15.10.2004

Streik bei Opel

Das gab's bislang nur selten in Deutschland: Ein Streik außerhalb von Tarifverhandlungen.

Die GewerkschafterInnen an der Basis können und wollen nicht abseits stehen. Ein einfacher Betriebsrat, Aribert Günther, 48 Jahre alt und seit über 30 Jahren bei Opel erklärt: "Ich kann mit Leuten nicht verhandeln, die sagen, ich rasier' euch ab." Am Mittag hatte er noch vor einem unorganisierten Streik gewarnt. Die Gewerkschaftsführung ist ratlos, ob sie diesen Konflikt noch in die "vorgegebenen Bahnen" (um-)lenken kann.

Nicht ganz überraschend kündigte der Mutter-Konzern 'General Motors', der die 'Adam Opel AG' schon vor Jahr und Tag geschluckt hat, gestern an, in den Opel-Werken in Germany 10.000 Arbeitsplätze zu streichen. Angesichts solcher Massenentlassungen - bei europaweit insgesamt 32.000 Opel-Beschäftigten - , angesichts beschleunigten Sozialabbaus und der Aussicht auf Arbeitslosengeld auf Sozialhilfe-Niveau kann auch die "Verzweiflung und Wut" ('spiegel'-online, 14.10.04 - 21:44 Uhr) kaum verwundern.

"Superminister" Clement eilte noch gestern Nachmittag nach Bochum, um sich "in die angespannte Lage im Bochumer Werk einzuschalten" (laut Agentur-Meldungen). Auch die Bundesregierung scheint zu erkennen, wie brenzlig die Lage geworden ist. Als Adlatus für Clement wurder der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück an den Brandherd entsandt, stellte jedoch vor den ihm entgegengehaltenen Mikrofonen sogleich klar, daß es keine Landesmittel zur Rettung von Opel geben werde. Das Land wolle aber als Vermittler oder bei der Gründung von Transfergesellschaften helfen. "Es ist ein schlechter Tag", entrang sich Steinbrück gestern.

Der Streik begann um 15 Uhr im Opel-Werk in Bochum. Von Streik wollte allerdings auch gegen abend der Betriebsratsvorsitzende Dietmar Hahn nicht reden. Ein solcher würde gegen die im Tarifrecht verordnete "Friedenspflicht" verstoßen. Dietmar Hahn beschwichtigend: "Die Kollegen wollen sich bei der Werksleitung informieren. Die stillen nur ihren Informationshunger." Tatsächlich jedoch waren hunderte Opel-Beschäftigte nach 15 Uhr vor die Werkshallen gezogen, um sich dort mit den Gewerkschafts-Funktionären zu beraten. Bis zum Abend hatten 1.500 Opel-Beschäftigte in Bochum die Arbeit niedergelegt (wie ein Streik auch zu umschreiben wäre). Transpartente waren offenbar schon vorbereitet worden und vereinzelt war auch lautstarker Unmut gegenüber der Gewerkschaft IG Metall zu hören: Die Gewerkschaftsbonzen hätten die Opel-Beschäftigten "verkauft".

"Wir gehen hier nicht weg, bevor nicht eine annehmbare Lösung auf dem Tisch liegt", "Wir sind am Drücker, wir sitzen am längeren Hebel", zitiert 'spiegel'-online Rufe aus den Reihen der Streikenden. Die Werkstore bei Opel Bochum wurden mit Gabelstaplern blockiert, um Lastwagen an der Anlieferung von Material zu hindern. Der Werksschutz kann dabei nur noch zusehen. Nach Aussagen von BetriebsrätInnen wurden Beschäftigte teilweise von Vorgesetzten bedroht und massiv zur Aufnahme der Arbeit gedrängt. Der Leiter der Personalkommission, Lothar Marquardt, machte am abend klar, daß der Streik auch in der Nacht weitergehen wird. Nach seiner Einschätzung wird die Arbeit in den Bochumer Opel-Werken auch am Freitag nicht wieder aufgenommen.

