10.06.2007

Nano-Technologie
Ebenso vielfältig wie gefährlich

Bei Bekannten zu Besuch - mal eben auf die Toilette und dann das: plötzlich heftige Kopfschmerzen, Atemnot, Husten, Schüttelfrost...

Das ist kein Horrorgemälde! Längst ist es wieder von den allermeisten KonsumentInnen der Mainstream-Medien vergessen, weil seit April 2006 nicht mehr daran gerührt wurde. Doch damals wurde in Deutschland das erste Desaster mit einem Nano-Produkt bekannt. Der Discounter Penny verkaufte Sprays mit den wunderversprechenden Namen 'Magic Nano Bad- und WC-Versiegeler' und 'Magic Nano Glas- und Keramikversiegeler'. Nach offiziellen Angaben wurden Dutzende Menschen verletzt. Bei einzelnen der Opfer wurden "toxische Lungenödeme" diagnostiziert. Symptome wie heftige Kopfschmerzen, Atemnot, Hustenanfälle und Schüttelfrost hatten die KonsumentInnen der Nano-Produkte veranlaßt, Hausarzt oder Klinik aufzusuchen.

Alles deutet jedoch darauf hin, daß die in den Produkten enthaltenen Nano-Partikel - nur Millionstel Millimeter klein - in die Lunge der AnwenderInnen gelangten und in den Lungenbläschen den Sauerstofftransport blockierten. Die Partikel haben möglicherweise auch die Funktion des Alveolar- und Bronchialgewebes in der Lunge und damit den Sauerstoff- bzw. Feuchtigkeitsaustausch gestört. Atemnot und in schweren Fällen die Ansammlung von Wasser in der Lunge - also: Lungenödem - waren die Folge. Manche kommentierten in diesen Tagen arrogant: "Na ja, wer so bescheuert ist, solches Zeug zu kaufen, ist selber schuld..." Allerdings sollten diese Superschlauen dann in Zukunft auch das Bad von Bekannten oder öffentliche Toiletten meiden.

Die Verunglimpfung als "Bedenkenträger" zeigte schon in den letzten Jahren Wirkung: Weder Verbraucherschutzorganisationen, noch die Stiftung Warentest oder auch das Ökotest-Magazin hatten vor dem April 2006 vor Nano-Produkten gewarnt. Der überstürzten Einführung solcher Produkte stellte sich niemand in den Weg. Die ungehemmte Gier nach Profit scheint sich einmal mehr gegen Besonnenheit und Vorsicht durchzusetzen.

Anfang April erneuerte die internationale Vereinigung kritischer WissenschaftlerInnen ETC ihre bereits im Jahr 2003 erhobene Forderung nach einem globalen Forschungs-Moratorium der Nanotechnologie und dem Rückruf aller Konsumwaren, die Nano-Partikel enthalten. ETC weist darauf hin, daß Partikel in der Größenordnung von 70 Nanometer lungengängig sind, solche mit weniger als 50 Nanometer ungehindert in Zellen eindringen und Nano-Partikel mit weniger als 30 Nanometer die Blut-Hirn-Schranke passieren können.

Angeblich sollen die beiden Magic-Nano-Sprays das Leben leichter machen. Die winzigen Partikel in der Größenordnung von Nanometern gleichen die Unebenheiten in Glas und Keramik aus und machen Flächen unempfindlich gegen Schmutz und Feuchtigkeit. Doch daß diese Teilchen beim Versprühen auch eingeatmet werden können, bereitete dem Produzenten, der Kleinmann GmbH aus Baden-Württemberg, offenbar keine Sorgen.

Schon wenige Stunden nach dem Verkaufsstart bei Penny liefen bei den Giftinformationszentralen (GIZ) Berichte über akute Vergiftungen ein. Soweit bekannt ließen die Beschwerden nach 12 bis 18 Stunden nach. Und voreilig heißt es bereits, es habe niemand bleibende Schäden davongetragen. Zumindest zwei schwangere Frauen benutzten die gefährlichen Nano-Sprays.

