Eine Industrie lebt vom Absatz ihrer Produkte. Wenn ihr der Absatzmarkt wegbröckelt, stirb sie. Der mit Abstand größte Auftraggeber der US-amerikanischen Rüstungsindustrie ist die US-Regierung, dann die Regierungen der übrigen Nato-Staaten. Bei den Rüstungsindustrien von Groß- britannien, Frankreich und Deutschland (zB. dem Daimler-Benz-Konzern) ist die eigene Regierung jeweils auch der Hauptauftraggeber. Solange das Wettrüsten zwischen den USA und der UdSSR im Gange war, hatte die Rüstungs- industrie keine Sorgen, denn der Absatzmarkt (sprich: Regierungsaufträge) für immer neue Waffensysteme war unersättlich. Der 'Warenbestand' konnte, nach dem Beispiel der in den westlichen Marktwirtschaften entstandenen Produktion von kurzlebigen Wegwerfgütern, permanent erneuert werden. Atomare Sprengköpfe, die unsere Erde hätten zehn mal zerstören können, waren veraltet - es mußten welche her, die den 'Overkill' bis auf das zwanzigfache steigerten.
Nach Ende des Wettrüstens mit der UdSSR war der Absatzmarkt gefährdet, denn die Regierungen konnten dem Wahlvolk die hohen 'Verteidigungs'-Etats nicht länger 'plausibel' machen. In den 80-er Jahren lag dieser als einer der größten Einzelposten noch bei rund 20 Prozent des deutschen Bundeshaushalts oder in absoluten Zahlen: bei rund 50 Milliarden jährlich. Nach dem Zusammenbruch des 'Reichs des Bösen' wurden die Rüstungsausgaben teilweise um 15 Prozent jährlich gekürzt. Doch die Umwandlung der Militärindustrie auf zivile Produktion (Konversion) kam weitgehend nicht zustande und der militärisch-industrielle Komplex wurde von politischer Seite am Leben erhalten, mit dem Argument, Massenarbeitslosigkeit in ganzen Städten und Regionen zu vermeiden. Zwischenfrage: Wer ist also von wem abhängig?
Es mußte wieder ein Absatzmarkt geschaffen werden. Mangels anderer Möglichkeiten war die zwangsläufige Konsequenz ein Krieg. Und das war zunächst der Golfkrieg Anfang 1991.
Zynischerweise könnten also zwei Argumente zusammen- gedacht werden: Um Arbeitsplätze zu erhalten, müssen weiter Rüstungs'güter' produziert werden; und um Rüstungs'güter' produzieren zu können, muß wieder ein 'Absatzmarkt' geschaffen werden. Also wird Krieg um der Arbeitsplätze willen geführt !
Damit ist auch klar, warum Saddam Hussein, obwohl es für die CIA sicher ein leichtes wäre, nicht beseitigt wird. Ohne ihn als Buhmann wäre ein Krieg - selbst mit der heutigen 'Medienpräsenz' - nicht zu vermitteln. Sicher spielen strategische Interessen, das kuweitische Öl, auch eine Rolle. Insofern, als daß der Irak und nicht sonst irgendein anderes Land als Kriegsschauplatz ausgewählt wurde. Aber hätte 1991 Saddam Hussein noch rechtzeitig klein bei gegeben und sich aus dem überfallenen Kuweit zurückgezogen, hätte es vielleicht Gaddafis Libyen erwischt.
Ganz abgesehen von dem, was Clinton oder Solana selbst glauben mögen, humanitäre Gründe können objektiv keine Rolle - außer der propagandistischen - gespielt haben. Sonst hätte die Nato längst im Kurdenkonflikt oder in Nordirland militärisch eingreifen müssen.
Aber auch wenn somit die wirklichen Interessen der Nato klar sind, sollten sich Pazifisten nicht der Diskussion entziehen, wie denn auf die Greuel solcher Diktatoren wie Hussein oder Milosevic zu reagieren sei.
Einerseits muß doch einmal nüchtern überlegt werden, welche Folgen ein Krieg hat. Das Beispiel Irak zeigt, daß mit Krieg zwar ein Diktator (zeitweilig) in die Knie gezwungen werden kann - um den Preis von unendlichem menschlichen Leid und Elend, der Vernichtung enormer materieller Werte und unglaublicher Umweltzerstörung. Das Volk des Irak steht jedoch mehrheitlich weit mehr als zuvor hinter Hussein und ein wirklicher Friede ist in der Region nicht in Sicht. Die USA haben sich nur noch verhaßter gemacht. Auf Jugoslawien und den Kosovo bezogen: "Das bestehende Regime ist durch die Nato-Attacken nur bekräftigt worden, da die natürliche Reaktion des Volkes freigesetzt wurde, sich in Zeiten fremder Aggression um die eigene Flagge zu scharen." (aus einem Aufruf von 27 serbischen Künstlern und Intellektuellen vom 16.04., abgedruckt in der BZ v. 23.04.)
Andererseits: Besteht deshalb nur die Möglichkeit, hilflos zuzusehen?
Zunächst einmal: Es ist nichts als Machbarkeitswahn, zu glauben, daß ein lokaler, unter Umständen ethnischer Konflikt von außen gelöst werden könnte. Viel leichter wäre es zum Beispiel den Hunger und die Armut in Afrika gründlich zu beseitigen. Dafür wären weltweit die nötigen finanziellen Mittel vorhanden - den Willen zur Veränderung vorausgesetzt.
