20.09.2004

Nekrolog

Einer Zombie-Partei
zum 14-jährigen Jubiläum

Daß zum angeblich 25-jährigen Bestehen einer in Baden-Württemberg am 30. September 1979 gegründeten Partei ausgerechnet der damalige Ministerpräsident und "Cleverle" Lothar Späth deren "Kreativität" lobt, sagt eigentlich schon alles. Späth, der ähnlich wie sein Vorgänger, Hans Filbinger, sein Amt 1991 wegen einer Affaire aufgeben mußte, hatte noch 1980 ein Monatsgehalt verwettet. Er hatte gewettet, daß die im Jahr zuvor gegründeten baden-württembergischen Grünen bereits nach vier Jahren wieder verschwinden würden. Die Grünen überlebten immerhin knapp elf Jahre.

In der 'Badischen Zeitung' vom 20.09. ist zu lesen, die baden-württembergischen Grünen seien am 30. Juni 1979, in der 'Stuttgarter Zeitung' gar, der Landesverband sei 1980 gegründet worden. Diese Schludrigkeiten sind symptomatisch für ein Desinteresse sowohl der Massenmedien als auch einer Partei, die sich heute "Bündnis 90 / Die Grünen" nennt. Und dieses Desinteresse gilt nicht nur den Fakten, sondern erst recht den politischen Inhalten, die jene Partei einst vertrat.

"Rückwärtsgewandt" bezeichnet Wolf-Dieter Hasenclever, der im September vor 25 Jahren mit mir und einigen anderen zusammen die Grünen in Sindelfingen gegründet hat und deren erster Landesvorsitzender war, heute jene Partei, die sich nun anmaßt, ein 25-jähriges Jubiläum zu feiern. Und Petra Kelly erkannte 1990, kurz vor ihrem Tod: "Das ist genau der Weg zurück dahin, von wo wir uns 1979 mit Gründung der Grünen verabschiedet haben." Und: "Sie bieten zur Zeit ein verworrenes und kaputtes Bild. Im Augenblick fühle ich mich in der Rolle des Zuschauers, der sich über das atemberaubende Tempo wundert, mit dem die Grünen sich zu ihrem Nachteil verändern."

Die Grünen hatten sich einst vier Prädikate über ihr Parteiprogramm geschrieben, an denen sie zu messen seien: sozial, ökologisch, basisdemokratisch und gewaltfrei. Die Gewaltfreiheit wurde bereits vor 1990 aufgegeben. Um nochmals Petra Kelly zu zitieren: "Noch vor einigen Monaten hieß es bei den Grünen: Nato bedeutet Aufrüstung, und die Nato kann kein Friedensbündnis sein. Jetzt heißt es plötzlich überall, daß die Nato eigentlich gar nicht so schlimm ist, daß wir drinbleiben und sie von innen reformieren sollen. Das ist nicht mehr gewaltfreie grüne Politik!" So war es für politisch bewußte Menschen nicht mehr weiter verwunderlich, daß Opportunisten und Karrieristen, die unsere Partei in jenen Jahren an sich gerissen hatten, 1999 den Krieg in Jugoslawien und 2001 den Afghanistan-Krieg unterstützten.

Daß sich mit Joseph Fischer, Fritz Kuhn, Renate Künast, Jürgen Trittin oder Rezzo Schlauch eben jene Opportunisten und Karrieristen seit 14 Jahren an der Spitze von "Bündnis 90 / Die Grünen" halten können, beleuchtet ein wenig, wie streng diese Partei inzwischen hierarchisch durchstrukturiert ist. Wer ein wenig Einblick hat, weiß, daß entgegen allen diskussionsfreudig und lebendig inszenierten Parteitagen die Hierarchisierung strenger noch als bei SPD oder CDU die parteiinternen Karrieren prägt - von Basisdemokratie blieb nichts mehr übrig. Selbstkritisch möchte ich hier anmerken, daß der Versuch, Basisdemokratie in einer Organisationsform wie der einer Partei durch Satzungsvorschriften absichern zu wollen, von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Von Medien und Parteihierarchien wird eine unsichtbare Selektion ausgeübt: Die "Anpassungsfähigen" werden mit Aufmerksamkeit belohnt, die "Unbelehrbaren" mit Häme überzogen, diffamiert oder schlicht ignoriert. So ist gewährleistet, daß immer nur eine Auswahl der schwächsten und anfälligsten Menschen von der Basis der Parteien in den Hierarchien aufsteigt.