Tatsächlich führte die Nachtschicht den Streik fort und die vor dem Werktor versammelte Frühschicht beschloß heute, Freitag, gegen 6 Uhr, weiter zu streiken. Verbindungen zu anderen Opel-Werken in Europa werden aufgebaut, um den Streik europaweit auszudehnen. Denn nur mit spürbaren Einbußen kann der Konzern vom Kurs abgebracht werden.

Von den insgesamt 10.000 Arbeitsplätzen, die bei Opel in Deutschland wegfallen sollen, soll das Stammwerk in Rüsselsheim mit 4.000 Stellen betroffen sein. Nach Angaben des Betriebsratsvorsitzenden Dietmar Hahn sehen die Pläne von 'General Motors' vor, auch in Bochum 4.000 Arbeitsplätze zu streichen (davon bereits 2005: 3.100). 450 Arbeitsplätze sollen laut einem Bericht des SWR in Kaiserslautern vernichtet werden.

Wie immer versuchen die Gewerkschaften mit "Flexibilität", das heißt wachsweich auf diese Kampfansage von oben zu reagieren. Das vorgebliche Ziel, "jeden Arbeitsplatz zu erhalten", wird damit - kaum ausgesprochen - sogleich als illusionär wieder abgeräumt. So ist es auch nicht verwunderlich, wenn beispielsweise der Bochumer Betriebsratsvorsitzende Hahn argumentiert, er halte intelligente Lösungen durch mehr Flexibilität für möglich, die den Arbeitsplatzabbau "weitgehend verhindern" könnten.

Diesen bekannten Argumentationsmustern hatte der Chef von 'General Motors' in Europa, Fritz Henderson schon vorab in Interviews knallharte Positionen entgegengesetzt. Das Europa-Geschäft sei defizitär und deshalb müsse die deutsche Tochter die Hauptlast tragen. Seit 1999 mache der europäische Zweig von 'General Motors' nur Verluste. "Wir haben eine klare Vorstellung von dem, was in jedem Werk geschehen muß", erklärte Henderson. Zunächst werde mit den Betriebsräten geredet. Sein Stellvertreter Carl-Peter Forster, der bis Juni Opel-Chef war und danach in die GM-Europazentrale nach Zürich wechselte, stößt ins gleiche Horn: Die Opel-Werke in Bochum und Rüsselsheim sowie das Saab-Werk im schwedischen Trollhättan produzierten nicht zu wettbewerbsfähigen Kosten. Sollte das Kostenproblem nicht in den Griff zu bekommen sein, dann sei die Zukunft von Bochum sehr düster, drohte Forster.

Obwohl hier also vollendete Tatsachen präsentiert werden, beschwört der IG-Metall-Bevollmächtigte Ludger Hinse die "Verhandlungsbereitschaft" der Gewerkschaften. Die Entscheidungen für den Arbeitsplatzabbau seien nicht in Europa gefallen, meint er. In der nächsten Woche sei deshalb ein "europäischer Organisationstag" in allen europäischen Standorten des Mutterkonzerns 'General Motors' geplant - auch er vermeidet das Wort Streik. "Wir brauchen einen Zukunftsvertrag für Europa, für Deutschland. Wir brauchen europäische Perspektiven, damit wir uns nicht von den USA vorführen lassen." Ob er damit die europäischen Manager von 'General Motors' als Fürbitter bei der US-amerikanischen Konzern-Leitung gewinnen will, sagt er nicht.

Auch von Clement ist nichts neues zu hören: "Opel ist weder ohne Rüsselsheim noch ohne Bochum vorstellbar." Das klingt gut und ist zugleich unverbindlich. "Es sei zwar unbestritten, daß die Wettbewerbsfähigkeit von Opel verbessert werden muß; notwendig ist aber auch, die Opel-Standorte in Deutschland dauerhaft zu sichern," erklärt Clement. Daß sie jedoch mit einer weiteren Drehung an der Abwärtsspirale gesichert werden könnten, glauben inzwischen immer weniger Beschäftigte. Und auch der hessische Ministerpräsident Roland Koch spuckt große Töne. Er fordert von 'General Motors' eine Bestandsgarantie für das Werk Rüsselsheim. Er will morgen in Frankfurt mit Clement zu einem Krisengespräch zusammenkommen.

