6.06.2005

Juristisches Nachspiel wegen
Streik bei Opel

Ein Lagerarbeiter und ein Betriebsrat wehren sich gegen Kündigungen

Für den Betriebsrat Turhan Ersin ist die Kündigung, die als Antwort auf den Opel-Streik im Oktober1 erfolgte, weniger bedrohlich. In seinem Fall konnte der Betriebsrat gegen die Kündigung Widerspruch einlegen. Daraufhin ging der Konzern vor Gericht und versucht - mit wenig Erfolgsaussichten - die Kündigung einzuklagen.

Bei Richard Kaczorowski sind die Rollen des Klägers und des Angeklagten genau umgekehrt verteilt. Er ist Lagerarbeiter bei Opel Bochum. Nach 24 Jahren Betriebszugehörigkeit, davon 18 Jahre am Montageband, wurde ihm letzten Oktober nach dem einwöchigen Streik fristlos gekündigt. Von einem Tag auf den anderen stand er auf der Straße und zudem wurde er von der "Agentur für Arbeit" mit einer dreimonatigen Sperrfrist belegt. Begründung: Er habe die Kündigung "selbst verschuldet." So erhielt er nach dem Verlust des Arbeitsplatzes bis Februar 2005 kein Arbeitslosengeld. Daß er umgehend Klage gegen den GM-Konzern, zu dem Opel gehört, eingereicht hatte, interessierte bei der "Agentur für Arbeit" nicht. Die Klage vor Gericht war Kaczorowski, der sich keinen Anwalt leisten kann, nur möglich, weil ihm als Gewerkschaftsmitglied vom DGB Rechtsschutz zusteht.

Doch von Spendengeldern in Höhe von insgesamt 23.000 Euro, die während des Streiks im Oktober vom Betriebsrat gesammelt worden waren, um KollegInnen in Not zu helfen, bekam Kaczorowski nichts. Hätten nicht Solidaritätskomitees in Bochum und Recklinghausen und die Belegschaft eines anderen Betriebes zusammen rund 2.500 Euro für ihn gesammelt, hätte er in den ersten drei Monaten nach der Kündigung noch nicht einmal seine Miete zahlen können.

Als Begründung wird im Kündigungsschreiben an Kaczorowski mit Berufung auf Belastungszeugen der Vorwurf erhoben, er habe am 16. Oktober 2004 andere Opel-Mitarbeiter genötigt und bedroht, um diese zur Teilnahme am Streik zu bewegen. Die Tatbestände "Nötigung" und "Bedrohung" werden damit belegt, daß Kaczorowski mit "Gewalttaten" und mit einem "Verbrechen" gedroht habe.

Am 10. Mai 2005 trat nun die erste Kammer des Arbeitsgerichts Bochum zu seiner ersten Sitzung zusammen. Zahlreiche KollegInnen kamen, um den Prozeß gegen Richard Kaczorowski zu beobachten und ihm ihre Solidarität zu zeigen. Die Vernehmung von Kaczorowski und der von GM/Opel benannten fünf Belastungszeugen dauerte über drei Stunden. Bei der Befragung von Kaczorowski ergab sich folgendes Bild: Von seinem Arbeitsplatz in der Werklogistik aus begab sich Kaczorowski in die Halle, wo die Endmontage des neuen Opel-Modells 'Zafira' stattfindet. Er sah, daß dort noch gearbeitet wurde. Auf die überraschte Frage des Richters hin stellte sich heraus, daß es dort keine Streikposten gegeben hatte und "praktisch jeder rein und raus" gehen konnte. Laut Kaczorowski sei es zu einem Wortwechsel gekommen, bei dem er die KollegInnen darauf hingewiesen habe, daß es auch um ihre eigene Zukunft gehe. Selbst der vorsitzende Richter wertete diese Äußerung als "in Ordnung".

Dennoch versuchte der Richter immer wieder auf Richard Kaczorowski Druck auszuüben, er solle einem Vergleich mit GM/Opel zustimmen. Dies sei für ihn besser, die schriftlichen Zeugenaussagen, die seinen Aussagen widersprächen, seien glaubwürdig und die Abfindung, die er selbst als "symbolisch" qualifizierte, sei besser als nichts. Sowohl Kaczorowskis Rechtsanwalt als auch die Rechtsvertreter des Konzerns lehnten allerdings ab. Ein Herr der Personalabteilung des Konzerns ließ durchblicken, daß das Verfahren "große Bedeutung" habe.

