30.11.2004

Artikel

Politischer Streik in Italien

Gegen Sozialabbau, aber ohne klare politische Richtung

"Selbstverständlich ist der Streik politisch", antwortete der Chef der italienischen Gewerkschaft CISL, Savino Pezzotta, auf entsprechende Vorwürfe. Der Streik richtet sich gegen den in Italien von der Berlusconi-Regierung ebenso brachial wie in Deutschland unter "Rot-Grün vorangetriebenen Sozialabbau. "Die Regierung hat den Dialog ausgeschlagen, jetzt beginnt eine neue Phase der politischen Auseinandersetzung." Es ist der inzwischen fünfte Generalstreik gegen die Berlusconi-Regierung. 80 Prozent der Beschäftigten folgten dem Aufruf der drei italienischen Gewerkschaften CISL, CGIL und UIL. Fast das gesamte Italien ist lahmgelegt.

Flugzeuge konnten nicht starten, Busse blieben in den Hallen, Züge in den Bahnhöfen. Geschäfte und Fabriken mußten eine Pause einlegen. Allerdings blieb der Streik auf vier Stunden begrenzt, so daß er der italienischen Regierung zwar einen kräftigen Schuß vor den Bug setzt, diese jedoch kaum zum Einlenken zwingen wird. Immerhin in fünf von 20 italienischen Regionen und im gesamten öffentlichen Dienst soll der Generalstreik den ganzen Tag durchgehalten werden.

In 70 Städten protestierten die Menschen trotz oft strömenden Regens. Laut Savino Pezotta ging die TeilnehmerInnenzahl in die Millionen. In Mailand fanden sich mehr als 100.000 Menschen zur größten Kundgebung des Landes ein. Anlaß des Generalstreiks war der am letzten Samstag vom Kabinett unter Berlusconi beratene Haushaltsentwurf, in dem der Wettlauf gegen die übrigen europäischen "Standorte" mit Steuersenkungen um 6,5 Milliarden Euro beschleunigt werden soll. "Die Regierung gibt wenigen viel und den meisten überhaupt nichts", erklärte CGIL-Chef Guglielmo Epifani während der Kundgebung in Mailand - "Sie ist isoliert!" In den Reden der verschiedenen Gewerkschaftsführer klang jedoch auch an, daß sie nach wie vor die Hoffnung hegen, sich bei der Regierung Gehör verschaffen zu können.

Tatsächlich kommen auch in Italien die 6,5 Milliarden Euro nicht von nichts. Dem steht wie in Deutschland teils durch direkten Sozialabbau teils durch Vergrößerung der Haushaltsschulden ein "nachhaltiger" Sozialabbau für zukünftige Generationen gegenüber. Etwa 300 Millionen Euro weniger werden die Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtungen im kommenden Jahr erhalten, in den Schulen sind es sogar 500 Millionen. Bei den sozialen Diensten wird ebenso gestrichen wie im Gesundheitswesen und beim Finanz-Ausgleich der in Italien traditionell sehr unterschiedlich entwickelten Regionen.

CISL-Chef Savino Pezzotta wählte zwar starke Worte, als er vor 50.000 Demo-TeilnehmerInnen in Venedig eine "neue Phase der politischen Auseinandersetzung" verkündete. Die Regierung habe den Dialog ausgeschlagen. Dennoch setzt auch er weiterhin auf traditionell sozialdemokratische Lösungsmuster, indem er Staat-Investitionen fordert.

Daß der Kampf gegen Sozialabbau auch in Italien noch keine klare anti-kapitalistische Ausrichtung entwickelt hat, zeigt sich darin, daß sich in Italien - ähnlich wie in Deutschland mit Lafontaine - ein abgehalfterter Alt-Politiker bei den Protesten profilieren kann. Romano Prodi, Ex-Präsident der EU-Kommission und Sozialdemokrat traditioneller Ausrichtung, wurde auf der Demo in Rom zum Teil enthusiastisch gefeiert. Prodi und Lafontaine scheint es nicht zu schaden, daß beide in Korruptions-Affairen verwickelt und für ihre napoleonisch- undemokratische Politik bekannt waren. Prodi will 2006 gegen Ministerpräsident Berlusconi antreten und wird dabei von einer "Großen Demokratischen Allianz" unterstützt, der neben dem Ulivo-Bündnis auch die Rifondazione Comunista und die traditonell sozialdemokratisch-orientierte "K"PI beigetreten sind.

 

Harry Weber

 

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