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SprecherInnen-Rat

Herrschaftsarme und effektive Selbstorganisation:
Bezugsgruppen, Konsensprinzip & SprecherInnen-Rat


Drei wichtige Elemente einer möglichst herrschafts- und gewaltarmen Selbstorganisation sind die Bezugsgruppenstruktur, das Konsensprinzip und der SprecherInnen-Rat. Sie erfordern einen großen Teil an verantwortungsbewußtem Umgehen miteinander, und zum Teil müssen sie auch ein bißchen eingeübt werden. Aber das sollte euch nicht davon abhalten, sie auch anzuwenden. Denn ihr werdet merken, daß es sich lohnt!

Die im Folgenden aufgeführten Strukturen haben sich als effektiv erwiesen, können und sollen aber je nach Bedarf auch variiert werden.

Bezugsgruppen

Eine Bezugsgruppe ist eine Gruppe von idealerweise 9-15 Menschen. Bei dieser Gruppengröße bleibt allen Beteiligten genug Zeit zum Reden, und trotzdem wird die Zeit für Entscheidungen noch nicht zu lang. Während einer Aktion sollte sich die Bezugsgruppe in (Klein-)Gruppen von 4-5 Menschen unterteilen, um einen besseren Überblick behalten und gut aufeinander achtgeben zu können. Außerdem passen nur 5 Menschen in ein Auto, was auch manchmal wichtig sein kann.

Die einmal gewählte Zusammensetzung sollte möglichst bestehen bleiben. Ständiger Wechsel kann sehr anstrengend sein, da das Ziel ist, eine solche Vertrauensbasis aufzubauen, die die gemeinsame Teilnahme an Aktionen ermöglichst.

Bezugsgruppen haben hauptsächlich zwei Funktionen:

  • zum einen ermöglichen sie während einer Demo, Aktion oder ähnlichem den bestmöglichen Schutz für die Einzelnen,

  • zum anderen läßt sich über das SprecherInnen-Rat-System mit Hilfe der Bezugsgruppe eine möglichst viele, im Idealfall alle, Menschen mit einbeziehende Entscheidungsstruktur aufbauen.

Zur eigenen Sicherheit

Bezugsgruppen bilden sich in der Regel aus Leuten, die sich schon länger kennen. Je eher, desto besser- und am allerbesten schon in Ruhe zu Hause. Wenn sich Menschen zu einer Bezugsgruppe zusammenfinden, die sich noch fremd sind, ist es wichtig, sich als erstes über Ängste, Hoffnungen und Erfahrungen auszutauschen. Wichtig ist, daß ihr möglichst viel voneinander wißt, auch den vollständigen Namen und die Melde(!)adresse. Wenn extreme Situationen im Gespräch durchgespielt werden, entsteht ein gutes Grundgefühl, das ihr für das Meistern von Stresssituationen auch braucht. Natürlich weiß niemand vorher genau, wie er oder sie reagieren wird, aber die Auseinandersetzung mit dem, was kommen könnte, hilft, ein Gefühl für die eigenen Grenzen und die der anderen zu bekommen. So wird auch eine Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen in der Bezugsgruppe möglich. Hierbei ist entscheidend, daß es euch gelingt, eine Atmosphäre aufzubauen, die es der/dem Einzelnen ermöglicht, „nein!“ zu sagen, wenn persönliche Grenzen überschritten werden. Priorität hat immer und in jeder Situation die Person, die nicht mehr weiter will. Menschen, die sehr weit auseinandergehende Vorstellungen von ihrem Vorgehen bei Aktionen oder Demos haben, sollten das frühzeitig erkennen und versuchen, andere Bezugsgruppen zu finden, die ihnen besser entsprechen.

Wichtigster Grundsatz ist: die Bezugsgruppe bleibt immer zusammen! So albern es vielleicht klingen mag, es ist immer wichtig, sich bei der (Klein-)Gruppe abzumelden, auch wenn ihr „nur mal eben kurz gucken“ wollt. In einer großen Menschenmenge sind Einzelpersonen ganz schnell verschluckt und eure Bezugsgruppe wird euch vermissen.