Der Richter drängte dennoch weiter auf einen Vergleich und unterbreitete dazu nach einer kurzen Verhandlungspause zwei Vorschläge, die beide auf eine Umwandlung der fristlosen in eine fristgemäße Kündigung hinausliefen. Bei einer fristgemäßen Kündigung zum 31. Oktober 2004 sollte Kaczorowski eine Abfindung von 20.000 Euro erhalten. Richard Kaczorowski lehnte beide Vergleichsvorschläge unter starken Beifallsbekundungen des Publikums ab und erklärte, die Anschuldigungen seien völlig haltlos, die Kündigung daher unrechtmäßig.

In der nun folgenden Vernehmung der Belastungszeugen brachen die Anschuldigungen aus dem Kündigungsschreiben nach und nach in sich zusammen. Vier von fünf Belastungszeugen, MontagearbeiterInnen, erklärten übereinstimmend, daß sie nicht - wie im Kündigungsschreiben behauptet - "verängstigt" gewesen seien und sich auch nicht bedroht gefühlt hätten. Der Wortwechsel zwischen einem von ihnen und dem Kläger sei zwar lautstark gewesen, dafür sei jedoch auch die Geräuschkulisse vor Ort ein Grund. Angegriffen habe sich niemand gefühlt, außerdem sei in jenen Tagen im Werk überhaupt viel geschrien worden. Sie hätten die Arbeit eingestellt, weil sie ohnehin fast abgeschlossen gewesen sei.

Einige der Zeugen nannten ganz offen auch den (illegalen) Streik als Grund für die Arbeitsniederlegung. Auch in der Instandhaltung und der Reparaturabteilung, wo an jenem Samstag zunächst noch gearbeitet worden sei, wurde die Arbeit zum fraglichen Zeitpunkt niedergelegt. Alle vier Zeugen widersprachen der Darstellung, Kaczorowskis Verhalten sei der Anlaß für die Einstellung der Arbeit gewesen. Während den Aussagen der Zeugen unterbrach der vorsitzende Richter häufig und gab sich verwundert, da es offensichtliche Widersprüche zu den "Beweisen" und "Zeugenaussagen" gab, die von GM/Opel gesammelt worden waren. Ganz offensichtlich war von GM/Opel Druck ausgeübt worden.

"Was stimmt denn nun, die von Opel vorgelegte Aussage oder Ihre jetzt vor Gericht gemachte Aussage?", fragte der Richter mehrfach und erhielt jedes Mal zur Antwort: "Meine hier vor Gericht gemachte Aussage." Lediglich ein Zeuge, ein leitender Angestellter, stellte die Situation anders dar. Der Kläger, Richard Kaczorowski, habe geschrien "Reißt die Anlagen ab!" und zudem habe er damit gedroht, er werde per Handy den "Mob" hereinholen. Auf Nachfrage erklärte der Angestellte, unter "Mob" habe er die Streikenden vor dem Werktor verstanden. Auch dem Richter war offensichtlich klar, daß diese Wortwahl kaum von jemandem stammen konnte, der auf Seiten der Streikenden stand. Und zu guter Letzt gab auch dieser Zeuge zu Protokoll, er habe "keine Angst" vor dem Kläger gehabt, sondern sich lediglich aus Sorge um die Sicherheit und Gesundheit seiner MitarbeiterInnen gezwungen gesehen, diese nach Hause zu schicken.

Obwohl nach der Zeugenvernehmung offenkundig war, daß den Anschuldigungen "Nötigung" und "Bedrohung" der Boden entzogen war, kam es zu keinem sofortigen Urteil das die Unwirksamkeit der Kündigung feststellt. Die Zeugenvernehmung wurde für beendet erklärt und eine Verhandlungspause von vier Wochen vorgeschlagen, damit alle Beteiligten das bisherige Verfahren und die Aussagen überdenken könnten. Erneut drängte der vorsitzende Richter zu einem Vergleich. So ist damit zu rechnen, daß von verschiedenen Seiten - auch aus Teilen der Gewerkschaftshierarchie - Druck auf Richard Kaczorowski ausgeübt werden wird, einem Vergleich zuzustimmen.

Auch ein Vergleich bedeutet für GM/Opel, daß die Kündigung durchgesetzt werden kann und somit einen Sieg. Es sollen Exempel statuiert werden. Deshalb ist es außerordentlich wichtig, für die Betroffenen Solidarität zu zeigen.

 

Harry Weber

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unsere bisherigen Beiträge

      Betriebsrats-Vorsitzender bei Opel Bochum zurückgetreten
      (17.12.04)

      Opel-Transfer ins Nichts (10.12.04)

      Opel Bochum: Fristlose Kündigung von "Rädelsführern"?
      (27.10.04)

      Opel-Arbeitsplätze und Kampfjet F16 (25.10.04)

      Sechster Streiktag in Bochum
      mangelnde europäische Solidarität (19.10.04)

      Streik bei Opel (15.10.04)

 

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