Mehr als eine Million Menschen wurden zur Love-Parade in Duisburg erwartet. Weniger als die Hälfte hätte auf dem groben Schotter des eingezäunten Geländes Platz finden können. Der Weg zu dem Güterbahnhofsgelände führte durch einen Tunnel, der zugleich einziger Fluchtweg war. Die von der Aussicht auf hohen Profit getriebene chaotische Planung kostete 19 junge Menschen das Leben und über 340 wurden zum Teil schwer verletzt.
Warnungen vor der Katastrophe verhallten ungehört. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft. Auf Twitter war vor Tagen eine Grafik publik gemacht worden, die auf einem Blick erkennen läßt, wie kritisch die Situation mangels Fluchtwegen in Duisburg im Vergleich zur Love-Parade im Jahr 2000 in Berlin werden würde.
Bereits am 20. Juli schrieb Ingmar Kreienbrink in 'Der Westen' unter der Überschrift "Loveparade wird zum Tanz auf dem Drahtseil": "230.000 Quadratmeter mißt das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofes neben dem Hauptbahnhof in Duisburg. Die Besucher-Kapazität ist auf 400.000 bis 500.000 Menschen begrenzt. (...) Eine Million Raver werden zur Loveparade erwartet. Doch das Party-Gelände kann maximal die Hälfte zeitgleich aufnehmen."
Inzwischen wird von offizieller Seite so getan, als habe niemand mit einer Zahl von über einer Million BesucherInnen der Love-Parade in Duisburg rechnen können. Von manchen Internet-Seiten verschwanden folgende zwei Zitate im Verlauf des Sonntags:
Rainer Schaller, Love-Parade-Geschäftsführer: "Die Loveparade hat im Ruhrgebiet einen zusätzlichen Wachstumsschub bekommen und wir erwarten nach der Pause 2009 wieder eine Zuschauerzahl im Millionenbereich.
Adolf Sauerland, Oberbürgermeister der Stadt Duisburg: "Vor drei Jahren hat Duisburg mit dem Ruhrgebiet ja gesagt zur Loveparade. Aus gutem Grund. Eine Veranstaltung, die bis zu einer Million Menschen mobilisiert, die dann zusammen mit den weltweit angesagtesten DJs friedlich Party feiern, kann nicht verkehrt sein."
Gegen 20 Uhr waren sie heute, Sonntag, noch auf folgender Internet-Seite zu finden:
http://www.essen-fuer-das-ruhrgebiet.ruhr2010.de/
no_cache/presse-medien/pressemitteilungen/detailseite/
article/the-art-of-love-loveparade-mit-elektrisierenden
-beats-in-duisburg.html?tx_ttnews[backPid]=631
In Kommentaren schrieben ebenfalls bereits am 20. Juli LeserInnen auf der Internet-Seite von 'Der Westen':
Das schlimme an dieser Geschichte ist doch, daß man anschließend diese organisatorischen Vollidioten noch nichtmals zur Verantwortung wird ziehen können.
Was die da machen, ist höchstgradig kriminell. Was ist denn, wenn zu dem Chaos noch Panik kommt, was ist dann? Panik heißt Flucht, und Flucht heißt Ausdehnung. Wohin soll sich diese Masse an Menschen ausdehnen, wenn was schief geht, und Panik ausbricht?
Gruß
#7 von voltago , am 20.07.2010 um 19:36
230.000 qm für sagen wir mal 460.000 Menschen, das ergibt genau einen halben Quadratmeter pro Person. Und davon geht noch der Platz ab, den Bühnen brauchen und vor allem den die Floats brauchen. 460.000 Menschen sind wie Sardinen in der Dose, da kann sich keiner mehr bewegen. Wenn dann aus irgendeinem Grund da eine Panik ausbricht, dann gibt es Tote - und nicht wenige. Solch eine Menge auf so engem, eingezäunten Raum, das kann nicht gutgehen. Meine Kinder gehen nicht hin, sie verstehen das und teilen die Bedenken.
#10 von MadCat , am 20.07.2010 um 20:33
Der Mitinitiator der ersten Love-Parade 1989 in Berlin, Matthias Roeingh, bekannt geworden als "Dr. Motte", findet im Interview mit der 'Berliner Morgenpost' klare Worte. Auf die Frage "Wie sorgt man für die Sicherheit von so vielen Menschen?" antwortet er:
"Ganz wichtig: keine Absperrungen. Bei Veranstaltungen mit Hunderttausenden Menschen darf man die Menschen nicht einpferchen. Die müssen fliehen können, falls Gefahr droht. Die Menschen sind doch kein dummes Vieh. Das ist unmenschlich, ekelhaft. Die Menschen mussten sich da gestern durch diesen engen Tunnel zwängen. Und warum?"
'Berliner Morgenpost': "Sagen Sie es mir."
"Wegen dem Profit. Nur deshalb. Um jedem Besucher noch einen zusätzlichen Euro für Getränke aus der Tasche zu ziehen. Diese Gerede - Absperrungen würden für mehr Sicherheit sorgen - ist doch Quatsch. Wegen diesen Absperrungen mussten sich dort Menschenmassen durch einen engen Tunnel zwängen. Ist doch klar, dass der verstopft. Hier sind Menschen gestorben. Das ist das Ergebnis von deren sogenanntem Sicherheitskonzept."