Denn: Bezugsgruppen sollen immer aufeinander achtgeben. Dazu gehört, sich zu kümmern, wenn jemand verletzt ist oder wenn es jemandem psychisch schlecht geht. Und dazu gehört auch, den- oder diejenige zu suchen, der/die plötzlich nicht mehr da ist. Wenn jemand in Polizeigewahrsam landet, ist es Aufgabe der Bezugsgruppe, den Ermittlungsausschuss zu informieren, herauszufinden wo die vermißte Person hingekommen ist und den Rücktransport sowie die nötigen Streicheleinheiten und Kekse für danach zu organisieren.

Die Bezugsgruppe sollte auch über die Aktion hinaus bestehen bleiben; etwa um das Erlebte noch mal durchzusprechen und zu verarbeiten oder um eventuelle rechtliche Folgen gemeinsam zu tragen.

Die Bezugsgruppe sollte sich einen Namen ausdenken, der gut laut gerufen werden kann. Als praktikabel haben sich zweisilbige Wörter wie z.B. „Erna“ erwiesen. „Rote Laterne“ ist in einer hektischen Situation zu lang.

Zum Aufbau einer Entscheidungsstruktur

In der Bezugsgruppe finden die Diskussionen nach dem Konsensprinzip (s. nächster Block) statt, und hier werden die Entscheidungen getroffen, die später in den SprecherInnen-Rat (s. übernächster Block) getragen werden. Dies geschieht über jeweils eineN SprecherIn, deren/ dessen Aufgabe es ist, die Anträge und Bedürfnisse der eigenen Bezugsgruppe (nicht die persönlichen Vorstellungen!) in den SprecherInnenrat und dort entstandene Konsensentscheidungen wieder zurück in die Gruppe zu tragen.

Konsensprinzip

Mit Hilfe des Konsensverfahrens sollen basisdemokratische Entscheidungen getroffen werden. Das heißt nicht, daß alle am Ende des Diskussionsprozesses die gleiche Meinung haben, aber es heißt, daß alle gemeinsam nach einer solchen Lösung des Problem suchen, die letztendlich von allen Beteiligten mitgetragen werden kann.

Das Konsensprinzip soll möglichst überall dort angewandt werden, wo eine Gruppe zusammensitzt und gemeinsame Entscheidungen zu treffen hat.

Der rote Faden im Prozeß ist die Suche nach den Gemeinsamkeiten der verschiedenen Standpunkte und die Wahrnehmung und Berücksichtigung von Bedenken aller Beteiligten.

Als sinnvoll hat sich die folgende schematische Vorgehensweise in acht Punkten herausgestellt, die aber je nach Bedürfnissen oder zur Verfügung stehender Zeit entsprechend variiert werden kann.


1. Möglichst umfassende und deutliche Erklärung des Problems. Ziel soll es sein, alle Beteiligten auf den gleichen Informationsstand zu bringen.

2. Entscheidungsfrage formulieren. Diese Frage muß klar und verständlich formuliert sein, denn unklare Fragestellungen führen zu unklaren Lösungen.

3. Runde mit Meinungsäußerungen zum Thema, in der Jede und Jeder seine und ihre Meinung zum Thema kundtut. An dieser Stelle gibt es keine Diskussionen, sondern nur Verständnisfragen. Dabei können sich alle der „Zeit-Daumen-Regel“ bedienen: die eigene Redezeit multipliziert mit der Anzahl der Beteiligten ergibt die Zeitdauer der Runde.

4. Gedankensturm. Jetzt werden verschiedene Lösungsvorschläge gesammelt, die auch wieder möglichst noch nicht bewertet werden sollen.

5. Erst an dieser Stelle sollen die gesammelten Vorschläge diskutiert und auf ihre Vor- und Nachteile hin überprüft werden.

