10.07.2006

Deutsche Intervention
in Coltanistan

Im Kongo geht es nicht um Demokratie sondern um Bodenschätze

Heute beginnt die als Friedensmission getarnte Verlegung erster Kontingente der Bundeswehr in der 'Demokratischen Republik Kongo' (DR Kongo). Der zerfallene Staat im Herzen Afrikas, der unter der 32 Jahre währenden Diktatur Mobutus Zaire genannt wurde, verfügt über Bodenschätze wie Diamanten, Uran, Gold, Erdöl, Kupfer, Kobalt und das für die Elektronik-Industrie, speziell die Handy-Produktion wichtige Coltan1 - gigantische Reichtümer, die selbst die Ölquellen der Saudis in den Schatten stellen. So war die DR Kongo Schauplatz des "Ersten Afrikanischen Weltkriegs", bei dem die Zahl der Getöteten allein in den sechs Jahren von 1997 bis 2003 bei 3,3 Millionen lag.

Laut dem deutschen Rüstungsminister Franz Josef Jung soll die Bundeswehr im Rahmen einer EU-Mission die für den 30. Juli angesetzte Präsidentschaftswahl sichern. Doch diese Wahl ist offensichtlich eine Farce. Der jetzige Herrscher über die Hauptstadt Kinshasa, Joseph Kabila, verfügt als einziger der 34 KandidatInnen über die Finanzmittel, einen sichtbaren Wahlkampf zu führen. Doch damit nicht genug: Joseph Kabila, Sohn des Dikators Laurent Kabila, der nach nur 3-jähriger Herrschaft 2001 einem Mordanschlag zum Opfer gefallen war, ließ im völlig heruntergekommenen Kinshasa massenweise Wahl-Plakate mit einer Fläche von jeweils mehr als zehn Quadratmetern aufhängen. Zu allem Überfluß sind sie nachts beleuchtet. Dennoch scheint er sich seines Wahlsieges nicht sicher zu sein. Obwohl die größte Oppositionspartei UDPS die Wahl boykottiert, schikaniert er die relativ unbedeutenden GegenkandidatInnen, wo er nur kann. So ließ er etwa die Sicherheitskräfte eines Konkurrenten des Putschversuchs beschuldigen und außer Landes verweisen.

Die größte Oppositionspartei in der DR Kongo, die bereits gegen Mobutu ankämpfte, wird vom 73-jährigen Etienne Tshisekedi geleitet. Es handelt sich um die 'Union für Demokratie und sozialen Fortschritt', auf französisch: 'Union Democratique pour le Progrès Sociale' (UDPS). Deren Generalsekretär, Remy Masamba, erklärt: "Wir wollen lieber keine Wahlen, als eine solche Farce. Alle unsere Vorschläge bei den Vorverhandlungen wurden von Kabila mißachtet." Nun sollen in einem Land, in dem die meisten Straßenverbindungen zerstört oder wegen Rebellengruppen unpassierbar sind, 53.000 Wahllokale eingerichtet werden. Doch vorab wurde bereits bekannt, daß statt der nötigen 25 Millionen Stimmzettel über 30 Millionen gedruckt wurden. Der Präsident der "unabhängigen" Wahlkommission Apollinaire Malu Malu, erklärt dies damit, daß in jedem Wahllokal ein Vorrat an zusätzlichen Stimmzetteln benötigt würde.

Der deutsche Albrecht Conze, politischer Direktor der UN-Mission MONUC in der DR Kongo, scheint ob solcher Ungereimtheiten überfordert zu sein. Er wiederholt nur bei jedem neuen Interview stereotyp: "Leider hat nicht jeder die einmalige Chance begriffen, die mit dieser von der internationalen Gemeinschaft finanzierten Wahl geboten wird."

Die UDPS wirft Kabila des weiteren vor, bereits im Vorfeld Scheinparteien mit dem Namen UDPS und deren Logo gegründet zu haben, um so WählerInnen zu täuschen und der UDPS Stimmen zu entziehen. Zwischen sieben und zwölf Millionen SympathisantInnen der UDPS seien an der Eintragung ins Wahlregister gehindert worden. Inzwischen haben sich fast 60 Parteien und gesellschaftliche Organisation dem Aufruf zum Wahlboykott angeschlossen. Darunter ist allerdings auch der wenig Vertrauen erweckende Vizepräsident Jean-Pierre Bemba, Chef der Miliz 'Bewegung für die Befreiung des Kongo'.

Mbayi Kabasela, diplomatischer Vertreter der UDPS in Deutschland, führt über die Hintergründe für den Wahlboykott seiner Partei aus: In der Hauptstadt Kinshasa sei es zwar relativ ruhig, doch in weiten Teilen des Landes herrsche Krieg. Verschiedene Milizen und Regierungstruppen bekämpfen sich in wechselnden Koalitionen um die Herrschaft über Gebiete mit den reichen Bodenschätzen zu halten oder zu erobern. Da sie von den Konzernen gegeneinander ausgespielt werden können, erhalten sie nur einen verschwindend geringen Anteil an den Erlösen, den sie sogleich in großem Umfang in Waffenkäufe investieren. Laut Kabasela sind überall Unregelmäßigkeiten und Betrug festzustellen, wenn es denn nicht gewollt sei, wegzuschauen. Der Sieg von Joseph Kabila sei "vorprogrammiert". Die Wahl diene lediglich dazu, ihm einen Schein von Legalität zu verschaffen. Die UDPS lehnt die EU-Mission ab und bezeichnet sie als "völkerrechtswidrige Intervention ausländischer Staaten".