Um nochmals den genannten Aufruf zu zitieren: "Es gibt (wie in zahlreichen ähnlichen Konflikten, zB. in Nordirland) keine schnellen und einfachen Lösungen. Wir müssen alle darauf vorbereitet sein, einen langen und schmerzhaften Prozeß der Verhandlung und Normalisierung auf uns zu nehmen." Von außen wären nach meiner Einschätzung nur die Hilfen von NGOs (nichtstaatlichen Organisatonen) erfolgversprechend, die zB. ihre Erfahrungen in Konfliktvermeidungsstrategien anbieten können, während die Einmischung von Staaten und auch die von NATO oder UNO, die inzwischen beide mit den USA gleichgesetzt werden, auf Mißtrauen und Ablehnung stoßen. Der Einsatz von NATO oder UNO kann bestenfalls bewirken, daß die Konflikte nicht gewaltsam ausgetragen werden (genau wie in der Zeit des ehemaligen Tito- Jugoslawien), daß sie dann aber jahrelang weiterschwelen und irgendwann doch ausbrechen.
Sicher wird es immer Diktatoren geben, die Verhandlungs- lösungen und Normalisierung unzugänglich sind. Hitler wird zu Recht als Beispiel genannt. Ob dies auf Milosevic zutrifft, wird zwar (unter Verwendung von "Auschwitz" als Schlagwort) behauptet, ist aber mangels Einwirken auf die UCK, die Rebellenarmee auf kosovo- albanischer Seite, oder im Gegenteil, deren Unterstützung, noch längst nicht erwiesen.
Wenn USA und NATO allerdings wirklich davon überzeugt wären, daß Verhandlungen mit Milosevic aussichtslos sind, gäbe es eine weit humanere und (!) kostengünstigere Möglichkeit, statt des hunderte Milliarden verschlingenden und zerstörenden Bombardements: Sie könnten den Kosovo-Albanern - zusätzlich mit dem Angebot eines Handgelds von mehreren tausend Dollar - die Ansiedlung in den dünnbesiedelten Bundesstatten Oregon oder Nebraska anbieten. Militärisch genutztes Gelände würde dafür sicher allein völlig ausreichen. Zum fast gleichen Ergebnis ist es inzwischen ja auch ohnehin gekommen; nur mit dem Unterschied, daß die Menschen jetzt in Flüchtlingscamps hausen müssen, die vage Hoffnung haben, irgendwann zurückkehren zu können und daß sie möglicherweise noch über Jahre hinweg durchgefüttert werden müssen. Die Konflikte in den Ländern, in denen sie jetzt untergebracht sind, werden kaum ausbleiben und auch nicht die, wenn sie jemals zurückkehren können und - wenn auch nur manche - sich rächen wollen.
Um einem möglichen Strafbedürfnis der USA als Weltsheriff zu genügen, hätte die NATO nach einem zeitlichen Ultimatum zur Räumung des Kosovo, dieses Land auch nachträglich noch platt bomben und damit ihre Arsenale leeren können, ohne zu Mördern werden zu müssen. Die bei den jetzigen Bombardements verwendeten Uran-Sprengköpfe scheinen das Land möglicherweise auf Dauer - auch für die geflohene Bevölkerung - unbewohnbar zu machen.
Es wird heute viel davon geredet, daß erst das militärische Eingreifen der Aliierten dem Naziterror ein Ende bereitet hätte. Das mag sein. Doch half das den schon ermordeten Juden nichts mehr. Wer weiß, wie lange ein Krieg der Westmächte gegen Nazi-Deutschland vor 1941, vor dessen Einmarsch in die Sowjetunion, gedauert hätte und wer kann sicher ausschließen, daß dann nicht vielleicht noch mehr Menschenleben dem Holocaust zum Opfer gefallen wären ?
Die überwiegende Zahl der Überlebenden ging nach Palästina und in die USA. Die USA haben davon kulturell und wissenschaftlich profitiert. Das soll nicht heißen, daß eine Rettung von Menschenleben danach zu beurteilen wäre, wieviel daran zu profitieren ist. Das Beispiel Palästina zeigt, welches Unrecht durch Unrecht gezeugt werden kann, wenn Völkerwanderungen nicht gelenkt werden, sondern irrationalen Motiven folgen.
Leider aber wird auch heute noch zu wenig nachgedacht, und unbewußte (zB. profitorientierte) oder irrationale ( zB. religiöse) Motive führen Millionen Menschen in Elend oder Tod. Daran wird sich wohl so schnell nichts ändern. Deshalb möchte ich zum Schluß Gandhi zitieren: "Wenn ich verzweifelt bin, sage ich mir immer wieder, daß in der Geschichte der Weg der Liebe und Wahrheit immer gesiegt hat. Es mag Tyrannen und Mörder gegeben haben, die - so schien es manchmal - unbesiegbar waren; aber irgendwann wurden sie doch gestürtzt." - und sei es durch Krebs wie beim nigerianischen Diktator Abacha letztes Jahr, möchte ich hinzufügen.
Klaus Schramm
Ettenheim
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