Grüne:
Ist bei den Grünen der Streit zwischen rechts und links ausgebrochen? In der Öffentlichkeit wird immer wieder versucht, dieses Bild zu zeichnen. Geht es um den Konflikt zwischen "Basokraten" und "Lodenmänteln" oder zwischen "Theoretikern" und "Praktikern"? Diese Schlagworte vernebeln mehr, als sie klären. Es geht vielmehr um die grundsätzliche Orientierung grüner Politik, darum, ob die Grünen eine Umpolung des Bewußtseins in der Gesamtbevölkerung anstoßen können oder ob sie zu einer integrativen Reformpartei werden, einer FDP in grün. Wenn behauptet wird, diese Entscheidung sei de facto schon mit dem Einstieg in die Parlamente gefallen, ist wohl der Wunsch der Vater des Gedankens. Die Grünen kamen schließlich nicht in die Parlamente wie die Jungfrau zum Kinde. Immerhin gab es von Anfang an Leute bei den Grünen, die eine Anti-Partei-Partei wollen. Es gab lange und harte Diskussionen schon vor der Gründung der Grünen, ob es möglich ist, dem System- und Anpassungsdruck, der Korruption, standzuhalten, wenn konventionelle politische Formen wie Partei und Parlament benutzt werden. Es war ja für jeden politisch denkenden Menschen ein erschreckendes Beispiel, was aus den 68-igern beim "Marsch durch die Institutionen" geworden ist. Doch manche 68-iger scheinen nach langem Winterschlaf nun zu glauben, mit Hilfe der Grünen doch noch einen Zipfel "realer Macht" erhaschen zu können. Offensichtlich haben sie nicht mitgekriegt, daß es eine Basisgruppenbewegung in den letzten 10 Jahren gegeben hat. In dieser Zeit ist konkret entwickelt worden, was unter dem Stichwort "Basisdemokratie" eine der Grundsäulen grüner Programmatik geworden ist. Basisdemokratie ist kein neues Wort für den Pleonasmus 'Volksdemokratie' oder für direkte Demokratie. (Auch Volksabstimmungen sind nicht der Stein der Weisen zur Verwirklichung von Demokratie.) Es bedeutet ganz schlicht, daß es keine Delegation von Verantwortung mehr geben darf, daß die Arbeitsteilung zwischen Privat und Politik hier und jetzt beendet werden muß. Basisdemokratie ist das eigentliche Gegenteil von repräsentativer Demokratie. (In Wirklichkeit ist ja nicht mal die erreicht, sondern liegt die Macht bei der Verwaltung von Staat und Wirtschaft, der Bürokratie in Ost und West.) Manche meinen, Basisdemokratie bedeute eine Umkehrung der Einflußrichtung: statt von oben nach unten - von unten nach oben. Aber gerade ein "oben" und "unten" läßt Macht entstehen. Keine Macht für niemand! Allerdings mit der Fortentwicklung anarchistischer Positionen, die jegliche Strukturierung ablehnen. Es hat sich herausgestellt, daß ein wesentlicher Unterschied besteht zwischen vertikalen, Macht verfestigenden und horizontalen, Fantasie und Kreativität anregenden Organisationsstrukturen. Jene sind statisch, die anderen dynamisch angelegt. Deshalb sollen Tendenzen, sich an statische Oragnisationsformen zu klammern, als strukturkonservativ bezeichnet werden (als logische Weiterentwicklung des Epplerschen Begriffs). Vielen scheint Macht etwas sehr reales zu sein. Die Geschichte der Menschheit hat bewiesen, daß sie die unbeständigste aller menschlichen Errungenschaften ist. Nur die Ohnmacht der einen läßt die Macht der anderen entstehen. Macht hat noch niemals eine positive Veränderung des Bewußtseins bewirkt. Im Gegenteil, alle Religionen und politischen Systeme, die ursprünglich auf Vernunft und Idealismus aufgebaut waren, wurden im Lauf der