15.07.2004

Die Ethnie der !Kung
kämpft ums Überleben

Botswanas Regierung setzt kulturelle Ausrottung fort

Die Ethnie der !Kung1 lebte seit Jahrtausenden traditionel nomadenhaft im Dobe-Gebiet (zu drei Viertel in Botswana, einem Viertel in Namibia gelegen). Sie versucht ihr Recht, dort zu leben, wiederzuerlangen. Bei den !Kung handelt es sich neben den autralischen Aborigines um eine der ältesten Ethnien unseres Planeten.

Der Oberste Gerichtshof von Botswana beschäftigt sich seit Montag, 12. Juli, mit der Forderung von 243 Angehörigen der !Kung. Die Bedingungen, unter denen das Gerichtsverfahren stattfindet (in einer abgelegenen Region im Westen, ohne Telefon, ohne Nachrichten- verbindungen) und die absolute Geringschätzung der Regierung gegenüber dem Rechtsanspruch und den Grundrechten ihrer Bevölkerung lassen keine optimistischen Erwartungen zu. Dennoch hat das Verfahren einen Teil dazu beigetragen, die extreme Situation, in der sich die Überlebenden der !Kung befinden, öffentlich zu machen.

Bekannt wurden die !Kung zeitweilig durch das Buch "Nisa erzählt", das in der US-amerikanischen Erstausgabe 1981 unter dem Titel "Nisa. The Life and Words of a !Kung Woman" erschienen war. Die Ethnologin Marjorie Shostak hatte den Lebensbericht einer vermutlich 1921 geborenen Angehörigen der !Kung niedergeschrieben. Es handelt sich um ein Werk von kulturhistorisch unschätzbarem Wert.2

Derzeit leben noch ungefähr 100.000 Angehörigen der !Kung (20.000 den botswanischen Behörden zufolge), die hauptsächlich auf Namibia und Botswana verteilt sind. In früheren Zeiten nahmen sie einmal die ganze südafrikanische Region ein, wo sie vom Jagen und Sammeln lebten. Verfolgungen, Massaker und anderes Unheil, das direkt aus der Zerstörung ihrer Lebensformen resultierte, haben jedoch ihre Zahl drastisch reduziert. Seit dem 18. Jahrhundert wurden auf den Territorien des heutigen Südafrika Treibjagden veranstaltet, um sie zu ermorden oder gefangenzunehmen und zu versklaven. Außerdem wurden sie von den Portugiesen in ihre Armee eingegliedert. Es gab keine Kolonialmacht in der Region, die nicht die Rechte dieses Volkes verletzt hätte. Eine dieser Kolonialmächte war Deutschland in seiner ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, heute Namibia. Das heute noch gebräuchliche Schimpfwort "Hottentotten"3 stammt von daher.

In den letzten Jahren waren es jedoch die Behörden Botswanas, die sich am meisten darum bemühten, das jahrhundertelange Werk der Ausrottung der !Kung und ihrer Lebensformen zu Ende zu führen. 1997 vertrieben Regierungsmilizen, Polizei und Militärs mehrere Tausend der !Kung aus der Reservation Zentral-Kalahari, in dem sie eingeschlossen waren. Es war nur der Anfang einer Verfolgung, die sich systematisch über Jahre hinzog. Im März 2002 begann die letzte Phase, als man 2000 der !Kung gewaltsam aus der Reservation fortbrachte. Denen, die sich widersetzten, wurden gesundheitliche Betreuung und Wasser entzogen. Die Regierung Botswanas führt ökonomische Gründe ins Feld, die die Versorgung dieser Gegend erschweren würden. Die Europäische Union hatte sich zwar angeboten, für die Kosten aufzukommen. Diese Hilfe wurde aber von der botswanischen Regierung abgelehnt.

Die Zentralverwaltung argumentiert, daß die !Kung gegen die festgesetzten Begrenzungen der Jagd in diesem Gebiet des Landes verstoßen hätten. Nach dem Verlust ihres angestammten Landes mußten die !Kung absurder weise erleben, wie ihnen nur maximal drei Stück Wild pro Jahr zur Jagd freigegeben wurden - eine Quote, die ganz offensichtlich unzureichend zum Leben ist. Außerdem handelte es sich um Arten, die nicht vom Aussterben bedroht sind. Obendrein richtete die Regierung von Botswana in dieser Gegend noch mehrere Jagd-Camps für westliche Touristen ein.

Es ist klar, daß mit der Jagd im Rahmen des Tourismus, so lukrativ sie auch sein mag, dieses rabiate Bestreben, die !Kung zu vertreiben und mit ihre Lebensformen zu vernichten, nicht erklärt werden kann. Gewiß kommen zur Geringschätzung und zum Rassismus von alters her außerdem handfeste wirtschaftliche Interessen hinzu. Mit dem trügerischen Argument ihrer "Zivilisation" sind die Behörden bestrebt, das Gebiet der Reservation Zentral-Kalahari zu räumen, um die ungeheuren Diamantvorkommen in diesem Gebiet ausbeuten zu können. Ein Diamantenfieber, das das ganze Land erfaßt und das Gesicht einer der ärmsten Nationen der Erde radikal verändert hat. Die Ausbeutung dieser Ressourcen ist für die Regierung des Diktators Festus Mogae und das südafrikanische Unternehmen De Beers, den Monopolherren über alle Lagerstätten, zu einem exzellenten Geschäft geworden. Demgegenüber bedeuten die Rechte und Forderungen einiger Tausend "San"3 kaum etwas.