Die Verantwortlichen drucksten sich auf einer Pressekonferenz heute um klare Antworten herum. Duisburgs Oberbürger Adolf Sauerland liest einige Floskeln vom Blatt ab. Auf die entscheidende Frage: "Warum haben Sie Eingang und Ausgang nicht getrennt?", gibt es keine Antwort. Heute war durchgesickert, daß die Feuerwehr Dortmund die Duisburger im Vorfeld beraten hatte und davor warnte, Eingang und Ausgang zusammenzulegen. Immerhin gibt der neue nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger eine klare Auskunft, wieviel Ordnungskräfte vor Ort waren: "Wir hatten 4000 Polizisten da".
Der 'spiegel' berichtet in seiner heutigen online-Ausgabe unter Berufung auf eine Quelle bei der Duisburger Polizeiführung, bei der Bundespolizei seien - in zumindest einer Dienststelle - inzwischen sämtliche Unterlagen zu Love-Parade, Einsatzbefehle, Lagemeldungen, Karten, von den Computern der Beamten sowie aus deren eMail-Accounts gelöscht. "Da kam sehr schnell der ganz große Staubsauger", zitiert 'spiegel-online' seine ungenannte Quelle. Ein Sprecher der Bundespolizei widersprach der Darstellung umgehend: "Es gab keine Anordnung, die Daten von den Computern zu entfernen. Alle Einsatzunterlagen sind vorhanden und können entsprechend angefordert und eingesehen werden."
Laut einem internen Verwaltungsdokument, aus dem 'spiegel-online' zitiert, war das Duisburger Güterbahnhofsgelände nicht einmal für 400.000 bis 500.000 Menschen, sondern lediglich für 250.000 Menschen freigegeben. Das Schriftstück vom 21. Juli 2010 mit dem Aktenzeichen 62-34-WL-2010-0026 umfaßt laut 'spiegel' zwei Seiten und trägt den Titel "Genehmigung einer vorübergehenden Nutzungsänderung." Es ist an die Berliner Lopavent GmbH, die Veranstalterin der Love-Parade, also de facto an Rainer Schaller gerichtet. In diesem Schriftstück befreit der Sachbearbeiter der Unteren Bauaufsicht im Duisburger Amt für Baurecht und Bauberatung die Organisatoren von der Vorschrift, die vorgeschriebenen Breiten der Fluchtwege einhalten zu müssen. Gleichzeitig verzichten die Beamten großzügig auf "Feuerwehrpläne". Dafür geben sie den Ausrichtern der Mega-Party klipp und klar vor: "Die maximale Personenzahl, die sich gleichzeitig auf dem Veranstaltungsgelände aufhalten darf wird (...) auf 250.000 Personen begrenzt."
Von Seiten der Lopavent GmbH hatte es wenige Stunden vor dem Unglück noch stolz geheißen, etwa 1,4 Millionen Menschen würden erwartet. "Das kann ich nicht bestätigen", sagte der kommissarische Duisburger Polizeichef Detlef von Schmeling heute Nachmittag auf der Pressekonferenz und vermied jede Festlegung. Die BesucherInnen der Love-Parade seien überwiegend mit der Bahn angereist. Dabei habe es sich "in dem Zeitfenster zwischen 9 und 14 Uhr um 105.000 Personen" gehandelt. "Das ist die einzige belastbare Zahl, die wir haben", so von Schmeling.
Im Jahr 2009 war die Love-Parade abgesagt worden. 2008 in Dortmund waren etwa 1,6 Millionen Menschen dabei, 2007 in Essen waren es etwa 1,2 Millionen Menschen. Doch während die Polizei bei jeder Großdemo schnell mit Zahlen bei der Hand ist, will sie in Duisburg keinerlei Angaben machen.
Der bei der Vorbereitung der Duisburger Love-Parade beteiligte Panikforscher Michael Schreckenberg verteidigt das Sicherheitskonzept, das er mit erarbeitet hat. Der Tunnel, in dem es zur Massenpanik gekommen war, sei groß genug ausgelegt gewesen, so der Professor für Physik von Transport und Verkehr. Laut Schreckenberg hatten kurz vor dem Unglück einzelne Jugendliche ein Gitter überrannt und eine ungesicherte Treppe gestürmt. Damit hätten die Organisatoren nicht rechnen können.
Ob die Planung zur Vorbereitung der Duisburger Love-Parade tatsächlich als "Sicherheitskonzept" bezeichnet werden kann, scheint jedoch mehr als fraglich. Und so beschwört der Veranstalter und Besitzer einer Kette von Fitness-Studios, Rainer Schaller, alle an der Vorbereitung Beteiligten vehement: "Es gab ein Sicherheitskonzept, das gemeinsam mit der Stadt und der Polizei aufgestellt wurde und an dem es keine Bedenken gegeben hat."
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