Die anderen 33 KandidatInnen neben Kabila sind ebenso korrupt wie dieser. Der Arzt Gaspard Muzama vom AIDS-Zentrum in Kinshasas Stadtteil Kasa-Vubu, der seit Januar noch kein Geld vom Gesundheitsministerium erhielt, sagt klipp und klar: "Bei uns gibt es keinen Staat mehr, nur Diebe." Miete und Strom können schon lange nicht mehr bezahlt werden, die Angestellten arbeiten ohne Lohn und die Medikamentenschränke sind leer. Der Computer ist unbrauchbar und der Jeep für Notfälle ebenso, weil keine Ersatzteile zu bekommen sind. Vier der Kandidaten für das Präsidentenamt waren Minister unter Joseph Kabila. Sie gehörten zu jenen sechs, die 2004 soviel aus der Staatskasse in die eigenen Taschen umgeleitet hatten, daß es selbst für die hiesigen Verhältnisse zu auffällig war. Sie wurden zwar entlassen, kamen jedoch nie vor Gericht und die verschwundenen Millionen tauchten nicht wieder auf.

In diesem Land lernen bereits Kinder, daß die Gewalt regiert und nur der Starke überlebt. Weiße können sich in der Acht-Millionen-Stadt Kinshasa nachts nicht ohne bewaffnete Begleitung auf die Straße trauen. Das geringste Risiko wäre, ausgeraubt zu werden. Als erstes lernen westliche JournalistInnen in Kinshasa, daß es ratsam ist, alle Türen zu verriegeln, wenn sie im Auto unterwegs sind und keinesfalls anzuhalten, auch dann nicht, wenn Uniformierte winken. Auch Tags werden JournalistInnen, die zu Fuß unterwegs sind, nicht selten von mit Messern bewaffneten, verwurmten und von Malaria oder Tuberkulose zerfressenen Straßenkindern wegen ein paar Dollars bis in ihre Hotels verfolgt.

Kinshasa ist kaum mehr als Stadt zu bezeichnen, denn alles ist verfallen. Alles, was irgendwie von Wert ist, wird abgeschraubt und gestohlen. Es gibt keinen Nahverkehr mehr, weil alle Busse fahruntauglich sind, die Banken sind alle pleite. Monteure der Elektrizitätswerke von Kinshasa bauten im April in einem Armenviertel einen Transformator ab. An ihm hing die letzte noch nicht geklaute Straßenlaterne. Auf die Fragen der AnwohnerInnen antworteten sie, er müsse repariert werden. Doch sie zerlegten ihn und verkauften die Einzelteile. Sie hatten seit Monaten keinen Lohn bekommen.

In der DR Kongo kämpfen 99 Prozent der 60 Millionen Menschen täglich mit allen Mitteln ums Überleben. Der belgische Kongo-Kenner Erik Kennes schreibt: "Die Bevölkerung arbeitet bis zur Entkräftung, um die Armeen zu ernähren, die sie ausbeuten." Und der Vertreter einer NGO in der Kivu-Provinz im Osten der DR Kongo faßt es so zusammen: "Sagen Sie dies den Menschen in Europa: Es sind vielleicht zehn Leute, wenn es hochkommt, die mit dem Coltan Profite machen. Und diese zehn Leute sollte man zum Teufel jagen." Ein UN-Bericht zur Ausbeutung der Rohstoffen in der DR Kongo stellte fest, daß das Ziel des Krieges die Kontrolle und die Ausbeutung von fünf namentlich genannten Rohstoffen ist: Diamanten, Gold, Kupfer, Kobalt und Coltan.2 "Der Kongo wird systematisch ausgeplündert", stellt die UN in diesem Bericht fest, der die USA und Deutschland als wichtigste Abnehmer von kongolesischem Coltan ausmacht.

Die Oberschicht ist damit beschäftigt, die gestohlenen Millionen außer Landes zu schaffen. Doch dies ist nur ein winziger Bruchteil der Milliarden, die von belgischen Banken, australischen Bergwerks- Konzernen, deutschen Coltan-Händlern, Diamanten-Gesellschaften wie de Beers, Kupfer-Firmen, Tropenholz-Exporteuren oder Goldschiebern mit mindestens ebenso wenig Skrupeln abgeschöpft werden. Sie schmieren die Elite des Landes mit Millionen, um Milliarden erbeuten zu können. Es wurde geschätzt, daß die Plünderung der Reichtümer des afrikanischen Landes jährlich rund 12 Milliarden US-Dollar Gewinn für die Nordhalbkugel abwirft. So wurde schon Mobutu reich, sein ermordeter Nachfolger Laurent Kabila und heute dessen Sohn Joseph.

 

Adriana Ascoli

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unsere Artikel

      'Interventionismus oder Souveränität?' (1.06.06)

      'Was macht den Kongo plötzlich so interessant?' (22.06.03)

2 UNO-Dokumente zum Kongo

      http://www.un.org/Depts/dpko/monuc/monucDl.htm

 

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