"Unsre Herrn, wer sie auch seien,
sehen unsre Zwietracht gern,
denn solang sie uns entzweien,
bleiben sie doch unsre Herrn"
Bertold Brecht
Beim aktuellen Konflikt um die entwendeten Daten von deutschen
Steuerhinterziehern in der Schweiz, schaffen es die reichen
Steuerflüchtlinge und ihre Lobbyisten wieder einmal, die Menschen
grenzüberschreitend gegeneinander auszuspielen. Das Wort "ausspielen" ist
zu schwach, die Menschen werden von den gut organisierten Lobbyisten in
der Schweiz aufgehetzt. Und auch auf der deutschen Seite gibt es genug
Idioten, die dieses böse, nationale Spiel mitspielen. In anderen Teilen
der Welt haben so Kriege begonnen...
"Es ist der Schweizer Banken-Oligarchie gelungen, das Land bis weit in
die Politik hinein zu kolonialisieren. Dass sich nun so viele Menschen in
die Abwehrfront gegen die ausländische Kritik einbauen lassen, ist
unglaublich. Die ganze Schweiz übt sich in Loyalität im Verhältnis zu den
Banken. Das ist ein Feudalverhalten. Es ist der Finanzindustrie gelungen,
aus privaten Steuerbetrugsfällen einen interstaatlichen Konflikt zu
machen."
Jean Ziegler
Ich bin Badener, Regionalist und Europäer
Auf den besetzten AKW-Bauplätzen in Wyhl (D), Kaiseraugst (CH) und
Gerstheim (F) haben wir drei Jahrzehnte nach Kriegsende den europäischen
Traum vom grenzenlosen Europa geträumt und erkämpft. Wir haben die realen
und die inneren Grenzen und die alte, verlogene "Erbfeindschaft"
überwunden, Bauplätze und Brücken besetzt, Gifteinleitungen in Rhein und
Luft abgestellt, für Leben und Zukunft gekämpft und gemeinsam viele
Gefahren am Oberrhein abgewehrt.
Einige der vielen Wurzeln Europas und der deutsch-französischen
Aussöhnung liegen in Marckolsheim und Wyhl. Hier haben wir die Vision vom
grenzenlosen Europa gesponnen, ausgedrückt im Lied von François Brumbt:
"Mir keije mol d Gränze über de Hüfe und danze drum erum". Als die
Schlagbäume zwischen Frankreich und Deutschland fielen hatten wir, wieder
einmal, eines unserer Ziele erreicht.
Seit dieser Zeit erlebe ich am Oberrhein immer wieder, wie geschickt,
gezielt und erfolgreich in ökologisch-ökonomischen Konflikten (Fessenheim,
Atommüll Schweiz, Autobahnausbau, Flugplatz Zürich, Daten von
Steuerflüchtlingen...) die Menschen gegeneinander ausgespielt werden,
während gleichzeitig das Hohelied der Regio und zukünftigen Metropolregion
gesungen wird.
Beispiele:
Bei der polizeilichen Räumung des besetzten Wyhler Platzes ließ
Ministerpräsident Filbinger gezielt nicht die vielen anwesenden
Kaiserstühler, sondern "Elsässer und Langhaarige" verhaften um zu
"beweisen", dass der Wyhl-Protest von "Ausländern und städtischen
Chaoten" gelenkt wird.
Beim Protest gegen den geplanten Giftmüllofen in Kehl empörten
sich deutsche CDU-Politiker über die "französische Einmischung".
Im Konflikt um den Fluglärm am Hochrhein schwingen immer wieder
erschreckende nationale Untertöne mit, obwohl doch die Menschen auf
beiden Rheinseiten unter dem Fluglärm leiden.
"Das ist unser Atom" hört man immer wieder aus konservativen
Kreisen der Schweiz, wenn Menschen von beiden Rheinseiten die
grenzüberschreitenden Gefahren des "Atomklos Hochrhein" aufzeigen.
Vor der friedlichen und großen Fessenheim-Kundgebung mit circa 10.000
TeilnehmerInnen in Colmar, am 3. Oktober 2009, hatten der
Oberbürgermeister von Colmar Gilbert MEYER und der Präfekt
Pierre-André PEYVEL vor den "deutschen Randalierern" gewarnt, um die
Menschen im Interesse der EDF grenzüberschreitend gegeneinander
auszuspielen und um möglichst viele Aktive von einer Teilnahme
abzuschrecken.
Nach der erfolgreichen, friedlichen und machtvollen Kundgebung,
mit circa 80 Prozent französischen AktivistInnen, sprach Präfekt
Pierre-André PEYVEL von einer "deutschen Invasion" (Quelle: 'Der
Sonntag', 4.10.09) um so gezielt böse Assoziationen und Erinnerungen zu
wecken.
Immer noch werden die problematischsten und gefährlichsten Anlagen
gerne an die Grenze gebaut, um nationale Vorteile zu genießen und
Risiken international zu verteilen. Aktuell zum Beispiel beim
geplanten Atommülllager in Benken (CH), bei den AKW-Neubauplänen in
Beznau (CH) oder bei der (gerade erfolgreich verhinderten)
umweltbelastenden Schredderanlage in Nambsheim (F).
Wir haben im Dreyeckland am Oberrhein die Realisierung Europas mit
erkämpft. Wenn Flüsse und Luft sauberer geworden und die Grenzen nach
Frankreich gefallen sind, dann ist das mit ein Erfolg der
grenzüberschreitenden Umweltbewegung.
Und dennoch: Immer wieder überlagern alte und neue, geschickt
geschürte (noch kleine) Nationalismen und traurige Feindbilder auf
beiden Rheinseiten die Europa-, Regio- und Dreyeckland-Mythen und diese
Feindbilder werden aus ökonomischen Gründen gezielt aufgebaut.
Erschreckend ist nicht, daß Konzerne und Lobbyisten versuchen, uns
gegeneinander auszuspielen. Erschreckend ist, daß die "nationale Karte"
immer noch häufig sticht.
In diesen Konflikten und in der Art, wie sie manchmal ausgetragen
werden, scheitert immer auch ein kleines regionales Stück Europa.
Um so wichtiger ist unser Europa von unten, abseits aller europäischer
Fördertöpfe und Interreg-Gelder. In Benken, Fessenheim und überall wo wir
uns grenzüberschreitend für Mensch, Natur, Umwelt, Zukunft, Nachhaltigkeit,
soziale Gerechtigkeit und Freiheit engagieren. So wie jetzt gerade wieder
bei der schönen, wichtigen, internationalen Anti-Atom-Kundgebung in
Colmar.
Gastbeitrag von
Axel Mayer
für
REGENBOGEN NACHRICHTEN