Die Giftinformationszentrale Nord und die Behörden verschiedener Bundesländer warnten bereits am 28. März vor den gefährlichen Nano-Sprays - mit mäßigem Erfolg. Die Mainstream-Medien berichteten zögerlich und verharmlosend. "Trotz intensiver Bemühungen der Behörden brachten weder die heute-Sendung des ZDF um 19 Uhr noch die Tagesschau der ARD um 20 Uhr die Warnung", kritisiert Prof. Dr. Manfred Edelhäuser, der für Lebensmittelüberwachung zuständiger Dezernent im baden-württembergischen Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum. Erst am 29. März wurde die Warnung angemessen verbreitet.

Mitte Oktober letzten Jahres warnte die Umwelt-Organisation BUND die VerbraucherInnen vor dem Kauf der Waschmaschine 'Silver Nano Health System', die von 'Media Markt' angeboten wurde. Hersteller ist die Firma* Samsung. Laut BUND sind die in der Maschine enthaltenen Nano-Silberpartikel, die als Waschverstärker wirken sollen, noch nicht ausreichend auf ihre Umwelt- und Gesundheitsrisiken hin getestet worden. In Tierversuchen hatte sich jedoch bereits gezeigt, daß Silberpartikel in Nanogröße die Entwicklung von Nervenzellen stören und giftig auf Leber- und Geschlechtszellen wirken können. "Ungeachtet der Wissenslücken bewerben Samsung und Media Markt die neue Waschmaschine als besonders gesundheitsfreundlich und für Allergiker und Schwangere geeignet", kritisiert der Umweltverband.

Und der stellvertretende BUND-Vorsitzende Helmut Horn kritisierte: "Wieder einmal werden durch eine neue Technologie Heilsversprechen verbreitet und die Augen vor möglichen Risiken verschlossen. Trotzdem werden Nanopartikel ohne jegliche Kontrolle verbreitet. Dem muß dringend ein Riegel vorgeschoben werden."

Durch den Gebrauch der Waschmaschine gelangen beträchtliche Mengen von Silber-Ionen ins Abwasser und in den Boden. Als hochwirksame Biozide können sie Bakterien abtöten, die in biologischen Kläranlagen eingesetzt werden, und so die Abwasserreinigung empfindlich stören. Außerdem tragen die Partikel zur Silberbelastung des Klärschlamms bei, der anschließend nicht mehr zur landwirtschaftlichen Düngung geeignet ist. Auf Lebewesen im Wasser wirken sich Nano-Silberpartikel giftig aus.

Die 'Badische Zeitung' beispielsweise berichtete kürzlich einmal über Nanotechnologie. Doch weder das Desaster mit den Nano-Sprays, noch die Umwelt-Gefährdung durch Nano-Waschmaschinen wurde thematisiert. Wie in den Mainstream-Medien üblich wird sich ein pseudo-kritisches Mäntelchen umgehängt, indem in einem Nebensatz darauf hingewiesen wird: Die Gefahren seien bislang noch zu wenig erforscht. Indirekt kommen naive LeserInnen so zu der Erkenntnis, daß es noch keinerlei Erkenntnisse über Gefahren gäbe.

Auch im Bereich von Medizin und Lebensmitteln verspricht die Nano-Technologie eine Revolution. Vermutlich stellen sich die in den entsprechenden Forschungssparten euphorisierten WissenschaftlerInnen dabei keine Revolution mit Todesopfern vor. Doch die science-fiction-artigen Verheißungen blenden und die nötige Vorsicht wird vernachlässigt. Die Zukunftsvisionen im Bereich der Medizin versprechen neuartige Nano-Arzneimittel, die sozusagen in winzige U-Boote verpackt werden und so im Körper nicht mehr auf die Blutbahn angewiesen sind. Die Medikamente sollen dann direkt in betroffene Körperzellen eindringen, etwa in Tumor-Gewebe. Neue Krebstherapien seien denkbar.

