31.01.2005

Kommentar

Weltsozialforum ohne Alternative
zum Kapitalismus

"Aktionen gegen Krieg und Freihandel" wurde auf dem diesjährigen WSF in Porto Alegre einmal mehr beraten. Soweit dies in den letzten Jahren zu tatsächliche Aktionen führte, hatten diese meist ausschließlich pädagogischen Charakter. Sie dienen dazu "Mißstände" anzuprangern, was ja durchaus positiv ist. Wenn es allerdings darum ging, Perspektiven für die "andere Welt", die möglich sei, aufzuzeigen, erschöpfte sich dies allemal darin, an die Herrschenden zu appellieren, doch bitteschön eine bessere Politik zu machen, Tobin-Steuer etc. pp.. Doch damit wird der emanzipative Charakter, der in der Kritik steckt unversehens verschenkt. Es wird die Illusion geweckt, die Damen und Herren, deren Hände von Blut triefen, könnten zur Umkehr bekehrt werden, schlimmer noch: Es wird der Verdummung Vorschub geleistet, es gäbe eine Alternative im Kapitalismus.

Wie bereits 2004 in Mumbai (Bombay) standen Diskussionen über die fortwährende US-Besatzung des Irak und der blutige Konflikt zwischen israelischer Regierung und Militär einerseits und terroristischen Palästinenser-Organisationen andererseits im Zentrum. Das WSF hat allmählich den Charakter eines mobilen Wallfahrtsort, wo sich hauptsächlich die "Betroffenen" aus den Industrienationen über den (miserablen) Zustand der Welt einmal jährlich entrüsten dürfen. Die Ähnlichkeit des weitläufigen Forumsgeländes und der Zeltstadt, die mehr als 100.000 TeilnehmerInnen beherbergte, mit einem Kirchentag, war nicht zu verkennen. Typisch für die seit Jahren wiederholten Allgemeinplätze war die Aussage von Medea Benjamin von Cod Pink, einem US-amerikanischen Frauen-Friedensnetzwerk: "Man kann nicht vom Aufbau einer anderen Welt sprechen, ohne den Krieg der USA und die Drohungen gegen den Iran, Kuba, Nordkorea und Venezuela anzuprangern." Ja, und?

Immerhin machten sich stellvertretend der portugiesische Literatur-Nobelpreisträger José Saramago, der uruguayische Autor Eduardo Galeano, der ehemalige UNESCO-Direktor Federico Mayor, der brasilianische Minister für besondere Aufgaben Luiz Dulci und der Herausgeber der internationalen Zeitung 'Le Monde diplomatique', Ignacio Ramonet, vor rund 3000 TeilnehmerInnen Gedanken um eine Perspektive. Saramago faselte etwas von "Notwendigkeiten", um so eine Scheinbegründung dafür zu liefern, daß "die Armen dieser Welt" nichts von Utopien hätten. Galeano stellte immerhin, wenn auch ein wenig mystisch die Eigentumsfrage ins Zentrum, indem er auf die Aufhebung von "Mein" und "Dein" in Thomas Morus' 'Utopia' verwies. Ramonet konnte sich so als "Praktiker" präsentieren, der die ollen attac-Kamellen in einem "Fünf-Punkte-Konsens" neu verpackt einmal mehr als den Stein der Weisen zur Verbesserung des Kapitalismus feilbot: Eine weltweite Steuer für die Bekämpfung des Hungers, Schließung der Steueroasen, Streichen der Schulden der Entwicklungsländer, sauberes Trinkwasser für alle und eine internationale Solidaritätssteuer auf die größten Vermögen. "Ramonet for global president!" wäre die konsequente Forderung, die "nur" noch die Frage nach dem geeigneten Sponsor offen läßt.

Obwohl Ramonet tosenden Applaus erntete, wagten einige antiimperialistische Linke zu fragen, warum unter den Ramonetschen Forderungen der "Kampf gegen den Krieg" fehlte. Aber das hat durchaus seine Logik: Ohne Krieg, also ohne Öl, fehlt dem heutigen Kapitalismus die Grundlage, ohne die er zusammen bräche und die lieben Forderungen somit nicht erfüllen könnte...

Schön war immerhin, zu sehen, daß sich die auf den Weltsozialforen lange Jahre gehegte Illusion über den "linken" Lula aus Brasilien endlich in Unwohlsein aufgelöst hat. Als auf der eben genannten Podiumsdiskussion der "Minister für besondere Aufgaben" Luiz Dulci versuchte, die Politik der Lula-Regierung zu verteidigen, erntete er durchweg Buhrufe und Pfiffe. Mit einer Analyse, warum nunmehr ein weiterer "Hoffnungsträger" abgeschrieben werden mußte und warum dies unvermeidlich war, mochte sich auf dem WSF aber kaum jemand befassen.

Wenn Hugo Chavez zum Abschluß des WSF großartig die "Revolution" beschwor, verweist er mit dieser dröhnenden Worthülse gerade auf die inhaltliche Perspektivlosigkeit, die in Porto Alegre herrschte.

 

Frank Bayer

 

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