In Bürgerinitiativen oder in der Kommunalpolitik engagierte Menschen werden sich vielleicht noch erinnern. Fortschrittliche, Restmüll vermeidende Abfall- und Wertstoffpolitik wurde vor 1998 mit folgenden Zielvorgaben verknüpft:
- Vorrang der Abfallvermeidung vor Verwertung und Beseitigung
- Aufklärungsarbeit und Entwicklung von Anreizen (lineare Abfallgebühren, Chipgestützte Abfallmengenerfassung) zur Müllvermeidung
- Ablehnung der Müllverbrennung, da
a) zu deren Betrieb gleichbleibend hohe Restabfallmengen erforderlich sind und damit das
erstgenannte Ziel hintertrieben würde
b) umweltgefährdende Emissionen niemals völlig auszuschließen sind (Grenzwertpolitik) und
klimaschädigende Treibhausgase produziert werden
- Stoffliche Verwertung vor Deponierung
- Weiterentwicklung der mechanisch-biologischen Abfallbehandlung
Vielversprechend waren auch die Aussagen in der "rot-grünen" Koalitionsvereinbarung: "Durch eine eindeutige Abgrenzung von Verwertung und Beseitigung wird sichergestellt, daß umweltschädliche Billigentsorgung unterbleibt (u.a. unter Tage). Die neue Bundesregierung wird Wettbewerb, Vielfalt und Innovation stärken, um ökologische Ziele in der Abfallwirtschaft durchzusetzen, die mechanisch- biologische Verfahren einschließen."
Tatsächlich wurde auch hier wie auf anderen Politikfeldern das genaue Gegenteil praktiziert. Mechanisch-biologische Abfallbehandlungsmethoden, die mit Hilfe von Steuergeldern in Modellprojekten zur Serienreife entwickelt worden waren, wird mit Hilfe juristischer Tricks die Möglichkeit der Realisierung entzogen. Durch die am 1.03.01 in Kraft getretene Abfallablagerungsverordnung und die 30. BImSchV wurde die Technische Anleitung (TA) Siedlungsabfall novelliert und damit prinzipiell die mechanisch-biologische Abfall- behandlung (MBA) der Müllverbrennung rechtlich gleichgestellt. Faktisch wurden die Anforderungen an diese alternative Restabfallbehandlung so hoch geschraubt, daß sie fast nur noch in Ausnahmefällen wirtschaftlich umzusetzen ist. Dr. Ulrich Kleemann veranschaulicht dies in einem Artikel für die Zeitschrift 'Alternative Kommunalpolitik'1 wie folgt:
"Nehmen wir an, die alte Bundesregierung hätte durch eine TA Auto die Nutzung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren für Fahrten zum Arbeitsplatz zwingend vorgeschrieben, während sich Bündnis90/DIE GRÜNEN für die ökologisch sinnvolleren Fahrräder eingesetzt hätten. Die Rot-Grüne Bundesregierung hätte eine "Verordnung zum Fahren mit dem Fahrrad (AbfahrVO)" als Reformprojekt umgesetzt. Zur ökologischen Vergleichbarkeit mit motorisierten Fahrzeugen hätten Fahrräder zukünftig über einen Hilfsmotor zu verfügen, der auf mindestens 40 - 50 % der Fahrstrecke zu betreiben ist. Zur Vermeidung schädlicher Abgase durch die bisher unkontrollierte Atmung der Radfahrer wäre deren Abluft nunmehr komplett zu erfassen und über thermisch- regenerative Filter zu reinigen. In Ausnahmefällen und nur wenn schädliche Umwelteinwirkungen z.B. durch Schweißtropfen ausgeschlossen sind dürfte die Abluftfassung und -reinigung bei Talfahrten abgeschaltet werden. Grundsätzlich bekräftigt die Bundesregierung ihre Zielsetzung, bis 2020 alle Fahrradwege abzuschaffen."
Der Autor dieses Artikels ist keineswegs ein extremer Außenseiter, sondern seit langer Zeit Fachmann auf diesem Gebiet. Dr. Kleemann galt innerhalb "Bündnis 90 / Die Grünen" immer als Realpolitiker, der noch 1998 verbalradikale Forderungen (u.a. vertreten von J. Trittin) in dieser Partei nach schrittweiser Stilllegung aller Müllverbrennungsanlagen als nicht realisierbar ablehnte.
