17.01.2007

Interview

Weltmacht Europa
auf dem Weg
in weltweite Kriege

Klaus Schramm sprach mit Tobias Plüger, Abgeordneter im Europa-Parlament und Co-Autor des Buchs »Weltmacht Europa auf dem Weg in weltweite Kriege«

In der öffentlichen Debatte über Europa und eine EU-Verfassung wird immer wieder darauf abgehoben, daß dem europäischen Einigungsprozeß eine über 60-jährige Friedensperiode zu verdanken sei. Sind Sie ein Gegner der europäischen Verständigung oder gibt es eine wenig beachtete Kehrseite der Medaille?

Ich bin sehr entschieden für eine europäische Einigung. Allerdings kommt es darauf an, wie diese stattfindet. Der EU-Verfassungsvertrag schreibt eine bestimmte Form der europäischen Einigung fest. Dies halte ich für problematisch. Die politische Ausrichtung des vorgelegten Vertrages ist neoliberal und militaristisch. So schreibt der Vertragstext beispielsweise vor, daß die Mitgliedsstaaten verpflichtet werden, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern. Außerdem gibt es eine Reihe von Regelungen, die den Aufbau von EU-Militärstrukturen hin zu einer europäischen Interventionsarmee zum Ziel haben.

In der Berichterstattung über den am 19. Dezember letzten Jahres gestarteten europäischen Aufklärungs-Satelliten vom Typ SAR-Lupe wurden erstmals auch kritische Stimmen gewürdigt. Unter anderem wurde das von Ihnen mitbegründete IMI-Institut in Tübingen genannt. IMI habe bereits seit Jahren vor Entwicklungen gewarnt, die auf eine Kriegsführungsfähigkeit der EU zielten. Welche Rolle spielt dabei ein Aufklärungs-Satellit?

Ginge es nach der EU-Kommission, dann soll die Europäische Union eine führende Macht des 21. Jahrhunderts sein. Dabei spielt das System SAR-Lupe eine bedeutende Rolle. Es verschafft nicht nur der Bundeswehrführung die Fähigkeit zur weltweiten Spionage, sondern darüber hinaus haben die deutsche und die französische Regierung fest vereinbart, ihre nationalen militärischen Systeme SAR-Lupe und Helios 2 (Frankreich) zu einem unabhängigen EU-Aufklärungsverbund zusammen zu führen. Die Europäische Union verfügt bereits über ein eigenes Satellitenzentrum zur Auswertung von Aufklärungsdaten. Das ist ein wichtiger Baustein für den Ausbau der EU zur Militärmacht.

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen diesen von Ihnen kritisierten Bestrebungen und der sich verschärfenden globalen Konkurrenz um Rohstoffe und Energieträger?

Dieser Zusammenhang ist eindeutig gegeben und wird von den Verantwortlichen offen ausgesprochen. Ich will dies am Beispiel des EU-Militäreinsatzes im Kongo deutlich machen: Der deutsche Militärminister Franz-Josef Jung sagt ganz deutlich, warum deutsche Truppen unter EU-Flagge in den Kongo entsandt werden sollen: "Stabilität in der rohstoffreichen Region nützt auch der deutschen Wirtschaft." Das Weißbuch der Bundeswehr geht genau in diese Richtung. Auf EU-Ebene geht die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) in dieselbe Richtung.

Wie beurteilen Sie im Rückblick den Einsatz einer EU-Truppe mit deutscher Beteiligung im Kongo? Laut offizieller Darstellung ist alles glimpflich abgelaufen. Sie sprachen Anfang 2006 von einem "Testfall"?

Der EU-Einsatz erfolgte zugunsten des Präsidentschaftskandidaten Josef Kabila. Bereits am 21. August 2006, dem Tag nach der Veröffentlichung der Ergebnisse des Ersten Wahlgangs in der Demokratischen Republik Kongo, kamen die Soldaten der EUFOR das erste Mal in einer Gefechtssituation zum Einsatz, nachdem Truppen Kabilas mit schwerem Gerät Bembas Residenz angriffen, in der sich gerade verschiedene Botschafter und der Chef der UN-Truppe MONUC aufhielten. Nach einem mehr als sechsstündigen Gefecht gelang es den EUFOR-Soldaten mit Hilfe der MONUC die Botschafter zu evakuieren. Die Gefechte zwischen den Anhängern Kabilas und Bembas dauerten bis zum folgenden Tag an und forderten mindestens 23 - auch zivile - Todesopfer und 43 Verletzte. Das ist für mich symptomatisch.

Bundeskanzlerin Angela Merkel setzt sich vehement dafür ein, die EU-Verfassung voranzutreiben. Welche Chancen und Risiken sehen Sie in der EU-Ratspräsidentschaft der deutschen Kanzlerin?

Zentrales Projekt deutschen EU-Ratspräsidenschaft ist es, den EU-Verfassungsvertrag durchzusetzen. Auch und gerade wegen des Fortschritts, den er für die EU-Militarisierung bedeutet. Allein im Bereich der Finanzierung von EU-Militäreinsätzen. Der bisher gültige Nizza-Vertrag verbietet einen eigenständigen EU-Militärhaushalt. Das würde mit dem vorgelegten Verfassungsvertrag anders.

Merkel hat in letzter Zeit sehr hoch gepokert, als sie angekündigt hat, daß sie die EU aus der Verfassungskrise heraus führen werde. Ob der EU-Verfassungsvertrag kommt oder nicht, entscheidet sich im nächsten halben Jahr. Die sozialen Bewegungen haben es in der Hand, den vorliegenden Entwurf zu verhindern.

Der CDU-Europaabgeordnete Karl von Wogau legte jüngst einen Bericht zum Thema europäische Außen- und Sicherheitspolitik vor, der vom Auswärtigen Ausschuß des Europäischen Parlaments mehrheitlich angenommen wurde. Sie bezeichneten diesen Bericht als "zentrales Dokument der fortschreitenden Militarisierung der EU". Was veranlaßt Sie zu dieser Einschätzung?

Wenn man sich den Bericht des konservativen Kollegen von Wogau anschaut, wird deutlich, daß damit eine EU-Militärunion für globale Kriegsführungsfähigkeit anvisiert wird. Sowohl einer militärischen Grenzüberwachung wie auch einem militärisch abgesicherten Ressourcenzugang wird das Wort geredet. Zusätzlich soll die EU eine strategische Partnerschaft - insbesondere bei Auslandseinsätzen - mit der NATO aufbauen. Der Bericht beinhaltet einen Forderungskatalog für Rüstungsbeschaffungen, der sich wie eine Einkaufsliste der Rüstungslobby liest.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

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Hinweis:
Viele weiterführende Texte sind auf der web site der 'Informationsstelle Militarisierung', IMI, zu finden:
www.imi-online.de

 

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