16.03.2005

Kommentar

Horst Köhler
Schreibtischtäter und Einpeitscher

Was sich Roman "Ruck" Herzog nur in Metaphern erlaubte, treibt der ehemalige IWF-Präsident und jetzige deutsche Bundespräsident Horst Köhler auf die Spitze: Völlig schamlos setzt er sich über das noch von den Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und Johannes Rau respektierte Gebot der politischen Neutralität hinweg. Ebenso gewissenlos wie er als IWF-Präsident überschuldete Staaten mit Kredit-Auflagen knebelte und über "Strukturanpassungsprogramme" Millionen Armut und Tod verordnete, predigt er nun hierzulande sein neoliberales Credo.

Mehr noch: Obwohl die "rot-grüne" Bundesregierung bereits bis zum Äußersten geht und mit jeder weiteren "Reform" beim Sozialabbau die Leidensfähigkeit der unteren Zweidrittel in Deutschland aufs Neue bis an die Grenzen ausgetestet, übernimmt Schreibtischtäter Horst Köhler nunmehr die Rolle als Einpeitscher der Nation. Und einen besonderen Höhepunkt fand sein Geifern bei seinem gestrigen Auftritt auf dem Forum der Arbeitgeberverbände im Berliner 'Haus der Wirtschaft'.

Auch wer sich - wie beispielsweise Oskar Lafontaine - in den letzten Jahren der Illusion hingab, Deutschlands meistverkauftes Toilettenpapier (das mit den vier Buchstaben) sei inzwischen zu einer ganz normalen Zeitung geworden, also einer Zeitung, die die Manipulation der LeserInnen nurmehr mit der Auswahl und Gewichtung der Nachrichten betreibt, muß heute realisieren: dieses Blatt ist nach wie vor kampagnenfähig ("Superhorst soll Deutschland retten"). Selbst die 'Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung' stimmte ein und verkündete per Schlagzeile eine angebliche "Sehnsucht nach dem Supermann". Mit nicht zu unterschätzender Wirkung wird Bundespräsident Köhler zum Volkshelden umfrisiert und seine (ungebetenen) Ratschläge werden als Weisheiten verkauft.

Diese Weisheiten, die allesamt schon seit über zwanzig Jahren gepredigt werden und politisch zuerst von Margaret Thatcher in Großbritannien und Ronald Reagan in den USA in die Realität umgesetzt wurden, werden von Horst Köhler heute unverändert als geniale Neuigkeiten verkauft. Und der besondere Witz: einmal mehr wird damit das unhaltbare Versprechen verknüpft, mit dieser Wirtschaftspolitik würden Arbeitsplätze geschaffen.

So sollen die Unternehmenssteuern weiter gesenkt werden, obwohl "Rot-Grün" seit 2000 jährlich 20 Milliarden Euro1 verschenkte und der deutsche Staat nunmehr praktisch bankrott ist. Eine weitere dieser Weisheiten lautet: Vereinfachung des Steuersystems. Auch dies zielt einzig und allein darauf, im gnadenlosen Wettbewerb der Globalisierung Deutschland den großen Multis ein wenig schmackhafter zu machen. Wer sich anschaut, wohin es diese Politik weltweit in den letzten zwanzig Jahren gebracht hat, erkennt die Perfidie, wenn Köhler dessen ungeachtet weiterhin verkündet: Priorität habe "die Schaffung und Sicherung wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze".

Auch die bunte Einheitsfront der neuen deutschen Blockflöten stimmte umgehend in die Weise Köhlers ein. So begeisterte sich der "grüne" Partei-Chef Reinhard Bütikofer und posaunte das inzwischen doch reichlich abgedroschene und inflationär benutzte Attribut "historisch" für Köhlers Rede in die Runde. Und auch der "gelbe" Postillion Guido Westerwelle mochte nicht nachstehen und stimmte in die Lobhudelei ein. Die "schwarze" Kanzlerkandidatin in spe Angela Merkel schielte sofort auf die Partitur und will sofort "genau das umsetzen, was der Bundespräsident" vorgeträllert hat. Da blieb dem "weiß-blauen Löwen" aus Bavaria nur noch zu ergänzen, er stimme der "Analyse zu 100 Prozent zu".

Immerhin wagten einige wenige "Rote" und einige Gewerkschafter- Innen an der Köhlerschen Weise ein bißchen herumzunörgeln. Frech der nannte "rote" Fraktions-Vize im Bundestag, Michael Müller die Rede "inhaltsleer", womit er unbeabsichtigt zu erkennen gab, was er nicht wahrhaben will: Daß nämlich die von Köhler gefordete Wirtschaftspolitik Punkt für Punkt von "Rot-Grün" längst umgesetzt wird - nur viel zu zögerlich wie Köhler meint.

Ob das Köhlersche Einpeitschen tatsächlich Sinn macht und die "rot-grüne" Politik des Sozialabbaus und der Geschenke an die Konzerne noch zu steigern wäre, ohne daß die Schraube überdreht würde, muß allerdings als fraglich angesehen werden. Schröder, Fischer, Clement, Trittin und Konsorten sind Realpolitiker genug, um exakt zu wissen, wie weit sie gehen können, ohne daß es zu Aufständen und zum Generalstreik kommt. Gegen die "schwarz-gelbe" Schein-Opposition im bundesdeutschen Einparteien-Staat, käme es möglicherweise viel schneller und heftiger zu Widerstand und insbesondere die Gewerkschaften könnten nicht mehr so leicht an die Kandare genommen werden.

So betrachtet ist nicht etwa die "rot-grüne" Bundesregierung Adressat des Einpeitschers Köhler, sondern die unteren Zweidrittel dieser Gesellschaft. Ähnlich den römischen Galeerensträflingen sollen sie beim Rudern zum vorgegebenen Takt auch noch mitsingen. Und am besten motiviert doch die alte Weise, daß es immer noch einen Takt schneller gehen könnte.
Oder?

 

Klaus Schramm

 

Anmerkung

1 Siehe die Zahlen im zweiten Teil unserens Artikels

      'Einbruch bei der Tabaksteuer'
      80 Milliarden Euro wurden verschenkt (6.09.04)

 

neuronales Netzwerk