behandlung der serbischen Kriegsverbrechen kompetent ist und dass das größte Verbrechen von Milosevic und seinem Regime das gegen die serbische Bevölkerung sei. Das ist nur eine Seite des "nationalen Stolzes" und der Arroganz und es gibt noch viele weitere, die in Bezug auf das Verhältnis zwischen Serbien und Montenegro aufzuzeigen wären. Wir haben es mit einer Gesellschaft zu tun, die aufgrund von Auswirkungen ihrer eigenen Militärpolitik, Korruption und Nationalismus unter tiefen Verwundungen leidet. Solche Probleme können nicht über Nacht gelöst werden. Insbesondere, weil der Kampf gegen die verästelte Struktur der Macht von Milosevics Partei politisch das Hauptproblem des Landes bleiben wird. Mit anderen Worten, die Wahlen in der Republik, wie auch die Veränderungen von Bundes- und lokalen Institutionen und Mandaten, schieben alle anderen Fragen beiseite. Die Frage nach dem "wer" scheint wichtiger zu sein als die Frage nach dem "was sich verändert und wie". Aber: wir können zum ersten Mal freier arbeiten.

Arbeit von Frauen in Schwarz
Frauen in Schwarz begann am 9. Oktober 1991 mit unserem ersten öffentlichen Antikriegsprotest. Zu Beginn drückten wir unsere Verbitterung gegen den Krieg aus, als eine Reaktion darauf, dass ihn das serbische Regime provoziert hatte. Bald war uns die reine Reaktion nicht genug und wir suchten nach anderen Wegen, insbesondere aber auch nach einer Form von pazifistischer Aktion. Der schweigende Protest in Schwarz bleibt das Symbol, für das Frauen in Schwarz in Belgrad bekannt ist.

Unsere Gruppe glaubt, dass Frieden ein Weg des Denkens und der Aktion ist, der durch kleine Schritte erreicht werden muss. Unsere Aktivitäten schlossen die Bildung eines Netzwerks der Frauensolidarität gegen Krieg ein (1993), jährliche internationale Treffen dieses Netzwerkes, die Veröffentlichung von jährlichen Büchern Frauen für den Frieden einige weitere Veröffentlichungen, so z.B. zu Deserteure der Kriege in Ex-Jugoslawien (1994), drei Monographien Frauen gegen Krieg (1994-1995), Zeugnisse von Flüchtlingsfrauen 'Ich erinnere mich' (1994 und 1997) und Friedenskalender.

Von 1993 bis 1997 arbeiteten wir mit Flüchtlingen in den Flüchtlingslagern, halfen ihnen nicht nur mit der Verteilung humanitärer Hilfe, sondern auch durch den Aufbau gegenseitiger Beziehungen mit ihnen.

Wir unterstützen und arbeiten mit vielen Kriegsdienst- verweigerern und Deserteuren. Wir fordern ein neues Amnestiegesetz für Deserteure. Wir treten für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung als ein fundamentales Menschenrecht ein, indem wir sowohl das Netzwerk zur Kriegsdienstverweigerung in Serbien und Montenegro weiter entwickeln, wie auch durch die Veröffentlichung und Verbreitung eines Magazins zur Kriegsdienstverweigerung. Wir nutzen auch jede Gelegenheit, um Menschen über das Thema Kriegsdienstverweigerung und die Leiden der Deserteure zu informieren und zu unterrichten.

Wir kooperieren und entwickeln freundschaftliche Beziehungen mit vielen Frauengruppen, wie auch mit anderen Gruppen in Serbien und Montenegro, um ein Netzwerk der interethnischen Solidarität aufzubauen.

Unsere Reisende Friedensschule für Frauen, die wir 1998 begannen, ist eine wichtige Aktivität in einer alternativen Bildung für Frauen und bis jetzt haben wir in vielen Städten im ganzen Land drei Seminar-Zyklen durchgeführt.

Wir organisierten auch das Projekt Chancen für Frieden und Demokratie auf dem Balkan (1999-2000) mit anderen Gruppen aus Serbien, um Friedens- und politisch Aktive aus dem ehemaligen Jugoslawien bei Vorträgen und in Arbeitsgruppen zusammenzubringen, zu vergleichen und Erfahrungen der letzten zehn Jahre auszutauschen.

Wir unterstützen auch politische Gefangene in Serbien durch die Beobachtung der Verfahren und durch Aufrufe an die nationale und internationale Öffentlichkeit und Institutionen.

Ein Amnestiegesetz?
Wir stellen fest, dass ein Amnestiegesetz und das Recht auf Kriegsdienstverweigerung zwei Themen sind, die in unserem Land dringend gelöst werden müssen. Heute können wir hoffen, dass sich die Situation für Deserteure und Verweigerer endlich ändert. Bisher waren sie sowohl den staatlichen Gewaltstrukturen, wie auch der Unterdrückung in den Gemeinden, in denen sie lebten, ausgesetzt. Diese waren geprägt durch Nationalisten und Kriegseuphorie. Frauen in Schwarz unterstützte über die Jahre Deserteure, die wir durch persönliche Kontakte kennen lernten, weil wir nicht die Mittel hatten, einer größeren Anzahl von ihnen zu helfen und weil eine solche Arbeit illegal gewesen wäre.

