Versuch einer Standortbestimmung
zum Thema “Rassismus” bzw. Rechtsradikalismus in Deutschland
von Alexander Kauz
Mit diesem Diskussionsbeitrag erhebe ich keinen Anspruch auf soziologische oder politikwissenschaftliche Korrektheit. Er entspricht im wesentlichen
meinen Erfahrungen mit über zwanzigjährigem politischen Engagement in diesem Land.
Rechtsradikales Auftreten und faschistische Gewalt ist nicht über Nacht über Deutschland hereingebrochen. Es ist auch kein Folgephänomen
der deutschen Einheit. Die Ursachen gehen in die Gründungszeit beider deutscher Staaten zurück.
Bevor ich im folgenden drei Versagensszenarien beschreibe, muss aus meiner Sicht noch ein Grundfehler bzw. Defizit der gegenwärtigen Diskussion
genannt werden. Die Begrifflichkeit "Rechtsradikalismus" ist von vorne herein beschönigend und letztlich verharmlosend. Es geht um den Geist des
Faschismus, der in Deutschland wieder um sich greift. Der deutsche Faschismus, dessen Singularität unbestritten sein sollte, ist von der deutschen
Gesellschaft bis heute nicht aufgearbeitet. Der Begriff "Rechtsradikalismus" geht genau dieser Diskussion aus dem Wege.
Historisches Versagen
Deutschland konnte sich aufgrund vielschichtiger Ursachen nicht selbst vom Faschismus befreien. Folglich fand keine inhaltliche Distanzierung der
Bevölkerungsmehrheit gegen Faschismus statt. Die Niederlage des Faschismus wurde einzig als eigene Niederlage, Schmach und Vertreibung empfunden
und in den Fünfziger Jahren meisterhaft verdrängt. Diese Verdrängung fand aus meiner Sicht mit unterschiedlicher Gewichtung in beiden deutschen Staaten
statt und hat mit dem jahrzehntelangen "Kalten Krieg" zu tun.
Die Westalliierten arrangierten sich sehr rasch mit dem Establishment des untergegangen faschistischen Staates, was nahtlos in der Adenauer-Republik
fortgeführt wurde. Nazigrößen fanden nach laxen Entnazifizierungsverfahren rasch wieder zu führenden Positionen in Staat und Wirtschaft. Wer sollte in
diesem Klima Garant für eine ernsthafte Aufarbeitung des deutschen Faschismus darstellen? Das Gegenteil war der Fall, engagierte Antifaschisten, welche
die KZ und Verfolgung überlebt hatten, waren sehr rasch wieder politischen Repressionen ausgesetzt.
In der DDR fand gleichzeitig unter großem Propagandagetöse die Distanzierung zum westdeutschen Staat statt, ohne selbst inhaltlich, abgesehen
von sehr guter wissenschaftlicher Faschismusforschung, die Diskussion über die Ursachen und eigene Mitverantwortung zu führen. Es war einfach,
sich selbst von jeglicher Verantwortung frei zu sprechen, da man die Jahre der Diktatur im Widerstand oder in Moskau verbracht hatte. Ebenso verbot
das eigene intolerante System eine offene Diskussion, die zu einer gefestigten demokratischen und toleranten, durchaus sozialistischen Gesellschaft
hinführen hätte können.
Politisches und gesellschaftliches Versagen
Das sogenannte Wirtschaftswunder des westdeutschen Staates führte ab den Sechziger Jahren zur millionenfachen Anwerbung ausländischer
Arbeitsmigranten. Diese Menschen wurden keinesfalls mit offenen Armen aufgenommen. Die erste Generation musste sich mit unwürdigen
Lebens- und Arbeitsbedingungen auseinandersetzen. Der gesellschaftliche Aufbruch Anfang der Siebziger Jahre brachte deutliche soziale
Verbesserungen mit sich, aber keinesfalls eine ernsthafte gesellschaftliche Integration. Dies führte insbesondere in Ballungszentren zur ethnischen
Separation- bzw. Ghettoisierung.
Die in der DDR arbeitenden Menschen sogenannter "Brudervölker" aus Vietnam, Angola oder Kuba, waren abgesehen von Sonntagsreden
und Feierlichkeiten ebenfalls von der restlichen Bevölkerung getrennt. Eine Integration im Sinne von offenen und toleranten Zusammenleben fand
nicht statt.