Und auch Lebensmittel sollen mit Nano-Partikeln ganz neue Eigenschaften erhalten. Während ein Sterbenskranker wohl nicht lange zögern würde, ein innovatives nanotechnologisches Medikament einzunehmen, um sein Leben zu retten, stellt sich die Frage, inwieweit ein Gesunder Nanofood wirklich braucht. Es weiß niemand so genau, wie der menschliche Organismus auf regelmäßig zugeführte Nanopartikel reagiert, ob sie auf Dauer die Umwelt schädigen oder den Stoffwechsel anderer Lebewesen aus dem Lot bringen können. Klar ist nur, dass Partikel die heikle Eigenschaft besitzen, mit abnehmender Größe immer toxischer zu werden.

Doch die industrielle Produktion läuft bereits in vielen Bereichen auf Hochtouren. Und sie wird - ähnlich wie bei der Atomtechnologie in den 1950er- und 1960er-Jahren mit sogenannten Forschungsgeldern hochgepäppelt. Allein in Deutschland hat die Nano-Forschung bereits 1,3 Milliarden Euro an öffentlichen Fördergeldern erhalten, teilte das Forschungsministerium auf Anfrage mit. Das ist mehr als über das EEG-Gesetz den erneuerbaren Energien zufließt. Übrigens wird auch weiterhin die Atomindustrie Jahr für Jahr mit über 7 Milliarden Euro subventioniert.

Neben der Gentechnologie wird die Nanotechnologie als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts propagiert. Euphorische Prognosen sagen allein Nano-Nahrungsmitteln bis 2010 einen 20-Milliarden-Dollar-Markt voraus - von vergleichsweise mageren 2,6 Milliarden im Jahr 2003 über sieben Milliarden für 2006. 1,13 Billionen Euro sollen es für die gesamte Nano-Technologie sein, mit der etwa 4000 Firmen und Forschungseinrichtungen weltweit befaßt sind. Mehr als 200 Unternehmen arbeiten derzeit an Nano-Nahrungsmitteln, vor allem in den USA, in Japan und China, aber zunehmend auch in Europa. Die Großen der Branche wie HJ Heinz, Nestlé, Hershey Foods, Unilever und Keystone gehören zu den Pionieren; Chemiefirmen wie Degussa, Henkel und Bayer haben sich längst als deren Partner etabliert. Als erster Industriekonzern errichtete Kraft im Jahr 1999 ein Labor für Nanofood - mittlerweile befaßt sich das ebenfalls vom Kraft-Konzern ins Leben gerufene Konsortium NanoteK, an dem 15 Universitäten und nationale Forschungseinrichtungen der USA beteiligt sind, mit der Entwicklung von nanotechnologischen Verfahren für die Lebensmittelbranche. In Deutschland sind derzeit ungefähr 150 Nanoprodukte auf dem Markt, davon nur eine Handvoll im Lebensmittelbereich. Meist handelt es sich um Beschichtungen, die Graffitis an Fassaden oder Schmutz an Fenstern und Pfannen abperlen lassen, die ein Verkratzen von Brillen und Uhrgläsern verhindern oder die das Ansiedeln von Krankheitserregern an Oberflächen unterbinden.

Neben dem BUND warnt auch die Securvita-Krankenkasse vor der bedenkenlosen Verbreitung von Nanotechnologie: "Wir rufen Verbraucherzentralen, Umweltverbände und Krankenversicherungen dazu auf, sich mit der Nano-Technologie und ihren Folgen intensiv auseinanderzusetzen. Die Einführung einer Risiko-Technologie, der ein Marktvolumen von 100 Milliarden Euro vorhergesagt wird, erfordert einen klaren rechtlichen Rahmen und eine offene Akzeptanz- und Risiko-Debatte. Es darf keinen Goldrausch auf Kosten der Gesundheit geben!"