Leider sind sie in diesem Bestreben nicht allein. Im Februar 2003 hat die International Finance Corporation (eine Organisation, die von der Weltbank abhängig ist) der Kalahari Diamonds Limited zur Ausbeutung der Ressourcen des Wildreservats Zentral-Kalahari einen Kredit von 2 Milliarden Dollar bewilligt.

Aber die Plünderung der Ressourcen geht noch darüber hinaus. Mitte der 90er Jahre erlebten die !Kung verblüfft, wie der Weltöffentlichkeit ein revolutionierendes Medikament gegen Fettleibigkeit präsentiert wurde. Das Medikament wird aus dem Hoodia-Kaktus der Kalahariwüste gewonnen, den die !Kung seit Jahrhunderten dazu benutzten, Wasser und Vitamine zu gewinnen. Ohne ihre Zustimmung hatte der Südafrikanische Rat für wissenschaftliche Forschung und Industrie die Nutzungsrechte der Pflanze an die Firma Phytofarm verkauft, die sie an das multinationale Unternehmen Pfizer (mit Hauptsitz in den USA) weiterverkaufte. Jetzt haben die !Kung nach jahrelangen Gerichtsprozessen eine lächerliche Beteiligung an den Gewinnen erreicht: 6 Prozent des Gewinns aus dem Verkauf des Medikaments ab 2008. Zusätzliche Absurdität: Die erhaltenen Gelder sollen dazu verwendet werden, das Land, das ihnen seit Jahrtausenden gehörte, zu kaufen.

Zur Demonstrierung seiner Sensibilität in dieser Sache: Präsident Mogae bezeichnete die Forderungen der !Kung als "absurd". Der Verlust ihres natürlichen Lebensraums, die Verfolgungen und die Zerstörung ihrer traditionellen Lebensweise, haben die !Kung ins Elend und in die erzwungene Seßhaftmachung getrieben. So vegetieren sie dahin, zusammengepfercht in Reservationen, ausgebeutet auf Farmen oder verloren in den Vororten der Hauptstadt, fern von ihrem Brauchtum - eine leichte Beute für AIDS und Alkoholismus.

Jetzt fordern sie ihre Würde ein, ihr Existenzrecht. Die Menschen der Industrienationen sind aufgerufen, ihre Regierungen hier zu einem Eingreifen zu zwingen. Statt aus Gier auf Rohstoffe militärisch in gewaltsame Konflikte einzugreifen wie aktuell im Sudan beabsichtigt, böte sich hier die Chance, allein mit finanzieller Hilfe einen Genozid zu stoppen.

 

Klaus Schramm

Quelle: Artikel von Juan Carlos Galindo

 

Anmerkungen:

1 Das !-Zeichen steht für einen Klicklaut. Die Sprache der !Kung ist reich an solchen Laute.

2 Im Nachwort des Buchs schreibt Marjorie Shostak:
Die !Kung überleben in einer Landschaft, die nur denen zugänglich ist, die sie sehr genau kennen. (...) Wenn ein !Kung sagt: "Das kleine Akaziendickicht in der Nähe des Hügels neben dem Nyae Nyae Boabab", ist das für die Zuhörer eine ebenso genaue und deutliche Orientierungsangabe, wie wenn wir sagen würden "das Haus am Goetheplatz Ecke Schillerstraße". Es ist sehr schwierig, Äußerungen der !Kung über ihre Umgebung wiederzugeben, denn ihre Sprache besitzt einen Reichtum an Details für Landschaft und Vegetation, den unsere Sprache nicht kennt. (...) Ihre Traditionen haben sich über Jahrtausende entwickelt und sind von Generation zu Generation weitergereicht worden. (...) Sie kennen beinahe fünfhundert Pflanzen- und Tierarten und wissen, welche eßbar sind, welche medizinische, toxische, kosmetische oder andere Eigenschaft sie besitzen. (...) Die Qualität ihrer Ernährung ist ausgezeichnet. Richard Lee untersuchte 1968 die Ernährungsweise der !Kung und stellte fest, daß das durchschnittliche Quantum an Energie und Proteinen, das sie täglich zu sich nahmen, die Empfehlungen der Vereinten Nationen für Menschen ihrer Größe und Statur überstieg. Ihre Nahrung ist äußerst niedrig im Salzgehalt, saturierten Fetten und Kohlehydraten - besonders Zucker - und hoch an ungesättigten Ölen, Ballaststoffen, Vitaminen und Mineralien. Sie entspricht durchaus den zeitgenössischen (wissenschaftlichen) Vorstellungen von guter Ernährung. Die Ernährung und die gelassene Lebensweise scheinen die !Kung vor manchen Krankheiten zu schützen, die bei uns so weit verbreitet sind. Sie leiden weder an hohem Blutdruck, blutdruckbedingten Herzkrankheiten oder Arteriosklerose, Gehörverlust oder Senilität, Krampfadern, auch nicht an stressbedingten Krankheiten wie Magengeschwüren oder Colitis. (...)
Sie ziehen den größtmöglichen Nutzen aus ihrer Umgebung und haben deshalb genug Zeit, um sich auf Familie, gesellschaftliches Leben und die geistige Entwicklung zu konzentrieren. Ihr Leben ist reich an menschlicher Wärme und ästhetischer Erfahrung. (...)

3 Abwertende Bezeichnungen für die !Kung sind: Hottentotten, Buschmänner, San (geringschätziger Ausdruck von Seiten anderer lokaler Ethnien wie Herero und Tswana).

 

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