15.11.2000

So fahrt ihr richtig ab!

Ein besonders krasses Beispiel schlechter Verkehrspolitik ist die Deutsche Bahn. Verspätungen, unzureichende Verbindungen, schlechter Service sind hier so normal wie horrende Preise. Und als Benutzerin unseres maroden Bussystems habe ich schon oft feststellen müssen, daß am Sonntag halt kein Bus von A nach B fährt.

Die blinde Autopolitik deutscher Verkehrsminister setzt dem ganzen die Krone auf. Wohin ich auch schaue, sprießen Umgehungsstraßen und Autobahnanschlüsse aus dem Boden. Dabei bringt der Autoverkehr riesige verdeckte Kosten mit sich, weshalb - ganz klar - an Geldern zum Bau von Radwegen oder der Instandhaltung der Schienenstrecken gespart wird.

Zwar ist Autofahren im Vergleich zur Bahn - wie selbst der ADAC bestätigen muß - immer noch pro Kilometer und pro Kopf um 30 bis 60 Pfennig teurer, aber mit Mobilität und Komfort eines Autos können die meisten öffentlichen Verkehrsmittel nicht mithalten.

Dabei ist es so einfach. Einige Städte haben längst bewiesen, mit welchen grundlegenden Prinzipien eine enorme Zuwachsrate an Fahrgästen erreicht werden kann:

  • die flächendeckende Vernetzung ist das A und O eines attraktiven Verkehrssystems. Auch kleine Orte müssen hinreichend angebunden sein.
  • das Zusammenspiel von Bahn, Bus u.a. Verkehrsmitteln muß gut funktionieren.
  • kurze Zeitabstände zwischen den Ankunftzeiten: 10-Minuten-Takt statt Abstände von 4 Stunden.
  • die Preise müssen stimmen. Gerade kleine Preise für Familien bieten Vielen einen Anreiz, das Auto stehenzulassen.
  • komfortable, saubere Verkehrsmittel
  • guter Service

Wenn diese Prinzipien konsequent angewendet werden, haben öffentliche Verkehrsmittel eine Chance, beliebt zu werden. Nur so wird ihr schlechtes Image aus unseren Köpfen vertrieben.

In Karlsruhe sind weit weniger Autos zu sehen als in anderen Städten: Weil hier die effektivste Straßenbahnpolitik Deutschlands betrieben wird. Die Nutzungsraten stiegen innerhalb von drei Jahren um über 600 Prozent. In Karlsruhes Hauptgeschäftsstraße fahren die Straßenbahnen im Abstand von 50 Sekunden! Außerdem fahren die Straßenbahnen auf den Schienen der Bundesbahn bis zu 50 Kilometer nach Nord, Ost, Süd und West hinaus ins Umland. Seit September 97 wird in einigen Karlsruher Straßenbahnen den Gästen ein Frühstück angeboten. Das ist ein Vorbild für guten Service.

Lemgo hat 1994 alle alten Busse durch neue, komfortable Niedrigflurbusse ersetzt, die Anzahl der Haltestellen versechsfacht und die Busse fahren im 10-Minuten-Takt statt wie zuvor nur einmal die Stunde. Auch am Geld für Werbung wurde nicht gespart. Innerhalb von drei Jahren hat sich die Teilnehmerzahl verdreißigfacht! Und der Autoverkehr ist stark rückläufig. Aus zuvor jährlich 80.000 Teilnehmern am öffentlichen Verkehr wurden 2,4 Millionen.

Die österreichische Stadt Dornbirn hat die Kundenzahl mit demselben System in sechs Jahren sogar verfünfzigfacht! Aus 100.000 Benutzern des Bussystems wurden fünf Millionen.

In Münster wird mehr Rad gefahren als irgend sonst in Deutschland. Auch das ist kein Zufall. In Wismar ist die fußgängerfreundliche Planung absolut gelungen. In Berlin und München floriert das car-sharing: Mehrere Menschen oder Familien nutzen gemeinsam ein oder mehrere Autos. Car-sharing spart Geld und schont die Umwelt! In Freiburg wurde neuerdings der Verbund zwischen Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln durch ein zentrales Fahrrad-Verleih und -Parkhaus verbessert.