Was in der zitierten Veranschaulichung völlig unsinnig und lächerlich wirkt, ist im Falle der Novellierung der TA Siedlungsabfall exakt so umgesetzt worden. Sämtliche Ökobilanzen, die die ökologischen Vorteile der MBA ergaben, wurden von Umweltbundesamt und Bundesumwelt- ministerium genauso konsequent ignoriert wie die wissenschaftlichen Ergebnisse des 15 Mio. DM teuren BMBF-Forschungsverbunds. So wurde festgelegt, daß bei den Alternativ-Verfahren mindestens 40 - 50 % des Anlageninputs einer energetischen Verwertung (oder thermischen Behandlung), d.h. Verbrennung zugeführt werden müssen. Die Anforderungen an die Abluftreinigung wurden so streng gefaßt, daß die Einhaltung nur durch eine thermische Behandlung der Abluft möglich ist. Also: ohne Thermik geht nichts. Im übrigen läßt das Bundesumweltministerium keine Gelegenheit für den Hinweis aus, daß die Deponierung (und nicht die Müllverbrennung) im Jahr 2020 beendet sein soll. Müllverbrennung ist also das Maß aller Dinge, während die MBA nur noch als Auslaufmodell vom Ministerium deklariert wird.
Durch solche einseitigen Regelverschärfungen und unnötigen Verteuerungen wird den Kommunen der alternative Weg der mechanisch-biologische Abfallbehandlung (MBA) erheblich erschwert. Zwei Ausschreibungen für MBA mußten bereits wegen unwirtschaftlicher Angebote aufgehoben werden. Weitere Kommunen überlegen, von MBA auf die Verbrennung umzusteigen. Auch die Bundesregierung geht in ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage der FDP davon aus, daß die überwiegende Zahl bestehender MBA stillgelegt wird und mindestens 14 Müllverbrennungsanlagen neu gebaut werden.
Ausgerechnet unter einem "grünen" Umweltminister ist der Müllverbrennungslobby nunmehr zum Sieg verholfen worden. Es darf spekuliert werden, wie weit der lange Arm bestimmter Anlagenbauer und Entsorgungskonzerne in die Bundesbehörden reicht. Dr. Kleemann schreibt hierzu unter Verweis auf die in Köln aufgedeckten Bestechungen von SPD Kommunalpolitikern im Zusammenhang mit dem Bau der dortigen Müllverbrennungsanlage: "Daß zur Entscheidungs- findung für Müllverbrennungsanlagen in den Kommunen auch Bestechung im Spiel war, wurde zwar oft vermutet, konnte aber damals nicht nachgewiesen werden."
Interessant ist in diesem Zusammenhang ein "Preis"- Vergleich. Kosten und "Nebenkosten" der Müllverbrennungs- anlage Köln sind zur Zeit in der öffentlichen Diskussion. In Bremgarten bei Freiburg wird zur Zeit eine Müllverbrennungs- anlage gebaut, die technisch ausgereifter als die vor ca. 10 Jahren gebauten Anlagen und zudem wesentlich preisgünstiger ist:
- Geplante MVA Bremgarten:
143.700 Jahrestonnen, Kosten unter 300 Mio. DM (Quelle: Badische Zeitung)
- MVA Augsburg: (incl. Sortieranlage und Kompostwerk)
225.000 Jahrestonnen, Kosten 940 Mio. DM (Geplant war diese Skandalanlage für 168 Mio DM!)(Quelle: Das bessere Müllkonzept)
- MVA Burgkirchen:
197.000 Jahrestonnen, Kosten 790 Mio. DM (Quelle: Das bessere Müllkonzept)
- MVA Ulm:
101.000 Jahrestonnen, Kosten 400 Mio. DM (Quelle: Das bessere Müllkonzept)
Auch bei der ursprünglich versprochenen klaren Trennung zwischen Abfällen zur Beseitigung und Verwertung wurde das Ziel verfehlt. In der vom Kabinett beschlossenen Gewerbeabfallverordnung wird zwar eine Getrennthaltung von Gewerbeabfällen und ein Mindestanschluß an die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger vorgegeben. Die kommunalen Spitzenverbände hatten sich jedoch für eine eindeutigere gesetzliche Regelung durch Novellierung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes, wie von der SPD-Fraktion eingebracht, ausgesprochen. Dieser SPD-Vorschlag beinhaltete eine klare Abgrenzung zwischen energetischer Verwertung und thermischer Behandlung in Müll- verbrennungsanlagen (wie einmal von GRÜNEN gefordert). Leider folgte das Ministerium den nicht ganz unumstrittenen rechtlichen Bedenken der Haus-Juristen und setzte sich damit gegen die SPD-Fraktion durch. Die Verbrennung in Müllverbrennungsanlagen ist demnach zukünftig (wenn es keine Änderungen durch den Bundesrat mehr gibt) als Verwertungsweg für Gewerbeabfälle zugelassen und der stofflichen Verwertung gleichgestellt. Den Kommunen verbleibt nur ein Mindestanschluß einer Restabfalltonne für Gewerbebetriebe, während die Masse der Gewerbeabfälle dem "freien" Spiel der Märkte überlassen wird.