Seit Beginn des Krieges in Kroatien, 1991, war es offensichtlich, dass die Militärgerichte entschieden, die Verurteilungen gegen Deserteure und auch die Höhe der Strafen zu manipulieren - in Übereinstimmung mit den jeweiligen Zielen der Regierung. Da sie nicht eine so große Zahl von Männern ins Gefängnis stecken konnten, die die Mobilisierung für den Krieg (z. B. in Kroatien) verweigerten, wählten sie diejenigen, die einer ethnischen Minderheit angehörten oder Mitglied einer oppositionellen Partei waren, um sie zu bestrafen - was angeblich als ein Exempel für andere dienen sollte. Das Ziel der Behörden und Militärs war in diesen Fällen, einzuschüchtern. Die Gefängnisstrafen variierten auch abhängig davon, welche paramilitärische Armee das Gericht unterstützte. Sehr oft stellten die Militärbehörden sofort nach Verbüßung der Freiheitsstrafe den Deserteuren erneute Einberufungen zu und verurteilten sie erneut mit einer höheren Haftstrafe, weil sie das Strafvergehen wiederholten. Es gab sogar Fälle von Exekutionen von Deserteuren, als die Verwaltung von den paramilitärischen Gruppen von Arkan, dem Serbischen Freiwilligenregiment, übernommen wurde. Es wurden auch weitere rechtliche Maßnahmen zur Einschüchterung ergriffen, wie der Vorschlag im Parlament, den Deserteuren die Rückkehr zu verbieten, wie ein Artikel dazu dass sie nicht würdig seien, eine Erbschaft zu erhalten und anderes. Außerhalb des Zugriffs der Regierungsinstitutionen wurden Deserteure oft diskriminiert und auf noch ernsthaftere Weise bestraft. Viele Leute verdienten mit dem Unglück der Deserteure Geld, indem sie Geld für den Transfer in sichere Gebiete oder für das Verstecken nahmen.

Das Amnestiegesetz, das 1996 verabschiedet wurde und nicht umfassend war, wurde der Bundesrepublik Jugoslawien von der internationalen Gemeinschaft als Teil des Daytoner Abkommens auferlegt. Dies Amnestiegesetz bezog sich auf diejenigen, die niemals den Einberufungsbefehlen nachkamen oder sich diesen durch die Flucht ins Ausland entzogen - bis zur Unterzeichnung des Abkommens. Die Amnestie berücksichtigte niemals politische und Kriegsverbrechen und insbesondere nicht die Gründe für die Kriegsdienstverweigerung. Das heißt, dass die amnestierten Deserteure irgendeine folgende Einberufung zu akzeptieren hatten. Die internationale Gemeinschaft stellte fest, dass das Amnestiegesetz in Jugoslawien entsprechend dem Abkommen umgesetzt wurde, kein europäisches Land sah irgendeine Hilfe für Deserteure oder Verweigerer des Krieges aus Jugoslawien vor, sondern sie wurden stattdessen abgeschoben. Allgemein gesagt, die internationale Gemeinschaft widmete dieser Frage niemals Aufmerksamkeit.

Alle Männer, die für den Kosovo/a-Krieg während der Bombardierungen der NATO im letzten Jahr einberufen wurden und irgendwie verspätet bei den Einheiten der jugoslawischen Armee eintrafen, können mit Strafen zwischen einem und zehn Jahren Haft verurteilt werden. Alle, die das Land verließen oder im Ausland blieben, um dem Militärdienst oder den Mobilisierungen während des Luftkrieges zu entgehen, können mit Strafen von fünf bis 20 Jahren Haft bestraft werden. Es sei denn, ein neues Amnestiegesetz wird verabschiedet. Bisher gibt es dafür keinen Vorschlag im Parlament, es gibt aber Gründe, anzunehmen, dass dies bald geschehen wird, seitdem das Jugoslawische RechtsanwältInnenkomitee für Menschenrechte eines vorbereitet hat. Die Frage könnte sein, ob das Parlament diesem Priorität zubilligt.

Die Situation bezüglich der Kriegsdienstverweigerung in Jugoslawien unterscheidet sich dazu. Hier gibt es eine große Lücke zwischen den Buchstaben des Gesetzes und der Umsetzung im realen Leben. Obwohl die Verfassung das Recht auf Kriegsdienstverweigerung garantiert, ist es durch das Militärgesetz eingeschränkt, das eine Länge des Zivildienstes von zwei Jahren statt einem Jahr vorsieht und das Recht wird in der Praxis abgeleugnet. Und obwohl es in den zehn Jahren Krieg viele Fälle von jungen Männern gegeben hat, die sich dem Militärdienst mit unterschiedlichen Gründen entzogen, taten sie es selten aufgrund einer Kriegsdienstverweigerung. Die Kriegsdienstverweigerung wurde in Serbien niemals eine Bewegung.

Hoffentlich wird sich auch das ändern. Im Moment gibt es einen großen Bedarf für eine größere Beteiligung von jungen Menschen in der Friedensbewegung. Dafür können wir alle Hilfe von den Ländern gebrauchen, in denen es starke und effiziente Strategien innerhalb der Bewegungen zur Kriegsdienstverweigerung gibt.

Jelena Markovic, Frauen in Schwarz: An outline. Übersetzung aus dem Englischen: Rudi Friedrich
aus: Connection e.V., Bildungswerk der DFG-VK Hessen: Milosevic abgewählt - und nun?. Die Broschüre entstand aus Anlass der Rundreise "Milosevic abgewählt - und nun?", November 2000. Mit Dank für den Zuschuss der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Landesverband Niedersachsen/Bremen

 

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