2.05.2003

Brief von Dr. Wolfgang Sternstein

Es ist wieder mal soweit

Am 7. Mai werde ich eine sechswöchige Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt Rottenburg, Schloß 1, 72101 Rottenburg, antreten. "Sollten Sie sich nicht rechtzeitig zum Strafantritt einfinden, muß gegen Sie Haftbefehl erlassen werden", heißt es in der "Ladung zum Antritt der Freiheitsstrafe".

Na also. Es ist meine "Achte". Mit den sieben anderen summiert sie sich auf ein Jahr und sechs Wochen. Meine Mitstreiterin Erika Drees, die dasselbe Schicksal ereilt (Dr. Erika Drees, JVA Halle, Am Kirchtor 20, 06108 Halle) und ich haben zwar angeregt, den Strafvollzug auszusetzen bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über unsere Verfassungsbeschwerde, doch damit ist nicht zu rechnen.

Zur Erinnerung: Am 7. August 1999 haben Irene Breiter, Erika Drees, Martin Otto, Ilse Staude, Markus Walz und ich eine Entzäunungs-Aktion am Fliegerhorst Büchel (Südeifel) durchgeführt. In Büchel proben deutsche Tornado-Piloten mit amerikanischen Atombomben den Atomkrieg, was unserer Ansicht nach verfassungs- und völkerrechtswidrig ist. Amtsrichter Johann verurteilte Erika und mich dafür zu je einem Monat Gefängnis, zur Bewährung ausgesetzt auf zwei Jahre, und 60 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Die übrigen erhielten Geldstrafen. Dieses Urteil wurde von den Obergerichten bestätigt. Dagegen legten wir Verfassungsbeschwerde ein, die seit 2001 in Karlsruhe auf einer ziemlich langen Bank liegt. Das Gericht hat auf Anfrage mitgeteilt, es wolle noch in diesem Jahr über die Annahme entscheiden. (Bisher bin ich fälschlicherweise davon ausgegangen, es habe sie bereits angenommen. Das ist aber, wie ich jetzt erfahren habe, nicht der Fall.)

Um unserer Forderung nach Abzug der Atomwaffen in Büchel (10) und Ramstein (55) Nachdruck zu verleihen, haben wir mit Irene Breiter, Hanna Jaskolski, Ines Kleim, Uwe Korth, und Sabine Teubert sowie den Unterstützern Daniel Korth,Thomas Reuter und Lutz Sternstein am 7. Juni 2002 eine weitere Entzäunungsaktion durchgeführt. Bei dem anschließenden Prozeß wurden Ines, Irene und Sabine zu 20 Tagessätzen Geldstrafe (Uwe hat den Strafbefehl von 30 Tagessätzen bezahlt), Hanna zu 4 Wochen und Erika und ich zu 6 Wochen Haft verurteilt.

Wir werden oft gefragt: "Warum macht Ihr das, Ihr wißt doch genau, daß Ihr keine Erfolgschance habt?" Ja, das wissen wir. Wir wissen aber auch, die Atombombe wirft einen düsteren Schatten über die Menschheit, die zum ersten Mal in ihrer langen Geschichte die Macht hat, sich selbst und alles höhere Leben auf der Erde auszulöschen. Sie wird es auch tun, wenn es nicht gelingt, diese furchtbaren Waffen abzuschaffen und völkerrechtlich zu ächten. Ich habe die Hoffnung, daß es gelingt, dieses Ziel zu erreichen, schon fast aufgegeben. Doch versuchen muß man es wenigstens. und manchmal geschieht ja auch ein Wunder, auch wenn ­ das räume ich ein ­ angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs derzeit nichts dafür spricht.

Vielleicht müssen wir uns damit zufriedengeben, was Dorothee Sölle im Hinblick auf den Kriegssteuerboykott sagte: "Die Wahrheitsfrage wird kaputtgemacht und die Erfolgsfrage ersetzt die Wahrheitsfrage... Es gibt Dinge, die mußt du tun um deiner eigenen Würde willen ... damit du überhaupt ein Mensch bleibst."

Und doch, die Hoffnung auf einen (bescheidenen) Erfolg will nicht sterben. Deshalb hoffe ich noch immer darauf, daß die Verfassungsbeschwerde von Erika und mir vom Bundesverfassungsgericht angenommen wird und zu einer Revision der unseligen Rechtsprechung des Gerichts zu Atomwaffen in den achtziger Jahren führt.

Natürlich freut sich so ein Knacki immer über Post.

 

Dr. Wolfgang Sternstein

Justizvollzugsanstalt Rottenburg, Schloß 1, 72101 Rottenburg

 

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