Allerdings sind die "revolutionären" Eigenschaften der Nano-Technologie tatsächlich faszinierend. Nano-Partikel können eine eigene, explosive Dynamik entfalten. Je winziger die Teilchen, desto aktiver und rätselhafter werden sie. Sie entfalten Eigenschaften, die die Stoffe in der "normalen" Welt nicht haben. Das beinhaltet aber auch die Gefahr, daß sie giftig für den menschlichen Organismus sein können, noch viel agressiver als die Partikel im Dieselruß und Feinstaub.

Gold zum Beispiel ist normalerweise chemisch inaktiv. Goldpartikel in Nanogröße jedoch werden plötzlich reaktionsfreudig. Und Aluminiumoxid, das wegen seiner inerten Eigenschaft gerne in der Zahnmedizin verwendet wird, kann - zermahlen zu Partikeln im Nanobereich - spontan explodieren. Es wurde daher bereits als potentieller Raketentreibstoff getestet.

Die Nano-Revolution findet bisher weitgehend im Verborgenen statt. Eine Reihe von Nano-Produkten wird schon hergestellt, aber die VerbraucherInnen läßt man meist im Dunkeln tappen. Eine Hinweispflicht wie bei Zusatzstoffen, Lebensmittelchemie oder wie teilweise bei der Gentechnik gibt es nicht. KritikerInnen befürchten, daß die Nano-Technologie schleichend eingeführt wird, um eine kontroverse öffentliche Debatte wie bei der Gentechnik zu vermeiden.

So wie bereits heute die Chemie dazu benutzt wird, aus Sägespänen Erdbeerarmoma herzustellen, um geschmacklosen Billigfraß aufzupeppen, kann bald auch die Nanotechnologie - mit noch viel weitreichenderen Zauberkunststücken - zur Täuschung der VerbraucherInnen eingesetzt werden. Beispielsweise sollen unerwünschte Geschmacksstoffe mithilfe von Nano-Partikeln umhüllt werden, so daß sie beim Verzehr nicht mehr wahrgenommen werden ("Geschmacksmaskierung"). Andere, erwünschte Geschmacksstoffe können so "verpackt" werden, daß sie sich nacheinander oder erst nach einer bestimmten Garmethode entfalten.

Nano drängt in die Supermärkte, doch die Branche frönt der Heimlichkeit. Nanofood ist noch kein Thema für die Öffentlichkeit, und so lärmt die Werbung nicht, wie sonst üblich. Debattiert wird auf Fachtagungen und brancheninternen Seminaren, Expertengespräche finden meist im engen Kreis auf Messen statt - man ist unter sich. Nanotechnologisch veränderte Produkte werden hypersensibel "kommuniziert", denn aus der Sicht der nahrungsmittel-Industrie ist der Stachel "Genfood" im Fleisch der KonsumentInnen doch gerade erst dabei, sich zu verkapseln.

Wer sich intensiver mit diesem Thema beschäftigen möchte, dem sei das Buch "Die Joghurt-Lüge" empfohlen. Untertitel "Die unappetitlichen Geschäfte der Lebensmittelindustrie".
Erschienen im Campus-Verlag.
Marita Vollborn und Vlad D. Georgescu, die das Buch zusammen verfaßt haben, bekannten übrigens: Nachdem sie so intensiv recherchiert hatten, entschlossen sie sich beide, sich nur noch mit Lebensmitteln aus dem Bioladen zu versorgen.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Warnung vor Nanotechnologie
      Waschmaschine von Media Markt birgt Umweltgefährdung (13.10.06)

      Nanotechnologie gefährlich
      Verletzungen durch 'Magic'-Spray (4.04.06)

      * In der Originalfassung dieses Artikels hieß es
      fälschlich: "schwedische Herstellerfirma" - bei Samsung
      handelt es sich jedoch um einen koreanischen Konzern
      mit Sitz in Seoul. (16.10.07)

 

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