6. Konsensvorschlag herausarbeiten, d.h., die Lösungsidee aus der vorangegangenen Diskussion wird so zusammengefaßt, daß alle Bedürfnisse berücksichtigt sind. Auch die Bedenken der Minderheiten sollten noch einmal genannt werden.

7. Entscheiden. Jetzt äußert sich jede Person mit einer persönlichen Bewertung zu dem Vorschlag mit Hilfe der unten erklärten Konsensstufen. Wenn es einen Konsens gibt, dann weiter mit Punkt 8, wenn nicht, dann wieder zurück zu Punkt 4.

8. Der Konsens wird umgesetzt. An dieser Stelle wird das Ergebnis nochmal ganz genau genannt und es wird nach Einwänden gefragt.


Da eine völlige Übereinstimmung in einer Diskussion selten erreicht wird, gibt es im Konsensverfahren verschiedene Stufen der Zustimmung oder Ablehnung eines Vorschlages.

  • Konsens: „Ich stimme dem Lösungsvorschlag voll zu.“

  • Konsens mit Einschränkungen: „Ich habe (starke) Bedenken, kann dem Lösungsvorschlag aber zustimmen.“ Danach wird die Lösung zwar nicht als optimal empfunden, kann aber mitgetragen werden, bevor Handlungsunfähigkeit riskiert wird.

  • Beiseitestehen: „Ich trage die Entscheidung nicht mit, möchte sie aber auch nicht blockieren.“

  • Veto: „Die Entscheidung widerspricht meinen Grund- überzeugungen, sie darf von der Gruppe nicht ausgeführt werden.“ Es ist kein Konsens erzielt worden, daher kann keine Entscheidung getroffen werden und die Gruppe ist blockiert. Mit einem Veto sollte sehr verantwortlich umgegangen werden, denn damit übt eine einzelne Person eine große Macht über die Gruppe aus. Bevor ein Veto eingelegt wird, sollte überprüft werden, ob nicht ein Beiseitestehen ausreichend wäre.

Wichtig ist während des gesamten Ablaufs, daß es eine Person gibt, die darauf achtet, daß das Thema nicht aus den Augen verloren wird, daß sich alle äußern können und daß der Zeitrahmen eingehalten wird. Abschließend faßt sie die Diskussion zusammen und formuliert den Lösungsvorschlag.

SprecherInnen-Rat

Der SprecherInnen-Rat setzt sich aus den SprecherInnen aller Bezugsgruppen zusammen. Er dient außer dem Informations- und Meinungsaustausch zwischen den Bezugsgruppen auch der Entscheidungsfindung nach dem Konsensprinzip. Auf keinen Fall aber werden von ihm Entscheidungen getroffen, die nicht vorher in den Bezugsgruppen diskutiert wurden.

Wie schon beschrieben, bringen die SprecherInnen der Bezugsgruppe die Anträge, Überlegungen und Bedürfnisse der eigenen Gruppe in den SprecherInnen-Rat ein und hören sich dort die Bemerkungen der anderen Bezugsgruppen an. Diese Informationen oder entstandene Fragestellungen, Konsens- vorschläge etc. werden in die Bezugsgruppen zurückgetragen. Die Bezugsgruppen beginnen ihre Diskussion erneut und geben ihre Entscheidung über ihre SprecherInnen wieder in den SprecherInnenrat zurück. So kann nach einem, oft mehrfachen, Hin und Her im SprecherInnen-Rat eine Konsensentscheidung gefunden werden.

Literatur

  • Miriam Breckoff, Frauke Banse, Felix Kolb (Hrsg.): Stopp Castor! Stopp Atom! Aktionsbroschüre gegen Atommülltransporte. Verden 1997. Zu beziehen über Tolstefanz, Wendländisches Verlagsprojekt, 29439 Jeetzel 41. Preis: 5 DM

  • Umweltwerkstatt Verden (Hrsg.): Konsens- Anleitung zur herrschaftsfreien Entscheidungsfindung. Verden. Zu beziehen über Umweltwerkstatt Verden, Herrlichkeit 1, 27283 Verden. Preis: 7 DM


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