Dr. Kleemann wertet dies noch als Schritt in die richtige Richtung. In Stellungnahmen der Industrie- und Handelskammern wird über solche gesetzliche Regelungen frohlockt, deren eingebaute Schlupflöcher die Dimension sperrangelweit geöffneter Scheunentore aufweisen: "Die Grundzüge der Verordnung (...) hat der Bundesrat nicht verändert. Es bleibt bei den zentralen Forderungen des § 3, wonach Papier/Pappe, Glas, Metalle, Kunststoffe und Bioabfälle entweder getrennt gehalten oder getrennt zur Verwertung gegeben oder - sofern sie vermischt werden - anschließend in einer geeigneten Sortieranlage wieder sortenrein aufgetrennt werden müssen. Ausnahmen sind möglich, sofern diese Forderungen technisch nicht realisierbar sind, was zum Beispiel bei Kleinbetrieben aus Platzgründen der Fall sein kann, oder wenn sie wirtschaftlich nicht zumutbar sind." 2
Eigentlich bedürfte es in dieser Thematik keines weiteren Skandals, doch die Fantasie unserer Regierung scheint unbegrenzt: So stellen sich unbedarfte Zeitgenossen sicher vor, daß die Kontrolle heutiger Müllverbrennungsanlagen auf Dioxine und Furane in den Abgasen sicher kontinuierlich stattfinden müsse. Doch selbst die MVA Bremgarten, bei der neueste Sicherheitsanforderungen gelten sollen, wird einer "Überwachung" auf Dioxine und Furane nur in großen Zeitabständen und nur nach vorheriger Ankündigung unterworfen werden. 3
Ungeachtet der in den letzten beiden Abschnitten genannten ergänzenden Fakten kommt Dr. Ulrich Kleemann in seiner bereits zitierten Bilanz, in der er von einem "dramatisch zu nennenden Paradigmenwechsel" schreibt, zum Schluß: "Die Bilanz der Abfallpolitik durch Rot-Grün fällt somit aus Sicht eines jahrelang in der Abfallpolitik engagierten realpolitischen GRÜNEN Kommunalpolitikers äußerst unbefriedigend bis höchst ärgerlich aus. Die Einführung des Dosenpfandes ist zwar richtig, setzt aber nur die Verordnung des ehemaligen Umweltministers Töpfer um und ist daher als Erfolg dieser Regierung nicht geeignet. Zu einem ähnlichen Ergebnis scheint auch die Bundestagsfraktion gelangt zu sein, da sie die Abfallpolitik in der Erfolgsbilanz der rot-grünen Regierung schlichtweg übergeht."
Anmerkungen:
1 Alternative Kommunalpolitik 06/02 "Vom Ende GRÜNER Abfallpolitik", Dr. Ulrich Kleemann
2 Wirtschaft im Südwesten 07 + 08/02, Seite 18
3 Pressemitteilung des BUND Südlicher Oberrhein v. 31.01.02
Klaus Schramm