31.10.2004

Volksfront von Rechts?

Sozialabbau - Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen?

Bisher hatte die NPD - zumindest in ihren Verlautbarungen - auf einen gewissen Abstand zur Neo-Nazi-Szene geachtet. Tatsächlich jedoch gab es immer schon personelle Überschneidungen, Beschäftigung von Neo-Nazi-Schlägern als Saalordner und "kulturelle" Gemeinsamkeiten bei der Verbreitung hetzerischer "Musik"-CDs. Angesichts des Aufschwungs bei den letzten Landtags-Wahlen, die NPD zog in Sachsen mit 9,2 Prozent erstmals seit 1968 in ein Landesparlament ein und die DVU schaffte in Brandenburg mit 6,1 Prozent den Wiedereinzug, scheinen nun jedoch alle Schamgrenzen zu fallen. Zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl hat sich die NPD auf einem Parteitag erstmals mit militanten Neo-Nazis und der DVU verbündet.

Mit Thorsten Heise wählte die NPD erstmals einen Neo-Nazi an die Parteispitze. Über 64 Prozent erhielt Heise bei seiner Wahl in den NPD-Bundesvorstand. Der wiedergewählte Parteivorsitzende Udo Voigt (mit hoher Wahrscheinlichkeit Beamter des Verfassungsschutzes) sprach selbst ganz offen von einer "Scharnierfunktion". Thorsten Heise ist einflußreiche Führungsfigur in parteiunabhängigen "Freien Kameradschaften", in denen sich gewaltbereite Neo-Nazis tummeln. Er kommt aus Niedersachsen und ist zugleich in Thüringen aktiv. Die Neo-Nazis Ralph Tegethoff und Thomas Wulff zogen ihre Bewerbungen zurück. Der ehemalige Republikaner-Bundesvize Frank Rohleder wurde ebenfalls in den NPD-Bundesvorstand gewählt. Voigt wurde mit knapp 87 Prozent als Parteivorsitzender bestätigt. Als Stellvertreter wählten die etwa 160 Delegierten unter anderem erneut Holger Apfel, der auch sächsischer NPD-Fraktionschef ist.

Mit gewohnter Doppelzüngigkeit wurde auf dem Parteitag zugleich die "Scharnierfunktion" hervorgehoben und zur "Distanzierung" vom Nazionalsozialismus aufgerufen. Der ebenfalls anwesende Vorsitzende der DVU und Multimillionär Gerhard Frey erklärte: "Wir müssen einen größtmöglichen Abstand zum Nazismus und Neonazismus halten." Und Voigt ergänzte, es sei möglich, von "ganz rechts" bis zu Wertkonservativen eine "deutsche Volksfront" zu schaffen. Zum Abschluß des Bundespateitages im thüringischen Leinfelde erklärte er am heutigen Sonntag den "historischen Nationalsozialismus" für tot und rief zugleich alle "nationalen Sozialisten" auf, in die NPD einzutreten.

In völliger Verkennung der realen Machtverhältnisse forderte NPD-Chef Voigt eine "neue Staatsform" und bezeichnet das Grundgesetz ganz offen als "vorläufig". Mit letzterem liegt er zwar völlig richtig, da dies im Grundgesetz nachzulesen ist, erntet jedoch regelmäßig die gewünschte Reaktion der Massenmedien, die reflexhaft und formal (falsch) darauf den Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit gründen. Während eine autoritäre "neue Staatsform" propagiert wird, ertönt zugleich populistisch die Forderung nach "mehr direkter Demokratie".

NPD und DVU hoffen augenscheinlich, aus der wachsenden Unzufriedenheit über Sozialabbau und zunehmende Arbeitslosigkeit politisches Kapital schlagen zu können. Sie haben aus dem erfolgreichen Zusammenspiel gelernt - die NPD verzichtete in Brandenburg auf die Teilnahme an der Landtagswahl, während die DVU umgekehrt nicht in Sachsen antrat - und verabredeten, gemeinsam in den Bundestagswahlkampf 2006 zu ziehen.

Die Bundesvorsitzenden Voigt und Frey erklärten, beide Parteien seien sich in den Grundzielen einig. "Wir sehen Deutschland von Ausländern überfremdet", hetzte Voigt, obwohl der Ausländer-Anteil in Deutschland seit über zehn Jahren bei knapp 9 Prozent stagniert. Er forderte ein "Ausländerheimführungsgesetz", mit dem in Deutschland lebende Ausländer aus dem Sozialsystem ausgegliedert werden sollen. Zugleich bestritten Vogt und Frey, ausländerfeindlich zu sein. Frey ergänzte als wichtigen Programmpunkt, die Ehre der Wehrmacht müsse verteidigt werden. Dies zielt offenbar gegen die Wander-Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg - eine Ausstellung, die übrigens ohne Zutun der Parteien und nach jahrzehntelangem parteiübergreifenden Festhalten am Trugbild des ehrbaren Soldatenhandwerks von WissenschaftlerInnen aufgebaut worden war.

Der parteiübergreifende Antifaschismus feierte derweil heute wieder fröhliche Urständ: Ohne irgendwelche inhaltliche Kritik forderte eine All-Parteien-Koalition die Distanzierung von der "brauen Soße". Daß "Rot-Grün" längst exakt die von den Rechtsextremen geforderte Politik treibt und die Zahl der abgeschobenen Asylsuchenden von Jahr zu Jahr steigt, ja bei weitem die Zahlen aus der Ära der Biedermanns und Innenministers Kanther von vor 1998 übertrifft, wird in den Massenmedien totgeschwiegen. Angesichts dieses "amtlichen" Antifaschismus ist es kaum verwunderlich, daß die Antifa nur noch wenige hundert TeilnehmerInnen zu einem Protest bei der Versammlungshalle in Leinfelde aufbieten konnte. Dabei scheint die Gefahr von Rechts, vor der sie jahrzehntelang unermüdlich warnt, gerade jetzt real zu werden. Ähnlich wie in der wirtschaftlichen Depression der 30er Jahre steht die Linke vor der Aufgabe, die Zersplitterung zu überwinden und eine glaubwürdige gesellschaftliche Perspektive aufzuzeigen. Bei einem erneuten Scheitern werden auch heute wieder die reaktionären Kräfte das Wasser auf ihre Mühlen zu lenken wissen.

 

Klaus Schramm

 

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