Lindau hatte bis vor kurzem nur Regionalbusse und erstickte am Autoverkehr. Nachdem die Stadt ein neues Bussystem einführte, stiegen die Fahrgastzahlen um das hundertfache! Aus 30.000 wurden 3 Millionen.

Nordrhein-Westfalen hat schon in den 80-er-Jahren 1.600 Hauptverkehrs- straßen stadtverträglich umgestaltet - ohne Tunnelbau oder Umgehungsstraßen. Durch Tempolimits, das Pflanzen von Bäumen, Mittelinseln und viele Fußgängerüberwege wurden von Autos zerstörte Räume wieder menschengerecht.

In Holland werden 50 Prozent aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt. In Deutschland 7 Prozent. Bei unseren holländischen Nachbarn ist ein Fahrradgeschäft eine Mobilitätszentrale. Wer den Radverkehr dort studiert und nach Deutschland zurückkehrt, hat den Eindruck, in ein Entwicklungsland zu kommen. In Holland gibt es überall Fahrrad-Parkhäuser mit integrierter Werkstatt. Arbeitgeber stellen Diensträder zur Verfügung. So sparen sie Parkraum für's Auto, viel Geld und bekommen gesündere Mitarbeiter. Das ist mehr als Verkehrspolitik. Dahinter stecken auch ethische Überlegungen. Hollands Regierung hat beschlossen, bis 2010 die Treibhausgase gegenüber 1986 um 30 Prozent zu reduzieren - und tut etwas dafür!

Japans Metropolen machen eine weit intelligentere Verkehrspolitik als die deutschen. Dort beträgt der Anteil der Autos am Gesamtverkehr heute noch 18 Prozent, in Deutschland 55 Prozent. In Tokio ist 95 Prozent allen Verkehrs öffentlicher Verkehr.

Offensichtlich gibt es genug Menschen, die ein kundenfreundliches öffentliches Verkehrssystem nutzen würden. Doch statt dessen wird vielerorts ohne sich zu informieren weitergewurstelt wie bisher. Die Defizite der Kommunen, die den öffentlichen Nahverkehr bezuschussen müssen, wachsen und in einem Teufelskreislauf werden, um kurzfristig einzusparen, Taktzeiten und Service "abgespeckt", womit noch mehr Kunden vergrault werden. Und die Einnahmen sinken weiter und der Kreislauf geht in die nächste Runde.
Dieser Teufelskreis wird zusätzlich dadurch angekurbelt, indem die meisten Verkehrspolitiker blindlings noch mehr Parkraum und noch mehr Straßen bauen, die noch mehr Auto-Verkehr nach sich ziehen. Es ist ein verkehrspolitisches Grundgesetz: Wer Straßen baut, wird noch mehr Autos ernten. Es ist, als wollten sie Alkoholismus mit Schnaps bekämpfen.
Wir Nutzerinnen und Nutzer müssen Druck machen und diese Informationen, wie es besser geht, verbreiten. Die Beispiele zeigen, daß es möglich ist, aus diesem Teufelskreis auszubrechen.
Auch in Zukunft wird der öffentliche Nahverkehr bezuschußt werden müssen. Doch wenn die Fahrgastzahlen steigen, sinken die Zuschüsse! Untersuchungen über die rund 100 neuen Stadtbussysteme in Deutschland, die Steigerungsraten von bis zu 500 Prozent (Lemgo: 2.900 Prozent) erzielen, zeigen, daß eine Kommune dann jährlich nur noch Zuschüsse von etwa 1,5 Millionen Mark aufbringen muß. Das ist ein sehr geringer Betrag gemessen am 10- bis 100-fachen für Tunnels, Parkhäuser und neue Straßen für Autos.
Wir können schon heute damit beginnen, in unserem eigenen Verhalten Konsequenzen zu ziehen und mit - auch mal schlechten öffentlichen Verkehrsmitteln - fahren oder häufiger das Fahrrad statt das Auto benutzen. Und wir müssen Mittel finden, in den Kommunen, in denen wir leben, die aufgezeigte Wende in der Verkehrspolitik durchzusetzen. Denn die Beispiele zeigen: Wo ein Wille ist, da findet sich auch ein Weg, wo wir richtig abfahren.

Traudel Pfannendörfer

 

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