Anfang der Achtziger Jahre wurde ich in der DDR während des Höhepunktes der polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidarnocs selbst Zeuge
für mich damals nur begrenzt nachvollziehbarer Ressentiments gegen Polen. Geschimpfe über "Tagediebe", die uns noch die Butter vom Brot
holen, die faul und schmarotzend sind, ersetzte die Auseinandersetzung darüber, was im Nachbarstaat stattfand. Selbstverständlich hätte die SED
dabei eine Diskussion über die eigene Legitimierung führen müssen. Sie kniff und legte damit unbewusst den Samen für den brutal zu Tage
tretendenden Ausländerhass in den Neuen Bundesländern. Die heute 15 bis 25 jährigen "Glatzen" entspringen zum Teil dem intoleranten Milieu,
dem ich damals begegnet bin.
Wie beschrieben, entwickelte die deutsche Gesellschaft nur mühevoll ein Verhältnis zu Arbeitsmigranten. Zu Flüchtlingen ging man deutlich auf
Distanz. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie distanziert meine Eltern- und Großelterngeneration mit Flüchtlingen aus Ostpreußen oder Schlesien
umgegangen war. Man vermied weitgehend den Kontakt zu diesen Menschen. Keinesfalls öffnete man sich dann Flüchtlingen aus Chile, Kurdistan
oder Sri Lanka um nur einige Flüchtlingsgruppen zu nennen.
Die politisch moralische Wende 1982 eröffnete Schritt für Schritt ein Roll Back in erlangten Standards der sozial-liberalen Vorgängerregierungen.
Mit dieser Wende nahm die unsägliche Debatte zum Asylrecht an deutlicher Intensität zu. Zeitgleich wurden andere politische Dammbrüche eingeleitet.
Aussagen von der "Gnade der späten Geburt", die Historikerdebatte zur Relativierung deutscher Verantwortlichkeit im zweiten Weltkrieg unterstrichen
ein um sich greifendes Klima der Intoleranz gegenüber Fremden oder Deutschkritischen.
Seit vielen Jahren sitzen neofaschistische Parteien in deutschen Landtagen, ohne dass darüber eine ernsthafte gesellschaftliche Debatte geführt würde.
Diese Parteien, ob DVU oder die Republikaner, propagieren nichts anderes als das, was gewaltbereite Faschisten durchführen. In erschreckenden
Ausmaß rächt sich nun, dass viel zu lange die faschistischen Gefahren seitens der offiziellen Politik in Deutschland heruntergespielt wurden. Viele Jahre
war das Gegenteil der Fall. Antifaschistische Organisationen wie zum Beispiel die VVN/ Bund der Antifaschisten, wurden aufgrund ihres Bezuges zu
linken politischen Ansätzen vom Verfassungsschutz beobachtet und öffentlich als Gefahr für die Demokratie dargestellt.
Verhängnisvoll ist ebenso das Agieren sogenannter bürgerlicher Politiker, ob sie nun Beckstein oder Schily heißen. Wer von "Überfremdung" oder
"Grenzen der Belastbarkeit" spricht, assoziiert Denkmuster, die zum eigenen politischen Vorteil bewusst Ängste schüren und Menschen ermutigen,
gewaltbereit zur Tat zu schreiten.
Kampagnen gegen die doppelte Staatsbürgerschaft oder die Parole "Kinder statt Inder" förderten die Intoleranz gegen ausländische Mitbürger und
steigerten das Gefühl sich abgrenzen zu müssen. Vor diesem Hintergrund bleibt berechtigte Empörung gegen faschistische Gewalt zwar richtig,
erscheint aber wenig glaubwürdig. Diese mit ausländerfeindlichen Ressentiments gespickte Politik schürte Ängste bei den "Deutschen" bis hin zum
falschen Gefühl, "Ausländer nehmen uns die Arbeit" weg. An dieser Stelle spreche ich vom Versagen der Sozialdemokraten und den mit ihnen eng
verbundenen Gewerkschaftsführungen. Eine Politik des Ausgleichs mit dem rücksichtslos global agierenden Kapital, vermittelt das Gefühl auf Seite der
Verlierer zu stehen. Von dieser Position aus gesehen, ist es nicht mehr weit, seine Enttäuschung an noch Schwächeren, den ausländischen Mitmenschen,
abzureagieren. Die demokratischen Parteien Deutschlands müssen auf diesem Gebiet schnellstens ihre Defizite begreifen und ein Klima schaffen, das
Intoleranz und Ausgrenzung nicht länger zulässt.