Am ehesten hat "Bündnis 90 / Die Grünen" sich noch den Nimbus erhalten können, ökologisches Gewissen, oder gar "ökologischer Motor" innerhalb der "rot-grünen" Bundesregierung zu sein. Mit einem gemessen an den realen Zahlen nur alibihaften Ausbau der regenerativen Energien überdeckt sie wirkungsvoll, daß der Atomausstieg auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wurde. Die in diesem Jahr drastisch gestiegenen Benzinpreise und der damit verbundene Rückgang des Autoverkehrs belegt deutlich, was mit einer Öko-Steuer, die diesen Namen auch verdient, tatsächlich hätte erreicht werden können. Seit sechs Jahren, seit dem Beginn der "rot-grünen" Regierung in Berlin, steigt der Flächenverbrauch und die Landschaftszerstörung weiter an. Entgegen offizieller Klima-Versprechen stieg der Kohlendioxid-Ausstoß in Deutschland seit 2000 wieder drei Jahre in Folge an. Selbst vom Aussterben bedrohte Arten wie beispielsweise die Rotbauchunke werden skrupellos den Interessen eines Energie-Multis geopfert, der die letzten Habitate dieser Amphibienart für den Braunkohleabbau in eine Mondlandschaft zu verwandeln beginnt. Näher betrachtet stellt sich der ökologische Anspruch in nahezu jedem Bereich als reine PR heraus - allein in dieser Hinsicht sind die "grünen" Führungskräfte als "Kreative" zu bezeichnen.

Völlig vergessen scheint dagegen zu sein, daß die Grünen einmal das Prädikat "sozial" für sich beanspruchten. Selbst konservative Grüne wie der Mitbegründer Herbert Gruhl teilten in den 80er Jahren den Grundkonsens, daß die bestehende Wirtschaftsordnung notwendig in die Katastrophe führen muß. Inzwischen sinkt die weltweite Erdölfördermenge und der Zenit des fossilen Zeitalters ist überschritten, ohne daß ernsthaft Vorsorge getroffen worden wäre. Bereits 1975 schrieb Herbert Gruhl: "Jede Periode enthält nach Hegels Wort schon den Keim zu ihrem Gegensatz in sich. Dieser Gegensatz ist längst nicht mehr der zwischen östlichem Kommunismus und westlichem Kapitalismus; denn beide sind am Ende. Sie werden beide durch ein neues Prinzip abgelöst werden - die Frage ist nur, ob dies unter dem Zwang der Naturgesetze (durch Katastrophen) geschieht oder aufgrund menschlicher Einsicht."

Gerade diejenigen unter den grüngetünchten Opportunisten, die noch vor dem Zusammenbruch des Ostblocks dem dortigen System ihre offene oder versteckte Sympathie entgegenbrachten, glauben nun an den endgültigen Sieg des alleine übriggebliebenen Systems und dienen sich dem globalisierten Kapitalismus umso rückhaltloser an. In nur drei Jahren wurden mehr als 80 Milliarden Euro an Steuereinnahmen verschenkt, um - so die Mär, an die sie selbst im Grunde nicht glauben - den Kapitalismus dazu anzuregen, doch endlich Arbeitsplätze zu schaffen. Auf der anderen Seite wird der schon unter Kohl begonnene Sozialabbau in einem Maße vorangetrieben, das in der bald 60-jährigen Geschichte der Bundesrepublik ohne Beispiel ist. Mit dieser neoliberalen Politik hat "Bündnis 90 / Die Grünen" inzwischen selbst einen Norbert Blüm rechts überholt.

Diese Partei ist beginnend mit ihrem Tod in einer zeitlich beschleunigten Rückwärtsbewegung inzwischen im Frühkapitalismus angelangt und kann mit Fug und Recht als Zombie-Partei bezeichnet werden.

 

Klaus Schramm

Mitbegründer der Grünen Freiburg
    (18. Juli 1979)
Mitbegründer der Grünen Baden-Württemberg
    (30. September 1979 in Sindelfingen)
Mitbegründer der Grünen Bundespartei
    (12. / 13. Januar 1980 in Karlsruhe)

 

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