Zeit korrupt und büßten ihre Kraft und Glaubwürdigkeit ein, sobald sie sich auf die Macht stützten oder sich mit ihr verbündeten (Christentum, Islam, Aufklärung, Marxismus,...) Aber immer noch herrscht der Glaube, es müßten nur die Richtigen an die Macht... In jedem, der in dieser technologischen Kultur aufgewachsen ist, stecken noch lebensfeindliche, stukturkonservative Tendenzen, die ein Vertrauen in die sich nur frei entfaltenden Kräfte der Vernunft (gerade auch in der eigenen Persönlichkeit) behindern. Wer nur in den Kategorien des Machbaren denkt, muß angesichts der Gefahr, in der wir schweben, entweder resignieren oder verdrängen. Auch in den grünen Programmen herrscht noch viel Machbarkeitsglaube. Viel ist da noch die Rede von 'muß', 'dürfen nicht', 'bestrafen', 'Verbot', ... (von staatlicher Seite). Es scheint die Vorstellung noch nicht gebrochen, daß eine Gesellschaft und eine Wirtschaft durch Ge- und Verbote effektiv und effizient gelenkt werden könnte. Die Mißerfolge der sozialistischen Planwirtschaft wurden nie gründlich aufgearbeitet. Dies zeigt, daß strukturkonservatives Gedankengut gerade auch ein Problem der Linken ist. Besonders aus dieser Richtung kommen in letzter Zeit Versuche innerhalb der Grünen, diese wieder mehr vertikal zu strukturieren (Drängen zur "Professionalisierung", Widerstand gegen Ämter- und Mandatsrotation). Von all dem bisher ausgeführten leitet sich auch ab, daß es trotz und gerade bei Verzicht auf Machtbeteiligung einen Sinn ergibt, in Parlamente zu gehen. Dies bedeutet nicht, daß man sich allem verweigert. Der Abbau von Gesetzen und die Zurücknahme von Projekten kann unterstützt werden. Allerdings sollten die Grünen sich allem entgegenstellen, was die (auch vermeintlich positive) Einflußnahme des Staates verstärkt. Dies ist jedoch angesichts der realen (Un-) Möglichkeit zur Veränderung der Gesellschaft übers Parlament der unbedeutendste Aspekt parlamentarischer Arbeit. Der Eigentliche ist, das Parlament als Forum zu benutzen. Fast das gesamte politische Interesse, das bei den Deutschen überhaupt vorhanden ist, richtet sich - pasiv, konsumorientiert - auf die offizielle Politik, die Parlamente. Den Grünen ist es nun gelungen, in diese abgeschlossene Sphäre einzudringen. Es ist also möglich, daß einfache Menschen, Nicht-Politiker, dort kompetent auftreten können. So besteht die Chance, zu aktivieren, politisches Bewußtsein zu bilden, aus der Ohnmachtshaltung ("Die machen ja doch, was sie wollen !") wachzurütteln. Daß damit die Gefahr verbunden ist, Illusionen zu wecken, daß über die Parlamente, Machtbeteiligung, etwas zu verändern wäre, ist nicht zu übersehen. Aber genauso wie ein unbewußtes, verdrängtes Wissen um die wahren Eigenschaften der Politiker vorhanden ist, ist auch ein wachzurüttelndes Wissen vorhanden, daß die Macht in Wirklichkeit nicht bei den Parlamenten liegt, sondern in der gesamten Wirtschaftsmaschinerie. Gerade die überdimensionale Größe des Gesamtsystems läßt den Einzelnen seine Ohnmacht fühlen und weckt Ängste, die sich dann gegen Minderheiten richten. An diesem Punkt muß der außerparlamentarische, gewaltfreie Kampf einsetzen. Gerade dadurch kann gezeigt werden, daß politisches Handeln nicht nur möglich, sondern gegen die Megamaschine auch erfolgreich sein kann.
Klaus Schramm (veröffentlicht in der Zeitschrift 'Prolix' Nr. 17 v. 30.04.1983)
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