Aktuelles Versagen
So begrüßenswert die jüngsten Initiativen gegen "Rechts" im einzelnen sind, sie genügen nicht, da sie die gesellschaftliche Debatte über die
Verantwortung am historischen und aktuellen Faschismus in Deutschland verhindern. Solange nicht offen und ohne Tabu über Ursachen und
Gefahren der faschistischen Ideologie gesprochen wird, wird es keinen mehrheitsfähigen antifaschistischen, demokratischen Konsens in der
deutschen Gesellschaft geben können.
An dieser Stelle spreche ich mich klar für ein Verbot aller faschistischen Parteien und Organisationen aus. Skeptikern, die darin wiederum
Ansätze eines Überwachungsstaat sehen, sei entgegnet, dass sie unehrlich zu sich selbst sind. Eine demokratische Gesellschaft muß sich es
leisten, Grenzen der Toleranz gegenüber Kräften der Intoleranz zu ziehen. Es muß klar sein, wer faschistisches und rassistisches Gedankengut
verbreitet und sei es nur in Sonntagsreden, hat sich politisch disqualifiziert und bekommt keine Toleranz seitens der Gesellschaft. Es ist keinesfalls
richtig, daß dazu ein Ausbau der Sicherheitsorgane verbunden sein muß. Die vorhandenen Einrichtungen und Gesetze langen bei weitem aus.
Einzig erforderlich ist die Bereitschaft nicht auf dem "rechten Auge" blind zu sein, auch wenn es unangenehme Auseinandersetzungen nach sich
zöge. Dies schließt auf der anderen Seite sozialpädagogische Maßnahmen und Angebote an faschistische Jugendlich nicht aus. Jedem jungen
Faschisten, sollte wie jedem anderen straffällig gewordenen Menschen, die Chance auf Resozialisierung nicht verschlossen bleiben.
Bei der Beschäftigung mit Formen des Faschismus, darf auch der konservativ, braune Grenzbereich, wie zum Beispiel die national konservative
Studienstiftung Weickersheim nicht außer Acht gelassen werden. Von solchen Einrichtungen gehen und gingen die falschen Signale aus und sind
keinesfalls förderlich, die demokratische Gesellschaft zu festigen. Von daher muss dringend die finanzielle Unterstützung solcher Einrichtungen zur
Disposition gestellt werden.
Zum Ende dieses Diskussionsbeitrages sei mir noch eine Bemerkung zum Rassismus in anderen Ländern Europas und in der Welt erlaubt. Es ist
richtig, dass Faschismus und Rassismus keineswegs ein alleiniges deutsches Problem darstellt. Dies kann aber nicht als Entschuldigung dienen, in
Deutschland davor die Augen zu verschließen.
Wer beispielsweise nicht möchte, dass in der Türkei Kurden diskriminiert werden, darf im eigenen Land Diskriminierung nicht tolerieren oder
gar selbst Menschen aus Kurdistan unwürdig behandeln. Dabei spielt es keine Rolle, ob kurdische Flüchtlinge in eine unsicher Zukunft
abgeschoben werden, obwohl allgemein bekannt ist, dass deren Sicherheit nirgendwo garantiert werden kann. Diskriminierung wird auch
deutlich, wenn die politischen Entfaltungsmöglichkeiten kurdischer Organisationen seitens Deutschland eingeschränkt werden. Dies fördert
keinesfalls den Dialog und die kurdische Bereitschaft, sich von undemokratischen, auf einen anachronistischen Personenkult ausgerichteten
Organisationen, zu distanzieren beziehungsweise diese grundlegend zu reformieren.
Die weitgehende Verhinderung muttersprachlichen Unterrichts für Kinder oder die Zulassung muttersprachlicher Kindernamen sind nur
weitere Beispiele dafür, wie weit der deutsche Staat und seine Gesellschaft von der Vorstellung einer offenen und toleranten Gesellschaft entfernt ist.
Humanität und Demokratie muss unabhängig von Ethnie, Religion oder gesellschaftlicher Stellung als universelles Gut begriffen werden. Diese
Forderung sollte über jeglicher nationaler und ökonomischer Organisation stehen. Einzig dann wird ein friedliches, ungestörtes Zusammenleben von
Menschen unabhängig davon eine Chance besitzen, ob es in Hoyerswerda, Solingen, Istanbul, Diyarbakir, oder an irgendeinem anderen Ort dieser
einen Welt stattfindet.
Alexander Kauz (Vorsitzender des RIB) engagiert sich seit Jahren mit dem Rüstungs- Informationsbüro Baden-Württemberg (RIB) für Friedens-
und Abrüstungspolitik. Wesentlicher Schwerpunkt der derzeitigen RIB - Arbeit ist die internationale Abrüstungsinitiative “FÜNF für den Frieden”