Daß mit dem seit Jahren immer und immer wieder eingesetzten "Flexibilisierungs-Konzept" nichts gewonnen wurde und die Talfahrt mit Arbeitsplatzabbau und Reallohneinbußen nur umso schneller weiter ging, schien kaum Gewerkschaftsfunktionäre - je höher desto weniger - zu beirren. Gegen alle gewerkschaftlichen Vorschläge stellte 'General Motors' zudem seit Wochen ein demonstratives Desinteresse zur Schau. Alle Versuche, alternative Lösungen einzubringen oder die Sorgen der Belegschaft an den bedrohten Standorten zu Gehör zu bringen, stießen auf taube Ohren.

Den Beschäftigen bei Opel ist mittlerweile klar, daß Warnstreiks, Demonstrationen, und andere Protestformen ohne ökonomischen Druck, längst keine Wirkung - auch auf die Politik - mehr entfalten. Entscheidend wird daher sein, ob der Streik schnell wieder zusammenbricht oder - notfalls auch ohne gewerkschaftliche Unterstützung - aufrecht erhalten werden kann. Kann er europaweit ausgeweitet werden, haben die Beschäftigten tatsächlich einen Hebel in der Hand. Denn gerade 'General Motors' hat sich durch eine weit entwickelte Vernetzung und Vereinheitlichung der Werke in Europa zugleich sehr angreifbar gemacht. Bochum beispielsweise liefert die Achsen für alle europäischen 'GM'-Produktionsstätten. Ein längerer Streik käme 'GM' so nicht nur in Deutschland teuer zu stehen. Nach drei Tagen wären auch andere Werke von Lieferengpässen betroffen.

Von den Betriebsräten ist dabei nicht viel zu erwarten: Sie haben gar nicht das Recht, einen Streik zu leiten. Außerhalb von Tarifverhandlungen gilt die "Friedenspflicht". So bleibt den Belegschaften kaum eine andere Wahl, als einen europaweiten Streik selbständig zu organisieren.

"Wir werden in ganz Europa gegen die Macht aus Detroit antreten," erklärte Gesamtbetriebsrat Klaus Franz. Von Streik wollte allerdings auch er nicht reden. Formaljuristisch handelt es sich um einen wilden Streik, da er nicht nach "Friedenspflicht" und Urabstimmung im Rahmen von Tarifauseinandersetzungen beschlossen wurde. Die Frage, ob die Ankündigung von 'General Motors' nicht bereits eine Aufkündigung des "sozialen Friedens" in Deutschland darstellen, haben sich in der Gewerkschaftshierarchie offenbar erst wenige gestellt. Auch gestern versuchten Gewerkschaftsfunktionäre die Streikwilligen auf einen "Aktionstag" am Dienstag kommender Woche zu vertrösten.

Zumindest an der Basis jedoch scheinen die Opel-Beschäftigten von ihren KollegInnen bei DaimlerChrysler gelernt zu haben: Nur der Druck eines hart geführten Streiks wird an den Spitzen der Konzerne als Argument verstanden. Und wie bereits vielfältige Solidaritäts-Adressen aus anderen Betrieben (MAN Oberhausen, Opel Eisenach, Thyssen-Krupp, Deutsche Steinkohle) gezeigt haben, steht ein großer Teil der Bevölkerung auf ihrer Seite. Dies zeigt sich auch darin, daß es die Bundesregierung bisher nicht wagte, gegen den Streik zu sprechen. Im Fernsehen richtete Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement dagegen scharfe Worte ans Management. Dies kann sich jedoch erfahrungsgemäß schnell ändern. Und in den Schubladen liegen sicherlich schon die Erklärungen bereit, daß wenige "Rädelsführer" den Streik für ihre extremen politischen Ziele zu vereinnahmen suchen und daher eine Fortsetzung des Streiks den Beschäftigten nur schade...

 

Klaus Schramm

 

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