16.05.1999

Liebe Freundinnen und Freunde,
Pazifisten, Umweltschützer !

 

Wir meinen, daß jetzt die Zeit reif ist, ein

Netzwerk für Pazifismus und Umweltschutz

zu gründen, um in der Öffentlichkeit eine erkennbare, lebendige Alternative zur immer tiefer verkommenden Partei der GRÜNEN aufzuzeigen. Bündnis 90 / DIE GRÜNEN haben nicht erst jetzt mit der Aufgabe des Pazifismus und der Gewaltfreiheit eine ihrer Grundlagen, eine ihrer Wurzeln amputiert. Auch in anderen Bereichen ihrer vor 20 Jahren gelegten Grundlagen ist ihre Glaubwürdigkeit bis weit in unpolitische Kreise sowie der Mehrheit derer, die sie noch letztes Jahr gewählt haben, auf Null gesunken:

Kaum jemand hat noch Hoffnung, daß die jetzige rot-grüne Regierung auch nur einen Schritt in Richtung Ausstieg aus der Atomkraft wagt oder daß mit dem zur Lächerlichkeit verkommenen Instrument der 'Ökosteuer' die Energiewende zu schaffen wäre.

Auf dem Gebiet der Menschenrechte erwiesen sich die GRÜNEN als Heuchler. In der Asylpolitik war nicht mal Ansatz einer Anstrengung erkennbar, etwas gegenüber der menschenverachtenden Politik der Kohl-Ära zu verändern ! Unter Otto Schily als Innenminister, Ex-Grüner und SPD-Mitglied, wurden noch 3 Wochen vor Kriegsbeginn Kosovo-Albaner mit der Begründung abgeschoben, "ein staatliches Programm zur Vertreibung aller Albaner aus dem Kosovo (sei) bis heute nirgends belegt" und die bis dahin "über tausend" Todesopfer und 300.000 Flüchtlinge rechtfertigten "nicht die Annahme einer unmittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung" !

Auf Ansätze, die GRÜNEN würden die bundesrepublikanische 'repräsentative Demokratie' mit basisdemokratischen Momenten beleben, hoffte wohl niemand mehr. Zu deutlich hatte sich diese Partei in den letzten 10 Jahren hierarchisch formiert und auch diese Wurzel radikal getilgt.

Doch wir sollten uns nicht zu lange mit der Bestandsaufnahme aufhalten und unseren Schwerpunkt darauf legen, lebendige Perspektiven zu entwickeln.
Zum einen ist es wichtig, ethische Grundlagen zu vereinbaren. Es hat sich gezeigt, daß die Beschränkung des 'grünen Projekts' auf das in konventionellem Sinne 'rein politische' bei gleichzeitigem Ausblenden der ethischen Ebene dazu beigetragen hat, daß sich Einstellungen wie "Der Zweck heiligt die Mittel" durchsetzen konnten. Ob wir uns dagegen auf den Grundsatz "Weg und Ziel bilden eine Einheit" einigen können, muß die Diskussion zeigen. Verwiesen sei hierzu als Diskussionsgrundlage auf den beigefügten Text von 1990.

Zum zweiten erscheint uns wichtig, einen weiteren Fehler zu vermeiden, der bei der Gründung der GRÜNEN begangen wurde: Bei der Entwicklung der Programmatik wurde ein viel zu starkes Gewicht auf Forderungen an den Staat gelegt. Es hat sich als illusionär herausgestellt, einen Staat, dessen Machtfundament die kapitalistische, (Sozial-)Markt-Wirtschaft ist, als Minderheit verändern zu können. Ein erfolgversprechendes Ziel könnte stattdessen der Aufbau einer basisdemokratischen, europaweiten Ordnung sein, die das Nationalstaatsgefüge, die nationalen Verfassungen von unter her aufbricht, statt auf eine von oben aufoktroyierte Euro-Supermacht zu hoffen, die wiederum nur Wirtschafts-Machtinteressen dienen wird. Auch diese These verspricht eine spannende Diskussion.

Unsere Absicht, ein basisdemokratisches Netzwerk zu schaffen - und nicht wieder eine Partei - , bedeutet nicht, die GRÜNEN zu schonen und ihnen keine Konkurrenz machen zu wollen. Unsere Perspektive ist vielmehr die Umorientierung von der historisch überlebten Vorherrschaft der parlamentarischen Demokratien hin zu einer Vernetzung dezentraler, politisch handelnder Gruppen. Die konkrete Ausgestaltung dieses Ziels einer neuen Form von Demokratie, die diesen Namen - vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte - auch verdienen würde, wäre unseres Erachtens eine lohnende Aufgabe.


(Christine Muscheler-Frohne)         (Klaus Schramm)

Dieser Einladung waren noch zwei Texte beigefügt:

- Gedanken zur Gründung einer 'Lebensgruppe' von 1990 (Klaus Schramm)

- Leserbrief:
     'Die wirklichen Gründe für den Krieg im Kosovo und eine pazifistische Alternative'
     von Klaus Schramm vom 27.04.1999
     an die Badische Zeitung (nicht veröffentlicht)

 

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